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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Es bleibt wie es war und immer gewesen ist

Das Hawelka

Donnerstagvormittag im Hawelka. Kurz nach zehn wird's plötzlich still, die Tür geht auf und der Seniorchef tritt ein. Leopold Hawelka schreitet durch sein Lokal, nimmt an einem Marmortisch Platz, laesst sich eine Melange bringen und beginnt sein Tagwerk. Was macht der Hawelka im Hawelka? Natürlich serviert er mit seinen fast 100 Jahren nicht mehr den Kaffee, er räumt das Geschirr nicht ab, wischt die Brösel nicht von den Tischen wie er das frü̈her tat. Nein, der Herr Hawelka sitzt nur da, wird von Touristen bestaunt und gibt Autogramme.

Zu solchem Ruhm hat's wohl kein Cafetier vor ihm gebracht. Der Herr Hawelka ist weltberühmt, sein Name steht in allen Stadtführern; Amerikaner, Franzosen und Japaner suchen ihn auf, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. "Das Lokal ist mein Leben", erklärt der verwitwete Kaffeehausbesitzer, als ich mich zu ihm setze, "ich wüsste gar nicht, was ich den ganzen Tag sonst machen würde".
Auf dem Marmortisch neben der Theke, an dem der Herr Hawelka sitzt, liegt das Buch. "Das Hawelka, Geschichte & Legende". Die Autorin Sonja Moser erzählt darin vom Kaffeehaus, von seinen Gästen und von der Familie Hawelka. "Es war schön, noch einmal an die alten Zeiten zu denken", sagt der Herr Hawelka leise, "da sind viele Erinnerungen aufgetaucht."

Erinnerungen vor allem an seine Frau Josefine, die er 1936 im Restaurant Dreierl nahe der Bellaria kennenlernte, wo sie Sitzkassierin und er Kellner war. Drei Jahre nach der Hochzeit kauften sie die einstige "Chatham"-Bar in der Dorotheergasse, die infolge ihrer Separees von den Wienern logischerweise "Je t'aime"-Bar genannt wurde. Georg Danzer dürfte, als er sein berühmtes Lied schrieb, nicht einmal geahnt haben, dass es in grauer Vorzeit tatsächlich manch "Nackerten im Hawelka" gegeben hat.
Die erste Saison des neuen Cafés dauerte nur ein paar Monate, weil der Herr Hawelka im Mai 1940 in den Krieg ziehen musste und sein Lokal nun als Holzlager und Magazin diente. Nach der Wiedereröffnung im Jahre 1945 gab's Feigenkaffee, Alkoholika und Zigaretten, die die Hawelkas im Schleichhandel erstanden hatten. Für viele war das Kaffeehaus in diesen Tagen vor allem eine Wärmestube, in der man für eine Konsumation von ein paar Groschen stundenlang in einem geheizten Raum sitzen, diskutieren und Zeitung lesen konnte.

Doch bald wurde das Hawelka zum Künstlertreff. Als Friedrich Torberg aus der Emigration heimkehrte, lautete die erste Frage, die er an seinen Schriftstellerkollegen Hans Weigel richtete: "Wo sitzt man nach Mitternacht?" Und da dieser die verrauchte Atmosphäre des Kaffeehauses beim Graben bereits entdeckt hatte, strömte nun alles ins Hawelka; von H. C. Artmann über Hilde Spiel bis Heimito von Doderer, der einmal erklärte, warum dieses Café so einzigartig sei: "Letzten Endes, weil der Herr Hawelka nicht renoviert."
Tatsächlich ist das Pluesch- und Marmor-Interieur samt Thonetsesseln und -kleiderständern bis heute unverändert geblieben. Die Bilder an den Wänden verdankt das Kaffeehaus seinen Stammgästen Hundertwasser, Arik Brauer, Ernst Fuchs, Attersee, Rudolf Hausner und Eduard Angeli. Der Herr Hawelka hat die Kunstwerke den damals noch unbekannten Malern abgekauft - mehr aus Mitleid als im Bewusstsein, sein Geld gut angelegt zu haben

Irgendwann eröffnete auch Helmut Qualtinger im Hawelka sein Wohnzimmer, "und Oskar Werner weilte Tag und Nacht bei uns", wobei sein Weinkonsum "oftmals die unsichtbaren Grenzen überstieg".

Als der Herr Hawelka 1975 zum ersten Mal Georg Danzers "Jö schau, so a Sau, jössas na, was macht a Nackerter im Hawelka" im Radio hörte, dachte er "jetzt is alles aus", denn die Vorstellung, ein Gast könne sich in seinem Lokal entblößen - was bis dato nie vorgekommen war - ließ die Welt des Cafetiers erbeben. Er ahnte nicht, dass das Lied zum Kultsong werden - und manch ungebetenen Besucher zu ä̈hnlicher Aktion motivieren würde.

So nahm sich eine Dame, erinnert sich der frühere Ober Eduard, das Lied dermaßen zu Herzen, dass sie im Café ihre Kleidung ablegte - "aber komplett". Die Frau Hawelka reichte ihr das Notwendigste und sagte ganz ruhig: "So, jetzt ziehen wir uns wieder an, wir wollen uns ja nicht verkühlen." Womit die Moral im Hawelka wieder hergestellt war. Seitdem, gibt man sich erleichtert, haben wieder sämtliche Gäste ihre Gewänder anbehalten.

Zu einer Legende wie der Herr Hawelka eine ist, wird man nur durch hundertprozentigen Einsatz. Früher war er täglich 18 Stunden im Lokal; mit achtzig Jahren begann er seine Anwesenheit auf zwölf Stunden zu reduzieren. Und jetzt ist er nur noch vormittags da. "Ans Aufhören hab ich aber nie gedacht, ich regeneriere mich im Kaffeehaus. So lang es geht, werde ich da sein."

So hat es auch seine Frau gehalten, mit der er fast siebzig Jahre verheiratet war. In der Nacht zum 22. März 2005 hat sie noch frische Buchteln serviert, Stunden später starb die Frau Hawelka, 91-jährig, nach einem Schwächeanfall.

Heute wird das Kaffeehaus von Sohn Günter und den Enkeln Amir und Michael Hawelka geführt. Nach modernsten Geschäftsmethoden, deren oberste Maxime besagt, dass im Hawelka alles so bleiben muss wie es immer gewesen ist.

Sonja Moser
Das Hawelka. Geschichte & Legende
pichler
2009 · 252 Seiten · 24,95 Euro
ISBN:
978-3-854315001
Erstveröffentlicht: 
Kurier

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