Zusülzer und Nichtsnutze
Roland Steinberg hat magische Fähigkeiten. Mit einem einzigen großen Schritt gelangt er von seinem Berliner Balkon nach Odessa, von da aus zum Mount Everest und von dort aus nach Tokio. Manchmal nutzt er seine Fähigkeit aber auch nur, um sich schnell mal eine Tasse Kaffee aus seiner Wohnung auf die Parkbank an der Spree zu holen.
Vor den inneren Dämonen jedoch bewahrt ihn seine Zauberkraft nicht. So beginnt Tobias Prempers Debütroman „Erst einmal für immer“ mit einem Nachruf: „Zum Tod von Roland Steinberg“. Mit 42 Jahren hat sich der international erfolgreiche, aber medienscheue Künstler das Leben genommen. Als Werk hinterlässt er achtunddreißig Koffer, gefüllt mit den Nachlässen fiktiver Autoren.
Zu seiner eigenen Trauerfeier taucht Roland allerdings schon wieder auf – und zwar gleich mehrfach: Vier schwarze Adenauer-Limousinen („besonders beliebt bei Politikern und Diktatoren“) rollen durch die Südheide. Heraus steigen vier Menschen, die Roland-Steinberg-Pappmasken tragen – seine Ex-Frau Katharina, seine Ex-Geliebte Laura, sein bester Freund Edgar und sein ehemaliger bester Freund Pierre, der jetzt mit Katharina liiert ist. Wie Statisten auf der Bühne eines absurden Theaters stehen sie auf dem Feld herum, wo ihnen aufgetragen wird, Rolands Asche zu verstreuen und dann die leere Urne zu vergraben. Ein bildgewaltiger, cineastischer Anfang, der dem Roman-Format durchaus gerecht wird.
Bereits im zweiten Kapitel jedoch wird Premper wieder fragmentarisch, wenn auch nicht ganz so sehr wie man es aus seiner Kurz- und Kürzestprosa („Das ist eigentlich alles“ und „Durch Bäume hindurch“) kennt.
„Erst einmal für immer“ erzählt prägnante Szenen aus dem Leben eines getriebenen Künstlers, ohne dass sich dieser jemals zu einer geschlossenen Identität zusammensetzen ließe. Woher dieses Rastlose, Flüchtige kommen könnte, wird lediglich angerissen: Schon früh flieht Roland aus seinem Elternhaus und vor dem Erbe der Hutfabrik seines Vaters. Seitdem will er seine Vergangenheit abschütteln, sich auflösen, ein Mensch ohne Biografie werden. Und das gelingt ihm auch ganz gut – je mehr wir über ihn erfahren, desto weniger greifbar wird er.
Oder vielleicht ist sein Verhalten und was ihm widerfährt auch einfach nur zu skurril, um Identifikationspotential zu schaffen. Manchmal zum Beispiel bellt Roland Passanten auf der Straße an. So lange, bis ein Mann ganz unerwartet und mit gleicher Wucht zurückbellt. Und auch Rolands künstlerisches Schaffen ist eigentlich nichts als ein gigantisches Augenzwinkern. Einen Koffer füllt er mit dadaistisch verfremdeten Reclamheften („Von Friedrich Nietzsches Geburt der Tragödie blieb nur ein öde“), einen anderen mit neunhundertsiebenundsechzig Bleistiftstummeln und vier Kaffeedosen voller Asche (angeblich) verbrannter Manuskripte.
Als Pierre, den Roland in vielerlei Hinsicht als Verräter sieht, ihm einen Versöhnungsbesuch abstattet, kippt Roland systematisch sämtliche Flaschen Wein, zwei Tüten Milch und eine Flasche Apfelsaft ins Spülbecken. Anschließend dreht er den Hauptwasserhahn ab, um dann mit Fug und Recht behaupten zu können: „Ich habe leider gar nichts im Haus, das ich dir anbieten könnte. Nicht mal ein Glas Leitungswasser.“ Immer wieder werden wir gezwungen, einer Kausallogik zu folgen, die im ersten Moment widersinnig erscheint, in sich jedoch aufgeht (man erinnere sich auch an das Mammut aus „Durch Bäume hindurch“, dem Prempers Logik zufolge der Literaturnobelpreis hätte zugesprochen werden müssen!).
Das Spiel mit multiplen Identitäten und die surrealen Elemente, die immer wieder ins Geschehen einbrechen, finden sich in ähnlicher Weise in Stephan Groetzners Nicht-Roman „So ist das“ (Droschl 2013). „Erst einmal für immer“ vermittelt allerdings bisweilen das Gefühl, dass Prempers hintersinnig-melancholische Komik doch besser aufgehoben ist im Miniatur-Format. Zentrale Sätze wie „Ich kann mich selber nicht einholen, ich kann mir selber nicht entkommen“ oder „Wie bildet man sich etwas ein, wenn man selber nur von jemand anderem eingebildet wurde?“ wünscht man sich eher als Pointen, wo sie Raum zum Weiterdenken eröffnen könnten, anstatt in langen Dada-Dialogen unterzugehen. Auch die Schilderung der kurzen Affäre mit Laura wirkt ein wenig schief – vielleicht weil sie sich nicht recht zwischen psychologischer Glaubwürdigkeit und totalem Irrwitz entscheiden kann.
Auf der anderen Seite gibt das längere Format dem Autor und bildenden Künstler endlich Gelegenheit, sich mal so richtig über die Kunstwelt auszulassen, deren Funktionsweisen nicht einmal sonderlich überhöht werden müssen, um absurd zu wirken. Besonders hervorgehoben sei hier eine Passage, in der Premper eine wunderbare Persiflage auf den selbstverliebten Kunstkritiker-Jargon eines Katalogtexts liefert. Seine Hauptfigur hat für die „Zusülzer“ und „nihilistischen Nichtsnutze“, die ihn auf den Vernissagen umringen, nur Verachtung übrig. Das Geld zieht er ihnen trotzdem aus der Tasche. Während eines Empfangs kritzelt er gelangweilt zusammenhanglose Gedanken auf die Tischdecke – die er anschließend für eine fünfstellige Summe verkauft.
Ganz so ausgewogen wie die herrlich lakonischen Texte seiner ersten beiden Bände, bei denen wirklich jeder Satz sitzt, ist „Erst einmal für immer“ definitiv nicht. Doch auch über Disharmonie kann man schließlich geteilter Meinung sein.
„Was für ein entsetzlicher Lärm“, sagt Roland zu Laura, als sie zusammen auf einem Esel über den Kurfürstendamm reiten und eine Putzwagenkolonne passieren. Und seine Begleiterin erwidert: „Welch atemberaubende Choreographie, meinst du nicht?“
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