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Kritik

Drunken Sailor

Ein bedrückend beeindruckender kleiner Roman um einen Trinker mit gespaltenem Haupt: Ottessa Moshfeghs „McGlue“
Hamburg

Was soll schon sein an einer Geschichte eines Trinkers, der sich bei einem Unfall das Haupt eingeschlagen hat und der nun auch noch seinen besten Freund umgebracht haben soll? Und der sich leider – wen wundert‘s – auch noch an nichts erinnert? Eine Geschichte eben aus dem Randbestand der Zivilisation, aus einer Gegend also, in der das Wort Prekariat wohl die eher besser betuchten Teile der Bevölkerung bezeichnet hätte. Was soll daran schon sein, was die Zeitgenossen nicht besser gemacht hätten?

Eben alles. C hat mit 140 Seiten in der ja gewöhnlich eher ausufernden deutschen Fassung eher das Format einer größeren Erzählung. Nichts von der epischen Breite, die sich im Roman bleibender Freunde erfreut. Nichts von den komplizierten Umwegen, in denen sich das fragile Subjekt der Moderne verwirrt.

Nur ein Trinker von Gottes Gnaden, der nicht einmal „hier“ geschrien hat, als der Verstand verteilt wurde, und dem deshalb das passiert, was ihm passiert. Eben jener Johnson, der ihn aufliest und ihn zum Freund und ständigen Begleiter auserwählt, und eben jener Unfall, der ihn bleibend zeichnet und ihn in die Zeitung bringt.

Es ist die gründliche Abschüssigkeit dieser Geschichte, die ihre dramaturgische Essenz ausmacht: Sie beginnt damit, dass der Käpt‘n McGlue ins Loch werfen lässt, weil er Johnson umgebracht hat. Und sie endet damit, nach langer langer Zeit, dass sich McGlue endlich erinnert. Nicht dass McGlue von der langen Seereise von Sansibar nach Salem, wo ihm der Prozess gemacht werden soll, viel mitbekommen würde. Dazu säuft er zu viel, dazu schmerzt ihm der Kopf zu sehr, dazu suhlt er sich zu sehr in seinen fragmentarischen Erinnerungen – die sich dann doch zu einer halbwegs konsistenten Lebensgeschichte zusammenfügen.

Das lädt naheliegend jeden Küchenpsychologen ein, nachzuvollziehen, warum aus McGlue eben McGlue geworden ist. So jung schon an den Alk gekommen, kann man kaum erwarten, dass er sich nicht von vorneherein das bisschen Verstand weggeschossen hätte. Alkohol, unterdurchschnittlich intelligent, früh auf der Straße, gewalttätig, ein Frauenhasser – was will man mehr?

Und Moshfegh liefert eine Menge Material, das sich hervorragend zu einem Niedergangsprofil zusammenstellen ließe. Sie lässt ihren Helden sogar selbst befragen, wie das aus ihm geworden ist, was er ist. Worauf es keine Antwort gibt. Und Moshfegh scheint auch daran gar nicht interessiert zu sein.

Viel mehr führt sie durch die Delirien und anderen Verstandesoperationen, mit denen sich McGlue notgedrungen erinnert. Nicht aber der Druck seines Verteidigers, der ihn dazu bringen will, irgendetwas zu liefern, damit man aus McGlue einen ansehnlichen Verurteilten machen kann, macht sich hier erkennbar. Es ist eher, dass McGlue außer den Erinnerungsfetzen und Phantasmen, die durch seine Vorstellungswelt geistern, nicht geblieben ist. Also bleibt er dabei und weitet es nach und nach aus. Bis hin zu dem Punkt, an dem erkennbar wird, warum Johnson, Sohn einer der einflussreichsten Familien in Salem, sich gerad den einfältigen Säufer McGlue ausgesucht hat, dessen einziges Talent ist zu singen.

Das wird tatsächlich gegen Ende geklärt, ändert aber nichts an McGlues Abgang. Nicht einmal, dass man ihn im Salemer Gefängnis trocken legt, was seine Delirien noch vervielfacht, ändert daran etwas. Johnson ist immer gegenwärtig. McGlue dreht sich um ihn und ihre merkwürdige Freundschaft, die nur ein Ziel hat, den Tod Johnsons. Was sich ja, weils am Anfang des Romans steht, von selbst versteht. Oder eben nicht.

Geschrieben ist das alles nah an dieser minderen Gestalt, die nicht einmal als mittlerer Held durchgehen würde. Jack London schlägt hier durch oder auch andere Autoren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die sich nicht mehr um die alten Standesgrenzen in der Literatur geschert haben und ganz nach unten gegangen sind, um die Konstitution des modernen Subjekts in der Maschinerie der großen Explorationen wie der großen Zivilisierungsschübe und der ersten Industrialisierung dort zu beobachten, wo es wirklich produziert wird. Nicht im bürgerlichen Salon oder Ehebett, nicht im Gericht, das sich seinen Angeklagten erst noch herrichten lässt, sauber, adrett und mit Gründen für seine Tat, bevor es ihn verurteilt.

McGlues Szenerie ist jenseits davon, schmutzig, stinkend, von Erbrochenem und anderem mehr besudelt. Der Horizont ist genau so weit, wie es die nächste Flasche zulässt. Das hier ist ganz unten, und doch eben der Bodensatz der modernen Welt, wie man weiß. Aber es geht immer noch weiter nach unten.

Die amerikanische Literatur ist voll von diesen unmöglichen Helden, die nichts sind, nichts können, nichts wissen und die doch handeln müssen. Sie hat daraus viele ungemein gute Texte gemacht – der deutsche Verlag Moshfeghs scheint im Übrigen ein besonderes Faible dafür zu haben. Was eben nur zu loben ist.

Denn auch in diesem Fall liegt ein außergewöhnlicher Roman vor, der alles bietet, was der psychologische Roman der Gegenwart bietet, der aber auf all das pfeift. Gottseidank. Drängend, bedrückend, ungemein einnehmend und abstoßend zugleich. Moshfegh macht sich gemein mit ihrem Helden, ohne sich ihm anzubiedern oder ihm auch nur eine Träne nachzuweinen. McGlue ist ein stinkendes Monstrum, das im Loch zu vergammeln droht und das nur noch für das Urteil aufgepeppt wird. So jemand verdient kein Mitleid, braucht er aber auch nicht, denn er will überhaupt keins. Sein Leben findet in diesem gespaltenen Kopf statt, der nicht wahrnehmen will, dass der beste Freund nicht mehr lebt, und der sich nicht daran erinnert, dass er ihn getötet hat. McGlue ist nur ein weiterer jener Unschuldigen und Einfältigen, die die Basis dieser sich formierenden Gesellschaft stellen. Sie kommen und gehen und vergehen, sie sorgen für ein Grundrauschen, sind da und wieder weg. Eine bürgerliche Existenz ist von ihnen soweit entfernt wie der Mond, von dem sie wahrscheinlich nur wissen, dass man ihn anheult. McGlue ist ganz bei sich selbst – und das ist mehr als wir von uns sagen können.

 

 

Ottessa Moshfegh
McGlue
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
liebeskind
2016 · 144 Seiten · 16,00 Euro
ISBN:
978-3-95438-067-1

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