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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Als würde man alles sehr ernst nehmen, nur sich selbst nicht

Hamburg

Anatomie also. Im Zimmer. Das lässt an weiße Kittel denken, an Skalpelle, an Schnitte und einen Einblick in das, was normalerweise unter der schützenden Haut verborgen liegt. Die Suche nach etwas, das vielleicht Ursache war für Krankheit und Tod. Gerade weil es sich nicht zu erkennen gab, bevor es zu spät war.

In diese Richtung lenkt der Titel meinen Blick, meine Erwartung vermutlich auch. Die Gedichte, die Daniela Kocmut mit ihrer Übersetzung erstmals auch einem deutschen Publikum zugänglich macht, sind in drei Blöcken angeordnet, die jeweils durch ein Zitat der Dichterin Slavica \avli eingeleitet werden. Die einleitenden Zitate sind der Schlüssel, der die Räume zu den jeweiligen Gedichten öffnet.

Zunächst ist das der relative weite Raum, in dem von Verbindungen, Beziehungen und Gedanken die Rede ist, bevor es im zweiten Teil privater und intimer wird, Heimat, Familie und die Wohnung geraten in den Blick. Im letzten Teil bleibt dann nur noch der Schnitt in die Haut, da fließt Blut, man geht sich gegenseitig unter die Haut (exemplarisch im titelgebenden Gedicht „Anatomie im Zimmer“), die Gefahr Blicke zu tauschen (die zuvor wissenschaftlich exakt berechnet wurden), wird benannt.

Viele Gedichte beginnen mit „ich erinnere mich“. Vergangenheit spielt eine große Rolle, aber nicht als etwas Nostalgisches, sondern um zu zeigen, wie trügerisch eine nur scheinbar gemeinsame Vergangenheit ist, wenn es immer wieder das Subjektive jeder Erinnerung ist, das allgemeingültiger ist als alle verbrieften Fakten. Weil jegliche Verständigung sehr schnell an Grenzen gerät, wobei diese Grenzen geschlechtlicher Natur sein können (Der Duft nach Papier), oder kulturell bedingt (Die Poesie meines Landes). Und Hrastelj macht diese Grenzen fühlbar. Ihre Gedichte lassen den Leser begreifen, dass es nicht die Gedanken sind, die uns verbinden, sondern ein paar sehr einfache Beobachtungen.

         Warum man die Mutter nicht mag

                   zwar gibt es einige argumente
         sie zu mögen
         doch es bleibt höchst irritierend:
         sie geht einkaufen und zufällig weißt du das nicht
         und suchst sie und suchst sie im ganzen haus
         so wie wir damals gesucht haben wo sich vater erhängt hat

                   am genausten haben wir
         die räume mit rohren durchsucht
         sein bruder hat sich an der heizung erhängt
         der schwager an der wasserleitung
         ein halbes jahr haben wir ihn gesucht und nicht gefunden

                   du suchst sie aber du suchst keine leiche
         sondern ein warmes wesen mit falten und sanften händen
         die manchmal noch streicheln
         und du findest sie nicht
         nur ein riesiges kaltes haus
         gähnend leere zimmer
         die dich verschlingen wollen
         in die du hineinfällst und wo du dich verlierst
         voller angst bis sie zurückkommt

Bei allen Gedichten, in allen Räumen, die Stanka Hrastelj anatomisch erschließt, geht es auf durchaus unterschiedliche Weisen immer wieder im engeren (häufig auch körperlichen) Sinn um das Verborgene.

Was bleibt ist der rührende, von vornherein zum Scheitern verurteilte, Versuch, die Qualen im Inneren, all diese Verzweiflungsherde und unerhörten Unzulänglichkeiten, die unter der glatten, frisch gestrichenen, gut geschminkten Oberfläche verborgen sind, mit Hilfe von Wissenschaft, Technik, irgendeiner Art von Nüchternheit zu handhaben, d.h. zu verdrängen, klein zu halten, wenn man sie schon nicht vernichten kann. Aber vielleicht geht es auch nur darum, wie die neuen Medien Einzug halten in die alten Fragen, Probleme und Unlösbarkeiten.

        „die szenen wiederholen sich es wiederholen sich die morgen
                                               an denen wir uns ansehen
         so unsicher und verschreckt dass wir immer und immer wieder
         auf die neblige straße mit den autos rennen
         dass wir barfuß in die untiefen mit seeigeln stürzen
         die keramikstacheln bohren sich tief ein und brechen ab
         die sohlen werden die hauptplatinen des schmerzes
         ein großer trost ist, dass der zweifel an der realität des augenblicks
                                                        und des menschen
         leer ist denn das fleisch ist der beweis für die existenz wenn es um
                                                        die wunden eitert
         es schmerzt sogar im schlaf und den weniger wirklichen
         01010100 01100101 01101001 01101100 01100101 01101110
         00100000 01100100 011000101 01110010 0010000 01010111
         01100101 01101100 01110100“

Das ist kein Trost. Aber wer erwartet schon Trost von der Anatomie?

Auch sprachlich orientiert sich der Ton an medizinisch sauberen Schnitten. Es ist ein harter Takt, den Hrastelj in ihren Gedichten anschlägt. Sie lässt keine Oberfläche gelten, sie kratzt die glatten Fassaden so lange an, bis zum Vorschein kommt, was darunter liegt. Und manchmal kann das trotz allem sogar etwas Tröstliches haben.

Stanka Hrastelj
Anatomie im Zimmer
Übersetzung:
Daniela Kocmut
Slowenisch/Deutsch
Edition Korrespondenzen
2013 · 104 Seiten · 14,00 Euro
ISBN:
978-3-902951-00-7

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