Kritik

Blase, Stillstand, kribbelnde Körper

Simone Lapperts heimlich politischer Roman „Wurfschatten“
Hamburg

Adas Gliedmaßen zittern, ihr Herz rast. Unter der Taucherglocke aus Glas herrscht Luftnot, die Wahrnehmungen sind gedämpft. Ihr Körper setzt sich zur Wehr. Sie hat ein Stethoskop für diese Momente, um zu prüfen, wie viel noch zwischen ihr und ihrem Tod liegt, außerdem die Therapietapete in ihrer Wohnung, auf der sie ihre Ängste von A bis Z listet und mit furchteinflößenden, oft ekelerregenden Bildern versieht.

Simone Lappert, Absolventin des Schweizerischen Literaturinstituts und Teilnehmerin des 16. Klagenfurter Literaturkurses und der Autorenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloquiums Berlin, erzählt in ihrem im Metrolit Verlag erschienenen Debütroman „Wurfschatten“ von einem Körper, der nicht mehr tragen will, was an Sorgen in ihn gehäuft wird.

Die 25-jährige Ada, Schauspielerin bei „Mord an Bord“, einem Krimidinner, spricht davon, sich wieder an den großen Bühnen zu bewerben, sobald sie von dieser vermeintlich frei gewählten künstlerischen Auszeit genug hat. Innerlich jedoch entgleitet ihr die Hoffnung auf ein verheißendes Engagement immer mehr. Ängste besetzen ihre Kapazitäten. Als sie mit der Miete zunehmend in Rückstand gerät, droht ihr Vermieter Matuschek mit der Kündigung. Schlaflos ruft sie ihn eines Nachts an, nur um eine Stimme zu hören. Sie spricht mit ihm über Fische, die ihr nah sind, weil die lidlosen Tiere genau wie sie niemals die Augen schließen. Die Idee, die ihr Vermieter schließlich entwickelt, um Ada zu ermöglichen, weiter in der Wohnung zu wohnen, heißt Juri und ist Matuscheks Enkel. Eines Tages ist er in ihrer Abwesenheit zu ihr in die Wohnung eingezogen.

Voller Scham sieht Ada, wie Juri die Therapietapete sorgfältig abgenommen und auf ihr Bett gelegt hat. Sie nimmt wahr, wie sie zunehmend durchsichtig wird vor ihm, vor dem sie ihre Ängste nicht verbergen und ihre fragilen Wirklichkeitsbehauptungen nicht aufrechterhalten kann. Versuche, ihn wieder hinauszuekeln, scheitern. Aus dem Fremden wird gezwungenermaßen ein Vertrauter. Eines Nachts legt Ada sich zu ihm ins Bett. Als beide nicht schlafen können, zeigt sie ihm, was sie in diesem Fall für gewöhnlich tut und fährt mit Juri im Taxi durch die Stadt: „Solange man von jemandem irgendwo hingefahren wird, hat man die vollkommene Berechtigung dazu, nichts zu tun.“ Eine Liebesgeschichte beginnt.

Lappert erzählt in „Wurfschatten“ die Tragik des innerlichen Zerbrechens bei fortbestehender Notwendigkeit nach außen hin keinen Bruch entstehen zu lassen.

Sie entscheidet sich für eine Erzählweise, die das Individuelle der von ihr erzählten Geschichte hervorhebt. Aber sie beschreibt kein individuelles Problem. Es ist zu hoffen, dass die gesellschaftliche Tragweite, die dieser kleinen, vermeintlich individuellen Geschichte innewohnt, von Lesern und Rezensenten erkannt wird und dass Adas Ängste nicht, wie zu häufig in der Realität, individuellem Versagen zugeschrieben werden. Der Druck, der Adas Körper zu zerbersten droht, ist ein äußerer, der entsteht aus dem Gefühl der Chancenlosigkeit, der finanziellen Not und dem Eindruck, den Anschluss verloren zu haben und abgehängt zu sein. Nicht immer wird das ausformuliert, aber in diesem Gefühl liegt die gesellschaftliche Relevanz des Romans.

Die Blase, in die Ada gerät, und der Stillstand, der in ihr herrscht, spiegeln sich in der Sprache wieder, die Lappert gefunden hat. Wo die Chancen zur Teilhabe in gesellschaftlicher Hinsicht schwinden, folgt der erzwungene Rückzug ins Private. Adas Wahrnehmung wird zu der eines Kindes, das jedem Detail Beachtung schenkt: „Vorsichtig kniete sie sich neben Juris Bett. Wenn seine Brust sich mit dem Atem hob, verschwand das Wasserglas neben der Matratze, bis er wieder ausatmete.“ Eine Wahrnehmung, die der Funktionierende, gesellschaftlich Eingebundene, oft Getriebene nicht mehr zur Verfügung hat.

Ada ist kein Einzelfall, auch wenn sie mehr leidet, als ihre gleichaltrigen Freunde: „Im spiegelnden Küchenfenster betrachtete Ada das schweigende Grüppchen, das sie waren. Jeder von ihnen kämpfte auf seine Art um einen Platz, der groß genug war, um eine eigene Geschichte darauf zu errichten. Die Müdigkeit ließ sie einander gleichen. Im Grunde wollte keiner von ihnen aufstehen und an morgen denken.“

Mit erschreckender Leichtigkeit erzählt „Wurfschatten“ sehr sinnlich von dem Verlust einer zum Dasein berechtigenden Ordnung und Aufgabe und dem Zurückbleiben des Einzelnen, dessen Chancen, angstgefangen und gelähmt, allmählich immer weniger werden.

Etwas privater und kleiner wird der Roman im letzten Drittel. Die Liebesbeziehung zwischen Ada und Juri rückt in den Fokus. Sie ist rührend, aber die Thematik des Verhältnisses von gesellschaftlichen Umständen und psychischen wie körperlichen Reaktionen des Einzelnen tritt in den Hintergrund.

Das Format des Romans ist beschaulich. Die Sprache einfach, fantasievoll und manchmal komisch: „ich weiß noch, wie es mir beim letzten Mal ging, als du mir eins deiner harmlosen Tütchen gebastelt hast, da habe ich stundenlang kichernd in Unterwäsche auf dem Küchenboden gesessen und Ovomaltine aus der Büchse gelöffelt. Hinterher hatte ich eine Blasenentzündung.“

Aber Lappert hat einen heimlich politischen Roman über die Angst geschrieben. Sie lenkt den Blick auf ein Problem, das dem Einzelnen zur Last gelegt wird, jedoch gesellschaftlich begründet ist. So diskursfern der Roman wirkt, so nah man ihren Figuren, allen voran Ada, kommt und so individuell ihre Geschichte erscheinen mag, in „Wurfschatten“ steckt ein Stück brisante Gesellschaftsanalyse.

Simone Lappert
Wurfschatten
Metrolit
2014 · 207 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-8493-0095-1

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