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Kritik

Anschein einer Rezension

Hamburg

Der Schriftsteller, der nicht zerstreuen, sondern wirken will, muss den Mut aufbringen, auch gegen den Leser zu schreiben. Stil ist kein Schlafpulver, sondern ein Explosivstoff. (Günter Eich)

Im Grunde verweigern sich Gedichte von Natur aus einer Rezension. Sie sprechen von einem Ich zum anderen oder sie schweigen. Manche sind laut und pathetisch, andere finden ihren Ton im Stillen oder Enigmatischen. Wenn es gut geht, kreuzt ein Ich-Welt-Bezug den eines Lesers und schafft Momente, die existenziell, verstörend oder magisch sein können. Wenn es ganz gut geht, werfen sie einen aus der Bahn des Alltäglichen in die schönsten und wildesten Gefilde der Sprache, in denen eine einzige Zeile eine Welt bedeuten kann.

Ralph Pordzik ist ein genauer Beobachter und Vermesser der Sprache, der um die Konventionen des Genres weiß und mit ihnen auf eine kluge Art umgeht. Seine in dem Band „Alles Weitere mündlich“ gesammelten Gedichte zeugen von einer ausgereiften Wortversessenheit und einer Lust am komprimierten Denken in Wörtern. Sie erzählen von der formalen Selbstbezwingung der eigenen Welt-Sicht und dem Spiel mit Zeilen, Silben und Klängen. Fast scheint es so, dass er ein Gedicht konstruiert, wie ein Architekt ein Haus baut. Nicht irgendein Haus, sondern ein Gebäude, das den Leser, wenn er einmal den Zugang gefunden hat, mit viel Raum zu Erkundungsgängen herausfordert. Sorgsam und von langer Hand geplant, von den ersten Skizzen über das Modell streng komponiert, ist in jedem einzelnen Gedicht der Stilwillen des Architekten spürbar. Das Wortmaterial ist von souveräner Zeitlosigkeit - ein solides Fundament, das ohne überflüssigen Dekor wie Adjektive („Flucht vor Eigenschaftswörtern“) oder Wortzusammensetzungen auskommt und sich der Verständlichkeit dennoch auf raffinierte Weise entzieht. Einige Titel wie „Zweifel am langen Gedicht“, „Angst vor dem Banalen“ oder „Verschlusssache Gedicht“ verweisen auf die Pordzik'sche Arbeit am Wortwerk, der wohl ganz ähnlich wie Dylan Thomas mit hoher Präzision und stiller Konzentration sein linguistisches Handwerk betreiben muss (Worte zeigen wie/man Kieselsteine zeigt und/Eiskristalle …).

Dabei zieht sich ein eigentümlich distanzierter Grundton der Melancholie durch die Seiten, der gegen die schnelle Verführung des Lesers gestimmt ist, er soll es eben nicht leicht haben beim Ausloten der Räume. „Auslotung der Innenseiten“ heißt auch eines von sieben Kapiteln, deren Anordnung ebenfalls eine mit Bedacht gewählte Konstruktion darstellt. „Sichtwechsel“ ein anderes, das, wie ein poetisches Zwiegespräch angelegt, am meisten vom Daseinsgefühl des Dichters verrät. „Aus deinem Mund schüttelst du Perlen/die ich einzeln lutsche und die mir wie bittere Pillen am Gaumen kleben...“ Seine wortpräzise Bildkraft ist besonders schön, wenn es um Bilder geht, wie in dem Gedicht über den spätbarocken Miniaturmaler Pierre Subleyras. Oder verblüffend einfach wie in Anschein einer Ausrede:

Die Farben verlassen den Tag
die Ärzte sind machtlos
und legen sich zu den Toten ins Bett

Pordzik beherrscht sowohl die „kleine“ als auch die große Sprache und wenn man diese Prosagedichte einmal „mündlich“ nimmt, also beim lauten Lesen, entfaltet sich ihr lakonischer Gestus, aber auch ihre antipoetische Diktion. Sie sind alle von einer glatten Intaktheit der Sprache geprägt, die ganz ohne Blut und Brüche, Rausch und Schmerz, aber auch ohne Trost auskommt. Das erinnert an das Benn'sche Plädoyer für den Begriff der Artistik, der eine sich selbst genügende Dichtung forcierte, als den „Versuch gegen den allgemeinen Nihilismus der Werte eine neue Transzendenz zu setzen: die Transzendenz der schöpferischen Lust“. Denn gerade weil hier ein Wissender der Zeichen- und Symbolkraft der Sprache schreibt, ist man neugierig auf sein unverwechselbares Blut und die Brüche und die schmutzigen Ritzen, auf die Häuser, die niemals gebaut werden – auf das weitere „Plötzlich unbeugsam Werden“ von Seite 89.

Ralph Pordzik
Alles weitere mündlich
lulu
2014 · 105 Seiten · 13,64 Euro
ISBN:
978-1291843323

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