Weltfasern
Der Weltroman von Tanja Schwarz ist nur als E-Book erhältlich, mag sein, dass sich kein Printverlag dafür gefunden hat. Und E-Books haben es schwer, einen Weg in die Feuilletons zu finden. Aber dieser Umstand hat auch seine Bedeutung, räumt gerade dieses E-Book doch mit einigen Momenten europäischer Gemütlichkeit auf. Es ist ein Update; man kann dieses Buch als Gegenentwurf zu Krachts Imperium lesen. Krachts gefügter und sich fügender Welt, die letztlich der traditionellen europäisch-monistischen Haltung entspringt, wird eine zersplitterte entgegengehalten. Und die Welt ist bei Schwarz kein Puzzle mehr, die Teile ergeben zusammengefügt kein Ganzes. Abenteuerromane sind beide, sowohl Imperium als auch Weltroman, und bewegen sich sprachlich auf höchstem Niveau.
Tanja Schwarz wurde 1970 in Hechingen geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und debütierte mit der Erzählungssammlung Der nächtliche Skater, die 2001 im Gustav Kiepenheuerverlag Leipzig erschien.
In den vorletzten Jahren, den Jahren vor der Schuldenkrise, war in den hiesigen Medien viel von Megacities die Rede, von den Städten also, die sich vor allem in den Schwellenländern rasant ausbreiten, an Bevölkerung gewinnen, unübersichtlich sind, zumindest für uns Mitteleuropäer. Denn hier im Zentrum Europas, das wir gerne für das Zentrum der Welt halten, haben wir ja, was die Bevölkerung betrifft ein „Minuswachstum“, um einen alten, sehr belegten Begriff der Konjunkturnachrichten zu gebrauchen. Ein wenig aufgeschreckt werden wir, wenn Flüchtlingsboote vor den gut gesicherten EU-Grenzen kentern.
Mit der sogenannten Eurokrise ist es ruhiger geworden um dieses Phänomen wachsender Vorstädte in den Schwellenländern. Wir sind wieder sehr mit uns selber beschäftigt, mit der Sicherung unserer Sparguthaben zum Beispiel und mannigfaltigen Lebensmittelskandalen. Nur die momentan schlimmsten Nachrichten dringen zu uns durch, wie der Brand in einer riesigen Textilfabrik in Bangladesch.
Folgerichtig setzt Schwarz' Weltroman mit einer Schlacht im entvölkerten Brandenburg ein. Aber schon hier wird der europäische Paintballspass mit dem Welternst enggeführt. Frank, Journalist einer Regionalzeitung gerät auf einer ehemaligen sowjetischen Kasernenanlage zwischen die Fronten, wird sowohl mit bunten Farbkugeln als auch unvermittelt mit scharfer Munition beschossen. Eine Gruppe schwarzer Muskelmänner scheint hier etwas zu klären zu haben. Ein Paintballsoldat wird erschossen. Von hier aus zerfällt die Welt, oder das, was Frank bislang als seine Welt kennt und was doch nur eine Papierne Weltkarte im Brandenburger Ödland ist. Frank macht sich auf den Weg, oder er würde sich auf den Weg machen, wenn es einen gäbe.
Sein Projekt könnte viel eher heißen (ins Unreine formuliert, ohne die Möglichkeit, am Schriftbild zu manipulieren, und wahrscheinlich erinnert er sich morgen nicht mehr an seine in die Dunkelheit formulierten Sätze): Die Reise an verschiedene Schauplätze der Jetztzeit, als Selbstversuch.
Die Handlung des Romans bewegt sich im Zickzack über Erdteile, die Zeit scheint ihre Rolle an den Raum abzutreten. Es geht von Brandenburg nach China, von China über einen kleinen Hamburgaufenthalt nach Portugal, bevor in Afrika ein furioses Finale stattfindet. Und wie ein Schneeball den Schnee, wenn er in scheinbar chaotischen Bahnen darüber gerollt wird, nimmt der Text Protagonisten auf.
Frank begibt sich also zunächt auf eine Recherchereise nach China, die auch eine Selbstfindung sein soll. Er kommt sich dabei immer mehr abhanden und sieht auf dem Jangtse jene Gegenden, die bald durch den Dreischluchtenstaudamm überflutet werden. In Shanghai trifft er auf Ruben, der im Getümmel der chinesischen Stadt zunehmend die Kontrolle über sich verliert, und in den er sich verliebt, und beide treffen auf Mei Mei, eine chinesische Frau, die irgendwie den Absprung in die Ehe nicht geschafft hat und im konservativen China aus diesem Grund sozial entwurzelt ist. Die drei schließen sich in Hamburg einer Gruppe um einen Prediger an, geraten in Portugal in Auseinandersetzungen von Einwanderern und Waffenhändlern, fahren als blinde Passagier auf einem Handelsschiff nach Afrika, das als Exportgut europäischen Wohlstandsschrott geladen hat, und geraten in die Fänge Nigerianischer Piraten, aus denen sie der Prediger befreit. Einzig auf dem Handelsschiff vor seiner Entführung kommt etwas Ruhe auf. Aber eben nur für einen Moment. Wenn die Handlung kulminiert, zerfasert die Welt, an so etwas wie ein einheitliches Bild ist nicht zu denken.
Und genau hier schlägt die Stunde der Propheten. Der Roman endet in einem furiosen Massengottesdienst in Lagos, dessen Müllhalden sich als Wohngebiete erweisen. Hier gehen Politik und Religion skurrile Beziehungen ein, denn kurz vor dem Gottesdienst wird eine Wahlkampfveranstaltung beschrieben, die eher etwas von einer Schlemmerparty für Eingeweihte hat. Dort wird Demokratie beschworen. Und Demokratie und Religion offenbaren ihre gemeinsamen demagogischen Qualitäten. Wenn Marx Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts in seinen Thesen über Feuerbach schrieb, das die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert hätten, dass es aber darauf ankäme, sie zu verändern, zeigt Schwarz Roman, dass dieser doch eurozentrische Blick angesichts einer beständig sich verändernden Welt seinerseits einer Veränderung bedarf.
Wir reisen gewissermaßen auf dem oben erwähnten Handelsschiff inmitten unseres Wohlstandsmülls. Um uns die Welt befindet sich in rasanter Bewegung.
Schwarz, die die Handlungsorte bereist hat, wagt einen Blick über die Reling, und greift damit eine Tradition in der deutschen Literatur wieder auf, die seit B. Traven brach liegt.
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