Dunkle Satire auf dunkle politische Verhältnisse
Dr. Mohsen N. ist tot. Er starb zuletzt. Nach seiner Frau Malektadsch und lange nach dem ehemaligen iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh, dessen Stellvertreter er war. Shahram Rahimians Roman beginnt und endet mit N.s Tod, und dazwischen liegt ein atemloser Stream Of Conciousness über den Wahnsinn und das Zerbrechen von Menschen an ihren Emotionen einerseits und am Leben in widrigen politischen Verhältnissen andererseits.
„Eine der glänzendsten, rührendsten und qualvsollsten Liebesgeschichten“ Irans, hatte das Persian Book Review über „Dr. N. liebt seine Frau mehr als Mossadegh“ geurteilt, und all das stimmt. Zudem ist der schlanke Roman eine mitunter ins Absurde tendierende Satire auf den Irrsinn menschlicher Beziehungen und auf die alltäglichen Lebenslügen.
Mohammed Mossadegh war der erste demokratische Ministerpräsident Irans, die frühen 50er Jahre eine Blütezeit – bis Mossadegh 1953 von den USA und den Briten zugunsten der Militärdiktatur Reza Shahs aus dem Amt geputscht und ins Exil getrieben wurde. Bis heute sitzt dieses Ereignis tief in der iranischen Seele. Mossadegh ist unvergessen, und die Frage, wo Iran heute wäre, hätte der Putsch nicht stattgefunden, steht im Raum.
Dr. N. ist Mossadeghs Stellvertreter, und mit einem Handschlag schwört er ihm ewige treue. Er ist dem Ministerpräsidenten zutiefst ergeben, er vergöttert ihn. Nach dem Putsch wird er vom Geheimdienst des Shah verhaftet und in einen der vielen Folterkeller gesperrt. Er soll öffentlich, in einem Radiointerview, von Mossadegh abrücken und ihn diskreditieren, dann werde man ihn freilassen, dann habe er sogar Aussicht darauf, in der Politik wieder Fuß fassen zu können. Aber N. weigert sich, auch als sein Kollege Fatemi – ebenfalls enger Vertrauter Mossadeghs – aufgrund der selben Weigerung ermordet wird. Bis zu dem Tag, an dem er aus dem Nebenraum eine Frau qualvoll schreien hört. Die Häscher geben vor, seine Frau zu foltern und zu misshandeln, und da bricht N.s Schutzwall in sich zusammen. Er willigt ein und gibt das Interview.
Später erfährt er: Es war gar nicht seine Frau Malektadsch, er ist auf einen Trick hereingefallen. Daran zerbricht er. Jahre später lauern ihm Mossadegh-Treue in einer dunklen Gasse auf und schlagen ihn brutal zusammen. Fortan schließt er sich in seinem Haus ein und verfällt zunehmend dem Wahnsinn. Plötzlich, ein Jahr nach dessen Tod, erscheint ihm Mossadegh und wird sein ständiger Begleiter. Er fordert Buße für den Verrat, er fordert, dass N. seine Frau loswerden muss, und ihr gegenüber verhält er sich, als sei Mossadegh tatsächlich immer anwesend. Er wird zum Alkoholiker, verwahrlost zusehends, bis bei einem Unfall auch seine Frau stirbt. Er bezahlt zwei Gauner dafür, ihm ihre Leiche zu bringen. Mossadegh scheint nun zufrieden zu sein, aber noch immer liebt Dr. N. seine Frau mehr als ihn
Es ist ein herrlich respektloses Buch, das Rahimian hier vorlegt, das man als absurde Geschichte von Liebe und Abhängigkeiten, aber auch als bitterböse Parabel auf die Entwicklung Irans in den letzten sechzig Jahren lesen kann. Stilistisch bewegt sich der Roman auf höchstem Niveau, die Verschachtelung der Zeitebenen und Erzählperspektiven, der zielsichere Wechsel von der ersten in die dritte Person und zurück, immer dann, wenn N. sich selbst von außen betrachtet, sind von einer Kunstfertigkeit, wie sie nur selten zu finden ist. „Dr. N. liebt seine Frau mehr als Mossadegh“ ist ein tiefgründiges und vielschichtiges Buch von höchster Prägnanz. Kein Wort zuviel, keins zu wenig.
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