Die Sinnlichkeit des Unsinns unter einer matten Oberfläche
Auf den ersten Blick scheint der Gedichtband „mein horizont ist der first der nachbarhäuser“ ein weiterer Beitrag zum nicht abreißenden Gesang von der Einsamkeit in den Großstädten zu sein. Diesmal garniert mit Tieren: Schafe, Ziegen, Hunde, Geckos, wiederholt auch Mücken, bewohnen Thomas Steiners Gedichte.
Das ist allerdings nur die Oberfläche der Gedichte, die diese Lichtreflexe hervorruft.
lichtreflexe
auf stühlen (caféhausstühlen)
im freien, so ein unsinn!
auch die aschenbecher
im freien reflektieren die sonne & die
kanten der tischplatten (aus marmor) was
für ein unsinn ist das!autos fahren vorbei & auch auf ihnen
sehe ich lichtreflexe
das ist ärgerlich
doch die kunststoff pflanzen drinnen sind
schön matt
wie die augen der kellnerin.
Der Glanz der vorliegenden Gedichte liegt unter dieser sofort sichtbaren Oberfläche. Man könnte sagen: in der Sinnlichkeit des Unsinns, mit dem sie immer wieder spielen.
In ihrer sehr einfachen Sprache scheinen diese Gedichte auf den ersten Blick das Gegenteil von Schwierigen Gedichten zu sein, aber das ist nur die erste Ebene, auf der viel gezählt wird, beobachtet und zu Mustern angeordnet, in der Stadt, unter Brücken und in Wartezimmern.
Die Gedichte aus „mein horizont ist der first der nachbarhäuser“ sind ein wenig wie die Pilze im Schatten der Birke, von denen in einem der Gedichte die Rede ist. Bestechend einfältig entfalten sie ihren Glanz.
Thomas Steiner wurde 1961 in Tirol geboren, nach Aufenthalten in Graz und Tel Aviv, lebt er heute in Neu-Ulm. Meinen Recherchen im Internet zufolge hat er Physik studiert, und schreibt seit 2003 ernsthaft, nachdem er fast ein halbes Jahr lang das Haus nicht verlassen konnte. Ich weiß nicht, wie glaubwürdig und wie wahr diese Angabe ist, aber sie passt zu den vorliegenden Gedichten. Jetzt muss ich erklären, wie ich das meine. Und das ist schwer. Ungefähr so schwer, wie das Schöne im Leben zu beschreiben:
das schöne im leben
ist schwer zu beschreiben. mäuse sind schön
doch leider gefährlich.
auch kühe sind schön, doch
ich kann sie nicht leiden. Raben
sind schön, doch raben sind kitschig. der frühling
ist schön, doch er ist vorbei.
Ich bin nicht Thomas Steiner, und ich schreibe hier auch kein Gedicht, sondern eine Besprechung von einem Band mit Gedichten. Vielleicht lassen Sie es mir als Erklärung durchgehen, wenn ich schreibe, dass Steiner sich festbeißt in den Beobachtungen, dass er die Dinge sehr ernst nimmt und es trotzdem versteht, sie leicht aussehen zu lassen.
Weil es “mein horizont ist der first der nachbarhäuser“ ein Hochroth Band ist, ist das Buch mit einer Grafik versehen, und zwar von Uwe Meier-Weitmar, dessen Illustration mir schon bei Luis Chaves ersten Gedichtband „La foto“ sehr gefallen hat. Im vorliegenden Band sieht man ein beleuchtetes Haus im Blauen, aber wirklich gut sieht man eigentlich nur das rote Dach, den First, der den Horizont ausmacht. Für mich ist es eine sehr schöne ins Bildsetzung der Tatsache, dass es um kleine Dinge geht, um Naheliegendes, das doch viel weiter reicht, als es auf den ersten Blick aussehen mag.
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