Therapie?
Das roughbook 041 trägt den Titel Die Sprache von Eden, ist ein fließendes Gespräch, ein Langgedicht des Amerikaners Robert Kelly, übersetzt von Urs Engeler selbst und soeben (Ende 2016) erschienen. Das Original auf Englisch ist mitabgedruckt; das macht den Vergleich möglich, wenn auch die englischen Verse mit slashes als Umbrüche und nur in fußnotengroßer Schrift auftreten, also optisch eher wie eine notwendige Beigabe daherkommen, nicht wie in visueller Originalgeste. Schnell wird klar, dass Engelers Übersetzung vor allem am Fluss interessiert ist. Viele Umdeutungen, viele Neuerfindungen oder Verschiebungen treten auf, was aber, mit Ausnahme einiger eigentümlicher Lösungen, kein Problem darstellt, sondern im Gegenteil adäquat und in respektvollem Rhythmus das erzeugt, um was es Robert Kelly in Der Sprache von Eden tatsächlich geht: dem Einfangen von Stimmen, dem Raumgeben von Sprechweisen; ihnen eine poetische Form zu verleihen, sie „eine verheißungsvolle und einfache Gestalt annehmen [zu lassen], mit der das Gedicht die Stimmen finden kann, die es begehrt“, wie es in der knappen Einführung heißt.
Robert Kelly hat ein Ineinanderweben von Sessions, Therapiesitzungen, erzeugt. Auf knapp 140 Seiten sprechen „Analytiker und Analysanden“ über praktisch alles und teilweise sehr spezielle Dinge. Das müsste theoretisch nicht interessant sein, ist es aber durch einige feinsinnige tunings von Kelly in jeden Fall. Der einfache, doch prägnante, wirkungsvolle Rhythmus und die geschickte Dramaturgie aus Banalitäten, die eigentlich nicht banal sind, sondern humanoid, und poetischen bildhaften Reflexionen, sparsam eingesetzt, zudem die unkenntlich machende Vermischung der Sprecherrollen durch willkürliches In-Einander-Übergehen-Lassen und Schneiden mithilfe der Umbrüche und Zäsuren mittels Strophengenerierung sorgen für ein durchweg überraschendes Verschieben und permanentes Wandeln der Bedeutungsebenen. Diese lyrischen Interventionen machen aus (möglicherweise mitgeschnittenen) Session-Situationen die autarke, sich selbst emanzipierende Sprache von Eden: gut lesbar, voller Momente, auch Längen, aber ganz sicher lohnende Lektüre. Denn Robert Kelly, das gehört unbedingt hierhin, ist einer der Großen der US-Amerikanischen Szene, der seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aktiv und vernetzt in der eigenen deep image group, und mit allen anderen wichtigen US-Strömungen der letzten Jahrzehnte verbunden ist. Solcherart ist seiner Sprache – und die Idee von Die Sprache von Eden ist darin verortet – eine sichere, post-beat (Tonbänder zur Stimmenaufzeichnung liefen immer irgendwo mit) geschulte Meisterschaft anzumerken. Eine an Frank O’Haras Notationsknalle erinnernde Flüchtigkeit, aber auch der Witz und die fließende Rhythmik der L=A=N=G=U=A=G=E sind spürbar. Robert Kelly, der unter anderem Lorca, Pound und Robert Duncan von der Black Mountain School als Vorbilder bezeichnet und im Laufe der Zeit über 50 eigene Werke herausgebracht hat, spielt mit den Stimmen seiner Protagonisten. Mit ihren Ängsten, ihren Neurosen, ihrem Sex und besonders auch ihrer Religion, ihrem Glauben. Der Text ist wie ein lyrisches Panorama zu lesen, das, völlig ungewertet, verschiedenste Komplexe, die oft als Tabus oder sogar Peinlichkeiten gesellschaftlicherseits nur klandestin zur Sprache kommen können, einander ertüchtigen lässt – jeweils durchbrochen von kleineren Nachfragen der Therapeutenstimmen, bisweilen aber eben auch die umgekehrte Situation: Der Therapeut wird zum Erzähler. Insgesamt ist Die Sprache von Eden ein wichtiger Beitrag im großen Werkkorpus des bisher noch viel zu wenig übersetzten Robert Kelly, zudem ein interessanter Vertreter des Genres Langgedicht und inhaltlich ein ehrlicher, verletzlicher, in alle Richtungen auslegbarer Diskurs des therapeutischen Sprechprinzips.
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