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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Ich fühle, also lebe ich

Warum das starke Geschlecht nicht stark sein muss
Hamburg

Die Entfaltung und Rekalibrierung des emotionalen Koordinatensystems war einst ein Grund, Lyrik zu lesen und zu schreiben: Möglichkeiten auszuloten, seien es prinzipielle, seien es potentiell eigene, und zwar qua Sprache. Deren Nuancen verbürgten jene der Gefühle.

Heute sind schlechte Zeiten für Lyrik, schon eine Weile, wenigstens seit 1939, siehe Brecht. Dementsprechend ausgedörrt ist das Vokabular, womit wir, was wir fühlen, zu buchstabieren vermögen; und ohne dieses ist die Emotionalität heute kaum, nämlich in wenigen Dimensionen und wenigen Abstufungen, deren Schwarz-Weiß uns dürftig erscheinen muß, entfaltet.

Dies will Robert Karbiner mit seiner Betriebsanleitung für den Mann beheben. Man könnte seinen Band durchaus als Intervention in die Spracharmut bezeichnen, in den zu raren und zu unreflektierten Gebrauch der Sprache. Differenziert werden Gefühle und das, was wir daraus konstruieren. Etwas erschreckt einen Menschen, daraus erst kann – beispielsweise – Ärger entstehen. Dieses Etwas ist keine Emotion, sondern etwa eine körperliche Sensation; desgleichen keine Emotion ist die Interpretation, die einem manchmal wie ein Gefühl erscheint, doch zu Unrecht. Schreck evoziert Angst; Angst wird zum Sekundärgefühl transformiert. Sprache selbst ist da hellhörig: Ich erschrecke oder bin erschrocken, aber ich ärgere mich. Man könnte hier auf Adornos Beobachtung verweisen, wie Konzepte von Sensation und ihrer emotionalen wie kognitiven Resonanz sprachlich nuanciert werden, damit aber eben nicht nur sprachlich – und die Nuancen womöglich eine Dialektik andeuten: „Zwischen »es träumte mir« und »ich träumte« liegen die Weltalter. Aber was ist wahrer? So wenig die Geister den Traum senden, so wenig ist es das Ich, das träumt.”

Schließlich wird das Gefühl, das unverstanden ist, verdrängt; gerade seine Begründung fundiert es ja nicht, sondern entzieht ihm als dem Ausdruck der eigenen Lebendigkeit, der es jedenfalls auch ist („Ich fühle, also lebe ich”..!), den Boden... Das Weil kann also trügen, und gleich mehrfach kann es zum Problem werden – ja, noch Konjunktionen berühren Emotionen: Ein Weil ist kein Damit. Die Kausalität aber ist rückwärts gewandt, wer „nach dem »Warum« fragt, hängt schnell in einer Gedankenschleife”, so Karbiner.

Das sind Kleinigkeiten. Bloß gibt es gar keine Kleinigkeiten: „Lappalien gibt es bei seelischen Verletzungen nicht”, Nuancen generieren Welten wie auch Weltuntergänge. So erarbeitet Karbiner – dem mit Kobler ein manchmal fast zu flotter Schreiber zur Seite gestellt ist – über Sprachliches Menschliches, klärt auf, indem er genau liest oder hinhört. Die Hypothese, daß ein Psychologe auch sozusagen philologisch begabt sein sollte, erhärtet sich so. Dem etwas reißerischen Titel zum Trotz hat dieses Buch also Tiefe. Es gibt Gründe, es zu lesen: Wenn man mit Sprache und/oder Menschen interagiert, ist es eine Lektüre, die hilfreich sein sollte, wobei nicht alles neu ist, jedenfalls dem, der sich auf diesem Terrain schon bewegt hat, pointiert und klug aber allemal.

Robert Karbiner · Florian Kobler
Betriebsanleitung für den Mann
Freya Verlag
2011 · 168 Seiten · 14,90 Euro

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