Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Der Mittelfinger aus der Faust

Radikal subjektiv - die Gedichte von Stefan Schmitzer

So zähnefletschend einem die drei knallroten Worte „scheiß sozialer frieden“ auf dem Cover von Stefan Schmitzers neuestem Band ins Gesicht springen: Der Titel allein bietet entgegen aller Aggressivität noch nicht genug Anlass zum Affront. Den allerdings liefern die Gedichte nach – wenngleich nicht in dem, was sie sagen. Schmitzer rechnet mit all den Neo-Yuppies und Web-2.0-Hipstern ab, die sich in eine Art post-modernes Biedermeier zurückgezogen haben und dem vermeintlichen sozialen Frieden mit „eine[r] dem magischen weltbild angehörige[n] scheiße / die verriet auf welche ebene Sie zurückgerutscht waren“ begegnen. Schmitzer kotzt sich über eine verquere Art von Nationalismus aus, die getarnt daherkommt, in den Heiteitei-Wendungen der Medien, den verklärt-kuhäugigen Metaphern einer Generation, deren vorgeschobener Optimismus das Geschichtsbewusstsein verdrängt.

Das ist eine gängige Kritik, die häufig geäußert wird. Eine, die man im Uni-Seminar, dem Konzertsaal und der politisch ausgerichteten Gegenwartslyrik ständig hören kann. Was Schmitzer jedoch von seinen Schriftstellerkolleginnen und – kollegen unterscheidet, was ihn quasi wie den Mittelfinger aus der Faust herausstechen lässt, ist seine radikal subjektive Herangehensweise. Schmitzer scheißt tatsächlich auf alles: Auf den doppelten Boden der immer gern genommenen ironischen Wendungen – ein Stilmittel, das er nur vereinzelt einsetzt –, auf den post-strukturalistisch geprägten Fluchtweg aus der Autorintention heraus und auf jegliche political correctness. Schmitzer hat die Schnauze voll: Da sagt jemand „scheiß sozialer frieden“ und meint es tatsächlich, so und nicht anders, drängt sich über die aggressiven, zeitweise verstümmelt-elliptischen Verse das Gefühl auf. Schluss mit dem „ich / dann nicht // mehr ich / dann wieder ich“. Es heißt klar Stellung beziehen.

Problematisch ist dabei, dass Schmitzers Zielscheiben nicht nur sehr herkömmlich sind und seine Wut fast zu bekömmlich ist – wer würde ihm nicht, wenn auch verhalten, zustimmen wollen. Er scheint auch selbst noch in den Diskursen befangen, auf die er so wortgewaltig eindrischt. Davon zeugen die vielen popkulturellen Referenzen, davon zeugt auch ein intensives kulturgeschichtliches Namedropping, das ein ums andere Mal den Gedichten die Schau zu stehlen scheinen. Der blanke Zynismus, der in dieser Lyrik das Minimum darstellt, äußert sich in Titeln wie «über den prozess der zivilisation» zwar bestens, jedoch geben die vielen Anspielungen nicht nur die Lesart vor, sie treiben viele der Texte an den Rand der Überflüssigkeit. Selbst wenn auch das thematisiert wird: „WIE TRADEMARK DIESE MOVES SIND“ wird konstatiert. Vielleicht gegenüber dem eigenen Schreiben, das infiziert ist von Alltagssprech, Hipstertalk und akademischen Preziösen. Ein fader Beigeschmack bleibt häufig zurück, es schmeckt nach einer Befangenheit, die in eine Flucht nach vorn aufgelöst werden soll.  „scheiß sozialer frieden“ tritt die Tür ein und steht dann etwas zögerlich im Raum, der Band wirkt, als würde er noch darum ringen, eine wirklich angemessene Sprache zu finden, um seine Absichten zu kommunizieren. „die schächte, in denen wir stecken. oder muss man den bildaus- / schnitt drehen, und es sind röhren eigentlich. die klopfzei- / chen auch, mit denen wir uns verständigen.“

So oder so ist „scheiß sozialer frieden“ ein besonderer Band, der poetologisch gesehen allemal Anlass zum Affront gibt, weil er sich positioniert. Er positioniert sich gegen all jene, die keine Position beziehen, aber in seiner subjektiven Note ebenfalls gegen diejenigen, deren Lyrik Geltungsanspruch haben will. Es bleibt an Schmitzer, das noch zu verfeinern – aus den Augen verlieren sollte man ihn nicht.

Stefan Schmitzer
scheiß sozialer frieden
Nachwort: Clemens Setz
Droschl
2011 · 96 Seiten · 15,00 Euro
ISBN:
978-3-854207887

Fixpoetry 2011
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge