Das Gewicht der Tiefdruckgebiete
In diesem Buch ist von den Mühen der Ebene die Rede, dem Immer-wieder-Aufnehmen der Denkrituale. Der Literaturbetrieb, dem es nach Lautheit und den Träumen einer vorschnellen Erfüllung ist, überhört gern und schnell die stillen und bedächtigen Arbeiter im jeweiligen Bergwerk ihrer Gedichte, letzt sich am Schildern dürftig gewaschener Stellen im weiblichen Unternabelgebiet, ergeht sich, wenn er nichts anderes zur Hand hat, am Denis-Scheck’schen Ohrengewackel. So einfach könnte es sein, hört man, so einfach, wenn es nur nicht immer um Literatur gehen müsste, die Zumutungen der Lyriker gar.
Gottlob, möchte man rufen, ist Thomas Spaniel in einem ordentlichen Beruf unterwegs, und dennoch, so weiß man, ist jenes weiße Rauschen unter den Lyrik-Verfernten eine eigentlich traurige Schweinerei. Genauigkeit hat man dem sechsten Gedichtband dieses Dichters und Anwalts aus Nordthüringen bescheinigt, eine Auffächerung der Spaniel’schen Themen und – auch das – einen neuerlichen feinen Humor. Das alles ist wahr und – scharf errungen. Dem äußeren Ordnungssinn dieser Gedichte ist oft eine innere Desillusion beigeordnet, die sich in den ersten beiden Abteilungen von Text zu Text auflädt. „da begannen sie / plötzlich unsere / köpfe gegeneinander / zu schlagen wieder / und wieder“ heißt es in „programmänderung“, zugleich ein symptomatisches Beispiel für das im besten Sinne schleppende Enjambement Spaniels, das den Redeprozess eines Gedichts verlängt oder verkürzt, je nachdem. Zuvor ist in „programmänderung“ nichts passiert, nichts außer dem schwindenden TV-Empfang, der schließlich in beredter Leere vor sich hingrieselt und zur Eskalation führt.
Der „kleinen werkstoffkunde“ folgt so ein dräuendes „kammerflimmern“, ehe man es sich zu erlauben versucht, „aus den augen“ zu treten, „aus den augen“ zu sein, vielmehr noch, das Herbeizitierte „aus den augen“ zu bekommen, sei es durch das Verwischen der Spuren oder dass man sich ablenkt. Zuvor gab es, bereits im Titel, dieses der Sprache des Autors eigene Aufleuchten der Enttäuschung, des Absprechens: „ich erinnere mich / an keinerlei spielplan“ heißt es in einem erschreckend klaren ‚trüben Blick‘ durch das alte Zelluloid von Erwartung und Stillstand. Ähnlich beklemmend die „inschrift“: „ich bezahlte ein haus / in dem ich nicht wohnte / ständig rang ich nach atem / unter meinem stein“.
Dieses Gewicht der Tiefdruckgebiete lastet auf Spaniels Gedichten, die aride Düsternis des Südharz, das Werkeln in den Seitentälern der Vergeblichkeit. Sarah-Kirsch-Land, hört man es raunen, ein Landstrich, weiß man heute, der zugleich um die Verlorenheit ringt. Ebenso mit dem Spagat von Versehrtheit und Schönheit, wie er nunmehr für eine Reihe mitteldeutscher Landstriche als typisch geworden erscheint. Zuweilen Hoffnung, nicht selten ein „höhnisches lachen“. Ein Lachen, immerhin, am Weimarer Frauenplan. Thomas Spaniel fängt die Welt oft auf dem gerade noch gehaltenen Grat ihres drohenden, hereinbrechenden oder, das mag die verwirrenste Haltung sein, in der Deckung bleibenden Irreseins ein, fixiert sie mit dem Firnis eines abwägenden Beobachters am Rande. Ein gutes Beispiel dafür sind die Ausfälle, Ausfallschritte und gezirkelten Fluchtbewegungen des dritten Kapitels von „die irren kurse einer sterbenden fliege“ – hier schießen Reisenotate, Memorabilien, Enttäuschungen, aber auch zaghafte Offenbarungen in eins, hier findet sich von Zeit zu Zeit, Text zu Text der Hauch einer Art dunkler Verschmitztheit: in einem verhalten knirschenden Anthrazitton. Häufig bricht das in die Illusionsferne zurück, die Glocke des Schweriner Doms ist eben aus Eis, von klirrender Überzeugungskraft, die Sonne müht sich vor dem Gemäuer: „zweifel bewegen sich / nur noch sehr wenig / bei diesen temperaturen / die gläubigen bleiben / hellwach bis zum ende“. Das Läuten der eisigen Glocken mögen die Gläubigen noch fürchten, den Sinn ihrer Lockung erfassen sie, wie den Sinn von Gedichten, nicht mehr.
Skurril wiederum, dass sich der Februarstern um die auf dem Markt angebotenen Fische bekümmert, und die Menschen rauschen in ihren Mänteln davon. Sie sind auf das, wonach sie sich strecken, womöglich nicht angewiesen, und eilen nach Hause, um an den Antennen ihrer Begehrlichkeiten zu drehen. Vielleicht, dass sie in den Fernsehgeräten eine Sendung über das feuchte Murmeln der Schöße, das Ohrgewackel nicht verpassen wollen. Denkbar, dass ihnen ein Wort wie „gumperda“ oder „scherkonde“ – sie tauchen allesamt in Thomas Spaniels Sammlung auf – eben wie Glockengeläut klingt
…
Naja, es ist so, einen Gedichtband wird man unter Denis Schecks Empfehlungen nur selten entdecken, dabei könnte er es sich leisten, von Zeit zu Zeit ein gutes Werk zu tun. Auf der anderen Seite: man kann und vermag auch ohne diese traurigen Umwege wieder die Dichter hören und darf die Saumseligen im Vergrieseln ihrer selbst gewählten Belanglosigkeit getrost vor sich hin plappern lassen. „die ratten kennen // die ganze wahrheit / jemand versucht mich / zu übermalen ich kämpfe / die faust in der tasche / tapfer um meine farbe“ – heißt es am Ende von Thomas Spaniels neuen Texten. Sich würdig erweisen, wacker halten – mit der Wahrnehmung dieser Gedichte ist ein Anfang gemacht.
Fixpoetry 2011
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben