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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Lyrik nah am Rätselhaften

Es beginnt mit einer Szene, die in ihrem odenhaften Pathos an spirituelle Ekstase grenzt: „God washed his womb in the ocean. / All things that lived in or above the sea / rejoiced that they were there.“ („Gott wusch seinen Schoß im Meer. / Alles was im Ozean und über ihm lebte, / frohlockte darüber, daß es da war.”). Eine nahezu pantheistische Erfahrung eines Sprechers nah beim Empyreum, direkt beim Schöpfer: „his face and my face touched“ („Sein Gesicht und das meine berührten sich.“). Aber einer, der den Ozean und damit auch Gott wieder verlässt. „I came out of his womb dripping. I felt clean. / I knew that God was cold and wet wilderness. / Shivering, I dried God off me with a towel / then I hung him on a clothesline to dry.” (“Patschnaß kam ich aus seinem Schoß und war sauber. / Ich wußte, Gott war kalt, eine nasse Wildnis. / Fröstelnd rieb ich ihn mit dem Handtuch ab / und hängte ihn an die Wäscheleine zum Trocknen.”). Innerhalb weniger Verse wandelt sich die religiöse Utopie in ein Bild vom Entsteigen der Ursuppe, der Evolution. Die Gottesfigur rückt aus dem Fokus. Eine poetisch nachvollzogene Geste der Emanzipation, eine Art metaphorisch aufgearbeitete  Geschichte der Säkularisierung? Vielleicht. Es ist jedoch keine, die sich radikal gegen Spiritualität wenden würde – „God and the towel seemed happy and laughing“ („Gott und Handtuch gefiel es dort und sie lachten“) heißt es sofort wieder. Was fängt man mit diesem Gedicht an, das Stanley Moss‘ letzten Gedichtband eröffnet? Es ist aufgeladen mit Bedeutung, und jeder Versuch, die losen Enden zu verflechten, scheint sie noch mehr zu verwirren. Wie geht es mit Stanley Moss‘ Lyrik weiter? Genauso. Also: Genau anders, in derselben Art und Weise jedoch.

In einem Moment säuselt sie von einer Friedefreudeeierkuchen-Utopie, ein beruhigendes „The trade of war is over, there are no more battles“ („Mit dem Kriegshandwerk ist es aus und vorbei“), im nächsten schiebt sie Ernüchterung nach: „simple murder is still in“ („der normale Mord / ist noch üblich“). Eine erzwungene Differenzierung, ein Kontrapunkt, dessen Bedeutung nicht klar werden will. Immerhin ist eindeutig, welche Themenfelder Moss‘ Lyrik bedient, sie zeichnet die Kraft des Glaubens nach und denkt sie in all ihrer heilsamen und zerstörerischen Potenz durch. Immer flankiert von einem Blick auf wissenschaftliche Erkenntnisse, die im Lauf der Geschichte die Sicht auf die Geschichte änderten. Soweit wie im ersten Text: Keine Theodizee, obwohl den Gedichten der spirituelle Beiklang nicht abzusprechen ist – dem Göttlichen kann man sich in dieser Lyrik schwerlich entziehen, lässt sie doch selten von ihren Sujets. Viel eher klingen hier und dort Misstöne an, die eher das Menschengemachte, die organisierte Religion und ihre Perversion zum Ziel haben. Krieg, Unterdrückung – von Frauen, zumal, aber auch hier scheinen diese nicht nur als Opfer inszeniert zu werden – und im Endeffekt eine gewisse Gottlosigkeit, die nie explizit erwähnt wird.

Genau lässt sich das jedoch schwer fest machen, keiner der Texte lässt sich auf eine Aussage festnageln, viel weniger noch auf eine Intention. Selbst eine vermeintliche Plattitüde wie „The Lord is many.“ („Der HERR, das sind viele.“) verkompliziert sich im Kontext so sehr, dass sie fast unmöglich zu bestätigen oder zu widerlegen scheint. Die Kontrastierung hat etwas beinahe Abwehrendes, etwas von einem Selbstschutz, einem Rückzug auf den Widerspruch, absichtlicher Stiftung von Verwirrung statt Sinn, letztlich wirkt es so, als ginge es Moss‘ darum, möglichst unangreifbar zu schreiben. Das würde jedenfalls erklären, warum sich seine Lyrik so nah am Rätselhaften bewegt: Er will keine Stellung beziehen, er will vielleicht nicht einmal eine Stellungnahme seitens der Leserschaft provozieren, er will höchstens ein Angebot liefern. Aber es liest sich als ein fast esoterisches, spannungs- und saftloses. Die kurzen Schockmomente ersetzen keine durchdachte Problematisierung, sie verpuffen ganz schnell in der opaken Logik der Texte.

Erstaunlich überhaupt, wie das zustande kommt, sind die Gedichte doch in einer Sprache verfasst, eher einem erzählerischen Duktus zuzuordnen. Der Ton bleibt derselbe, hinkt in Sachen Spannung allen fantastischen Szenen fußlahm hinterher und kontrastiert Grausamkeiten mit einer an Zynismus grenzenden Lakonie: „Outside the walls of Jerusalem, the crusaders / dumped mounts of dead Muslims / and their green banners, the severed heads of Jews, / some still wrapped in prayer shawls, / while the Christian dead sprawled near the place of a skull / which is called in Hebrew Golgatha.” (“Vor den Mauern der Stadt warfen die Kreuzfahrer / Berge von toten Muslimen samt ihren grünen Standarten hinab / und die Schädel geköpfter Juden, manche noch eingehüllt / in Gebetsschals, während die toten Christen verstreut / neben einer Schädelstätte lagen, die Golgatha heißt.“

Hans Magnus Enzensberger nimmt sich in seiner Übersetzung Lizenzen heraus, die auf den ersten Blick unnötig sein mögen. Kleine, serviceorientierte Ergänzungen wie „Berg der Juden, / Montjuíc“, wo nur vom „Jew Mountain“ in Barcelona die Rede ist zum Beispiel. Jedoch sind selbst solch minimale Eingriffe bemerkenswert. Die Übertragung versucht sich immer wieder an genaueren Bestimmungen, an manchen Stellungen sogar Erklärungsversuche, Deutungen. Das resultiert natürlich in Schnitzern, selbst wenn es wenige sind. „If you wrong someone only he or she can forgive you, / not God.“ wird zu „Wenn du einem andern Böses antust, kann nur er / und kein Gott ihm vergeben.“ Die grammatikalische Undurchsichtigkeit des Originals  findet keine adäquate Entsprechung, aus dem „forgive you“ wird sogar ein „ihm vergeben“.

Moss‘ Lyrik entzieht sich und fordert damit vielmehr angestrengte Exegese als interessierte Reflexion ein. Das sicherlich mit bester Intention und nicht zuletzt spricht sie von vielen Dingen, die sonst eher unter den Tisch fallen mögen. Aber mehr als eine oberflächliche Gegenüberstellung verschiedener Aspekte gelingt dem US-Amerikaner in dieser Sammlung nicht. Darüber tröstet selbst das symbolbeladen dahin fabulierende Prosastück „Stanley Moss: Tagebuch eines Satyrs“ nicht hinweg, ganz im Gegenteil sogar.

Stanley Moss
Gedichte
Übersetzung:
Hans Magnus Enzensberger
Hanser
2010 · 128 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-446235632

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