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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Verloren im Ungefähren

Hamburg

„Es ist Frühling im Land der Jugend“ – so poetisch, beinahe schon nostalgisch beginnt Thomas Martinis Debütroman „Der Clown ohne Ort“. Wenig später ist die Rede von LSD und Pilzen; Regen trommelt auf das Dach eines Armeezelts „sein eigenes Trauerspiel zur Minimalmusik“.

Wo genau man sich gerade befindet, wann, mit wem, oder gar warum, bleibt oftmals unklar. Von der  ersten Seite an vermischen sich Realität, Träume, Erinnerungen und Halluzinationen zu einem rauschhaften Wahrnehmungs-Stakkato.

Martinis Hauptfigur Naïn ist ein Stadtnomade, der Neuanfänge gewohnt ist und die Anonymität Berlins schätzt. Sein vorbildlicher Lebenslauf beinhaltet ein Politikstudium, diverse Auslandsaufenthalte und schlecht bezahlte, dafür anspruchsvolle Praktika. Eine Assistenz-Stelle im Bundestag winkt, und schließlich sogar die Aussicht, im Europaparlament zu arbeiten.

Doch dann bricht Naïn zusammen. Ohne die Strickmütze seiner Oma kann er das Haus nicht mehr verlassen. Er schmeißt seine Karriere hin und jobbt stattdessen als Regie- und Produktionsassistent am Hexenkessel Hoftheater (in dem der Autor tatsächlich eine Weile lang gearbeitet hat). Dort gibt es – anders als im Bundestag – „immer genug Alkohol, und keiner hat wirklich ein Problem damit, wenn man zugeraucht mit einer grünen Wollmütze zur Arbeit kommt“.

9/11, Klimakatastrophe, Börsencrash – jedes Titelbild zeigt eine neue Krise. Überall wähnt Naïn die Apokalypse. Gleichzeitig weiß er überhaupt nicht, wogegen er noch ankämpfen soll. „Die Zeiten sind so niederschlagend leer, dass uns die Luft zum Atmen, geschweige denn zum Schreien oder Protestieren fehlt“: Das Mantra einer Generation ohne Utopien.

Orientierungslos wirft er sich ins Berliner Nachtleben. Die Schauplätze – Berghain, diverse Bars in Kreuzberg und Mitte – kennt man aus zahlreichen ach-so-kaputten Berlin-Romanen à la Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ (2010). Zur Musik von Peaches, Ton Steine Scherben, Aphex Twin oder The Knife taumelt Naïn von Party zu Party. Irgendwann landet er mit seiner Ex-Freundin Lisa im Bett. Ebenso aber auch mit  seiner Theaterkollegin B, der Fotografin W und der exzentrischen Lana mit den goldenen Glittertränen in den Augenwinkeln.

Dieser bunte Reigen an Bekanntschaften und Affären ist nicht nur verwirrend, sondern verwischt zusehends auch den Kern, den einem der Roman als Ursache für Naïns „Kältekrankheit“ nahelegen will: Den Verlust seiner großen Liebe.

Die Tatsache, dass ihm Amaia und Lisa, mit denen er in Barcelona ein kurzes Glück erlebte, verloren gingen, verkraftet Naïn nur noch völlig zugedröhnt. „MDMA, Speed, GHB, Keta, Gras natürlich, Upper and Downer, Pillen in schillernden Farben, kleinfingernagelgroße Buddhahappen, Meow, Mate, Guarana, Alkohol und Zigaretten“ – diese schwindlig machende Aufzählung  bewusstseinserweiternder Substanzen erinnert nicht nur an Christian Krachts Ur-Poproman „Faserland“, sondern ebenso an neuere Imitationen desselben, wie Henning Kobers „Unter diesem Einfluss“ (2009). Auch von letzterem hieß es übrigens, er habe versucht, das Lebensgefühl der sinnsuchenden „Generation 9/11“ einzufangen.

Ist „Der Clown ohne Ort“ also ein überflüssiges Buch?

Als x-ter Berlin-auf-Drogen-Roman sicherlich, als Zeitgeistdiagnose kommt er zumindest ein bisschen spät. Dennoch ist Martinis Debüt lesenswert. Es ist seine lebendige, Haken schlagende Sprache, die das Buch – auch wenn der Inhalt ein wenig unentschlossen daherkommt – zu einem herausragenden Stück Literatur macht. Leichte Kost bietet Martini seinen Lesern nicht: Der Text folgt keiner linearen Erzählung, sondern vielmehr einem assoziativen Bewusstseinsstrom, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinanderfließen. Altmodisch-lyrische Wendungen („Nur träumend war ihm zweisam“) treffen auf Umgangssprache („Alles Motherfucker“), fragmentarische Gedankenfetzen auf endlose Satzketten. Rhythmus und Sprachmelodie spielen eine große Rolle. Der Refrain lautet: „Da war alles gut, obwohl gar nichts gut war mit uns allen“. Immer wieder blitzen klar ausgeleuchtete Szenen aus dem Drogennebel, die wie scharfe Erinnerungssplitter im Hirn des Protagonisten (und des Lesers) steckenbleiben. Besonders gut gelingt dies im mittleren Kapitel, das mit seinen Lisa-Erinnerungsminiaturen das Kernstück des Romans bildet.

Leider umschifft Martini eine echte Auseinandersetzung mit dem Liebesverlust durch ein Übermaß an postpubertärem Pathos („Ich war schon verloren, bevor wir uns trafen“) und diversen Pseudo-Weisheiten („Die wenigsten haben die Kraft, sich alleine zu erleiden“).

So manche Wiederholung transportiert eine Melancholie, die im Grunde nichts aussagt: Wiesen „verlieren sich im Ungefähren“, Blicke gleiten „ins Ungefähre“; und nicht zuletzt sind Amaia und Lisa „große Lieben, die sich im Ungefähren verloren“.

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, der Zwang zur permanenten Selbstoptimierung und Selbstausbeutung,  Naïns familiär Hintergründe – all diese Themen werden lediglich gestreift. Zu flüchtig und zu unscharf, um daraus ein Generationenporträt oder auch nur ein  wirklich berührendes Bild der existenziellen Zerrissenheit des Protagonisten entstehen zu lassen. Verloren im Ungefähren, zieht Naïn es vor, zugedröhnt seine eigene Kaputtheit zu zelebrieren. Verloren im (sprachlich) Ungefähren, schafft der Autor es nicht, den Finger in die Wunde zu legen, das leere Zentrum aufzuzeigen, um das seine Hauptfigur kreist.

Mit Thomas Martini ist eine eigenwillige literarische Stimme auf dem Buchmarkt erschienen. Man darf gespannt sein, ob sie beim nächsten Buch zu einer eigenen Thematik findet.

Thomas Martini
Der Clown ohne Ort
Frankfurter Verlagsanstalt
2013 · 256 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-627-00188-9
Erstveröffentlicht: 
Weser-Kurier, Bremen

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