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Kritik

„Hwyl” und „Wanderlust”

Hamburg

Die Theorie, Sprachen – Grammatik, aber auch mehr oder weniger differenzierte Ausdrücke – determiniere unser Denken, ist schön, aber unbewiesen, genauer mehren sich Indizien, die dagegen sprechen, zumal der je geübte Sprecher derlei Muster offenbar kompensiert.

Wie sollte man derlei auch beweisen? Die „magentafarben und smaragdgrün leuchtenden Flickenteppiche[n]” (13), wie Tiffany Watt Smith die Visualisierung der triggernden Gehirnregionen bei Scans nennt, erklären nicht, was ein „Erleben […] bedeuten” (14) könne.

Und dies ist ja das Feld, wo diese Theorie der das Denken bestimmenden Sprache besonders einleuchtet: Gefühle. Sind die Gefühle der Sprachen und die Sprachen der Gefühle1 also doch genauerer Betrachtung wert?

Hat man hier: emotional, wofür das Wort fehlt? Was war Liebe, ehe man sie erfand? Heiratspolitik, sexuelle Triebe..? Offenbar ist Liebe erst eine Erfindung, wiewohl sie danach real, wirksam wurde und nun vorerst einmal ist, wie es Erfindungen eben mitunter sind. Man kann von einem Beaujolais wie von der Liebe trunken sein, wiewohl guter Wein und sowieso Liebe „a Bourgeois Construct”2 waren und geblieben sein dürften.

Smith hat also nicht nur ein höchst amüsantes Buch geschrieben, als sie Das Buch der Gefühle verfaßte, es mag nun den Lesenden auch dahingehend bereichern, was und wie man empfindet, und sei’s in skurrilen Bereichen.

Was sie gibt, ist ein kommentierter Index idiomatischer Emotion … oder emotionaler Idiome, wer wollte das sagen? „Abhiman” (29) etwa, ein Stolz, der gekränkt wurde, und zwar durch Verrat; „Acedia”, „Trägheit des Herzens” (31); Formen der Langeweile, worin man rostet oder sich „cheesed off” (37) fühlt; „l’appel du vide” (47), ein „Sog der Leere” (48) bei Abgründen; … manches ist dabei dem psychologisch Interessierten bekannt, manches dem sprachlich einigermaßen Gebildeten; und manches mag man nie gehört haben. Wie auch Bekanntes zuweilen so bekannt nicht ist, wie es zunächst scheinen mag.

Schöne Beispiele aus dem Buch: „Awumbuk” (50), Schwere, wenn liebe Gäste fort sind – hier samt Anleitung zu einem Ritual dagegen; „Cyberchondrie” (63), nun ja: bei www.bestimmt-ist-es-krebs.net läßt Mahler ja Einschlafwillige ihre Symptome nachlesen; „Ekel” (81), vom „Basisekel” (82) zu komplexeren Formen; „Fago”, womit „Mitgefühl, Traurigkeit und Liebe” (110) quasi als Ineinander dieser Gefühlsregungen bezeichnet werden; „Ilinx”, eine „Art wollüstiger Panik” (163) beim Stiften von Chaos; und so weiter und so fort. Liest man vom Wort „Hwyl” (160), weiß man vielleicht sogar, was das Wort tut, das einen – emotionalinspiriert, wie die Grundthese des Buchs ja ist.

Wird die Verfasserin den Gefühlen immer gerecht? Der Umstand, daß es etwa zum Ekel eine straff formulierte und dennoch 592 Seiten umfassende Monographie von Winfried Menninghaus gibt, ließe diesen Anspruch bei jedenfalls jenem Eintrag, Smith nimmt sich hierfür weniger als sechs Seiten (81-86), absurd erscheinen; aber das ist auch nicht der Anspruch dieses Buchs, das eher anregen will, das, was man an inneren Vorgänge wahrnimmt, präziser zu benennen und genauer zu empfinden.

Und diesem Anspruch kommt die Verfasserin denn doch nach, mit einem überdies unterhaltsamen Buch.

Tiffany Watt Smith
Das Buch der Gefühle
dtv
2017 · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-423-28121-8

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