Die Wut der Trauer
Diktaturen haben panische Angst vor Literatur. Das war immer so, wird immer so sein und setzt all jenen etwas entgegen, die meinen, Literatur bewirke heute nichts mehr. Aber auch hierzulande kann Literatur noch etwas bewirken. Den Effekt in der Diktatur beschreibt der Musiker Shahin Najafi sehr treffend in seinem jüngst erschienen Buch „Wenn Gott schläft“: Als Kind und Heranwachsender war er ein Frömmler, ging in die Moschee, betete, war weitestgehend obrigkeitstreu. Doch dann begann er zu lesen. Dichter, Philosophen. Und mit dem Lesen kam der Zweifel, kam das Hinterfragen des Status Quo, der gesellschaftlichen Strukturen und der Hintergründe. Es kam die Reflexion und die Ablehnung von Autoritäten. Leser sind schlechte Untertanen, die Mächtigen wissen das. Deshalb herrscht in Iran, Najafis Geburtsland, eine rigide Zensur.
Shahin Najafi floh 2005 aus Iran, lebt heute anonym in Köln. Bis vor kurzem hatte er ständigen Personenschutz. Seit er im Frühjahr 2012 seinen Song „Naghi“ veröffentlichte, in dem er den seit 1000 Jahren toten Imam anfleht, zurückzukehren und die Korruption und all das andere menschengemachte Elend zu beenden. Das brachte ihm eine Todesfatwa ein und ein Kopfgeld von 100 000 Euro für denjenigen, der ihn tötet.
Günter Wallraff half ihm, unterzutauchen, organisierte den Polizeischutz, aktivierte die Medien, die sich hinter Najafi stellten. Najafi hätte sich zurückziehen, hätte aufhören können, um die Gefahr zu reduzieren, hätte sich öffentlich entschuldigen und Reue bekunden können, vielleicht hätte das die Hetzer des Regimes in Teheran besänftigt, man weiß es nicht. Aber er blieb aufrecht, er machte weiter, er ließ sich nicht unterkriegen und er verleugnete nicht seine Überzeugungen. Najafis Songs sind hart, direkt, schmerzhaft und schockierend, und das sollen sie auch sein. Das saturierte Geschwätz von Intellektuellen, die von ihrem gemütlichen Sessel aus die Welt erklären ohne sie je verstanden zu haben, ist ihm zuwider. Er singt nicht von irgendwelchen gesichtslosen Menschenrechtsverletzungen, ein Wort, das auch die Täter gerne im Mund führen, wenn es gerade ihren Zwecken nutzt, sondern er spricht Klartext. Er singt von Neda Agha-Soltani, die während der Demonstrationen der Grünen Bewegung in Iran 2009 erschossen wurde und vor laufenden Kameras starb. Er singt von der Studentin Taraneh Mousavi, die zur selben Zeit verhaftet, mehrfach vergewaltigt und dann ermordet und in einen Straßengraben geworfen wurde. Er spricht aus, was tägliche Realität ist: Von Eltern, die, wenn sie ihre Kinder beerdigen wollen, erst die Kugeln bezahlen müssen, mit denen sie getötet wurden. „Wir sind keine Männer“ singt er, an die Adresse all jener, die Frauen misshandeln, schlagen und unterdrücken. An alle, die Gewalt gegen Schwächere anwenden, denn das sind die jämmerlichsten Schwächlinge, die es überhaupt gibt.
In „Wenn Gott schläft“ erscheinen Najafis Songs und Gedichte erstmals auf Deutsch, übersetzt von M. H. Allafi und mit Erläuterungen von Omid Nouripour, ergänzt durch autobiografische Einblicke eines Menschen, der alle Widrigkeiten auf sich nimmt und sich durch nichts und niemanden korrumpieren lässt. Seit Mai 2013 steht er auch wieder auf der Bühne. Trotz der Drohungen. Trotz allem. Und er wird nicht müde, die Doppelmoral und Verlogenheit der religiösen Hardliner und Machtmenschen und ihrer Mitläufer zu thematisieren. Alle Versuche der politischen Vereinnahmung hat er abgeschmettert. Er steht für sich. Und gibt den Vielen eine Stimme, die für sich selbst nicht sprechen kann. Mit den Worten von Omid Nouripour: „Shahin Najafi ist der wütende Barde der Trauer eines Volkes, das um seine Freiheit kämpft.“
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