Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Da ein' vom Adel muss dem schlechtsten Dichter weichen

Eine Auswahl von Gedichten der 1638 jung verstorbenen Sibylla Schwarz ist bei Reinecke & Voß erschienen.
Hamburg

Sibylla Schwarz lebte in Greifswald während des dreissigjährigen Krieges und wurde nur 17 Jahre alt. Sie hinterließ etwas über 100 Gedichte, die 1650 posthum von ihrem Förderer Samule Gerlach herausgegeben wurden. Der Vergessenheit, in welche die Autorin dieser "Deutsche[n] Poëtische[n] Gedichte" erst im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts geriet, will der Verlag Reinecke & Voß abhelfen; eine Gesamtausgabe der "Sibylle Schwarzin Vohn Greiffswald aus Pommern" ist in Vorbereitung. Ich entnehme diese Information einem kleinen Auswahlbändchen in teilweise modernisierter Orthographie, das in dem selben Verlag unter dem Titel "Ist Lieben Lust, wer bringt dann das Beschwer?" erschienen ist.

Da dieses Bändchen sich ganz ostentativ als "Leseheft" gibt, und eben nicht als wissenschaftliche Ausgabe, wäre es nun so wenig statthaft, über Details der geglätteten Wiedergabe zu reden, wie es sinnvoll wäre, die barocken Gedichte der Sibylle Schwarz nach Maßgabe der Konventionen der Lyrik des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu lesen. Was soll also der Rezensent noch tun, ausser die Existenz des Büchleins, seiner Dichterin und seiner Herausgeber aus dem "Freundeskreis Sibylle Schwarz e.V." zu konstatieren? ...

... Er könnte nach Lektüre dieser erstaunlichen Gedichte zum Beispiel damit anfangen, sich über die Wahl des Titels zu wundern. Dieser stammt aus einem der Liebesgedichte:

Ist Lieben keusch ? Wo kommt denn Ehbruch her ?
Ist Lieben gut / nichts Böses drin zu finden /
Wie kann sein Feur dann gar so viel entzünden ?
Ist Lieben Lust / wer bringt dann das Beschwer ?

Wer Lieben liebt / fährt auf der Wollust Meer /
Und lässet sich ins Todes Netze binden /
[...]

... was freilich nicht frömmelnd, sondern geradezu diskursiv gelesen werden muss. Wir reden immerhin von einer sehr jungen Frau, gerade dabei, die ihr präsentierten gesellschaftlichen Normen und Werte, die naturgemäß widersprüchlich sind, für sich auf einen handhabbaren Nenner zu bringen. Einerseits der dominante Diskurs religiöser Sprache, christlicher Selbstverständlichkeiten, der gesellschaftlich Praktikables auf eine noch selbstverständliche Metaphysik rückbindet; andererseits der Bildungsdiskurs der Antikenrezeption mit u.a. Göttern im Plural, hier zu verstehen als Eintrittskarte der Schwarzin in das, was wir heute "Literaturbetrieb" oder "Kunstwelt" nennen würden – von einer Frau ohnehin nur gegen erhebliche Widerstände überhaupt zu erwerben; drittens das "Eigene", Erziehung und Umfeld der Autorin, heimatliche Landschaften und Arbeitszusammenhänge, das in diesen Texten eine große Rolle als Tertium Comparationis zu jenen anderen beiden so viel höher gehängten Welten / Sprachen / Möglichkeitsräumen spielt. Wollten wir sicher behaupten, dass diesem Dritten seine große Wirkung bei Schwarz vor allem wegen ihrer Jugend zukommt, ihrer noch-Unsicherheit im Umgang mit den eignen Gedanken und Ausdrucksmitteln, dann müssten wir befürchten, von heute auf damals zu projizieren. Genauso gut könnten wir davon ausgehen, dass die Rückbindung dieser beiden dominanten Diskursdialekte (sagen wir: weltliche und geistliche Bildung) an eine greifbare Lebenswelt tatsächlicher Menschen das Thema dieser Autorin auch geblieben wäre, wenn sie Zeit bekommen hätte, älter und gereifter zu werden. Wer weiß?

Der Titel jedenfalls, wie er auf dem Cover steht, setzt uns auf eine falsche Fährte. Denn was die vorliegende, gekonnt angeordnete Auswahl leistet, ist nicht primär, uns mit "Lieben", "Lust" und "Beschwer" einer aussergewöhnlichen jungen Greifswalderin jener dunklen Epoche vertraut zu machen (dafür reichen die ersten vier-fünf Gedichte), sondern besteht darin, uns barocke Lebenswelten ausserhalb der sattsam abgehandelten Fürstenhöfe vor Augen zu führen, was ihr drohendes Auseinanderbrechen bzw. ihre Beharrungskräfte im Angesicht des ominpräsenten Krieges mit einbegreift.

Viele der Gedichte sind Pastoralen, oder behandeln den Gegensatz zwischen Stadt und Land implizit, zwischen Zeilen - wir dürfen annehmen, dass darin ein gesellschaftlich erlaubter Weg bestand, den oben erwähnten Unterschied christlicher und antiker Denkwelten ohne den Zwang zum stets schon feststehenden Ergbnis zu behandeln. Zweidrei Landschaften, Orte, fixe Freundeskreise kehren immer wieder. Wissend, zu welcher Zeit diese Verse geschrieben werden, und dass sie sich einer Frau verdanken, die sich ihre Welt sozusagen noch erobern musste, suchen wir in diesen Texten nach den Spuren des Krieges, der realgeschichtlich nicht weit entfernt von ihrer "Fretowischen Fröhlichkeit" sein konnte; und es sind tatsächlich nur Spuren (die Gesänge an die schöne Schäferlandschaft werden ernster, flehender, die Blicke gehen weiter zum Horizont, irgend etwas wird nicht gesagt ...) – bis plötzlich eine der Pastoralen diesen Titel hat: "Chor der Schäfer und Hirten aus dem Trauerspiel Wegen Einäscherung ihres Freudenortes Fretow". Ein anderes, "Auf ihren Abschied aufs Geifswald / Gesang", beginnt:

Weil dann der Unhold gänzlich mir
Zum Greifswald nicht will länger leiden /
So bleibt dennoch mein Herz allhier /
Und wird sich nimmer von euch scheiden !

Wohin gedenckstu dann mein Sinn ?
Ist doch Europa ganz voll Kriegen /
Es ist ja wahrlich kein Gewinn /
Von einem stets zum andern fliegen.

Der Krieg ist also da. Die Geschichte von der jungen Frau, die sich halbverbotenes Bildungsgut aneignet und die relevanten Bildungsdialekte ihrer Zeit mit ihrer Lebenswelt rückbidnet, die aus eigenem Recht so etwas wie Status erwirbt und egalitär genug denkt, um etwa zu schreiben –

Da ein' vom Adel muss dem schlechtsten Dichter weichen

– diese Geschichte also reisst mitten drinnen ab, denn, noch einmal: Der Krieg ist da, die Dichterin ein "Flüchtling".

Das Auswahlbändchen, das Reinecke & Voß der geplanten Werkausgabe vorausschicken, bindet durch seinen klugen Aufbau Sibylle Schwarzens Sprache und Welt an unsere zurück; reizt zur Beschäftigung mit der "Pommerschen Sappho"; und was sonst sollte es schon leisten?

Sibylla Schwarz
Ist Lieben Lust, wer bringt dann das Beschwer?
Nachwort: Michael Gratz
Reinecke & Voß
2016 · 60 Seiten · 9,00 Euro
ISBN:
978-3-942901-21-5

Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge