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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Vom Überlebenskampf einer Siedlerfamilie 1682

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als die Sklaverei sich zunehmend etablierte, siedelt Toni Morrison ihren neunten Roman „Gnade“ an, in Delaware, wo der holländischstämmige Siedler Jacob Vaark eine ererbte Farm bewirtschaftet. Seine Frau Rebekka hatte er in England eingekauft. Für die junge Frau aus einem bigotten Elternhaus bot diese Ehe die Chance, ein eigenes Leben zu beginnen, das in der Heimat bloß die Möglichkeiten Kindermädchen oder Prostituierte zugelassen hätte. Sie hat Glück, ihr Ehemann ist liberal gesinnt, gestattet Freiheiten, das Glück seiner Familie liegt ihm mehr am Herzen als politische oder religiöse Heuchelei, jedoch ist die Arbeit den Umständen entsprechend hart. Aber Rebekka hat Hilfskräfte zur Verfügung, insbesondere Lina, eine Indianerin, die sich als überaus nützlich erweist, und die Jacob als Waisenkind in sein Haus genommen hatte.

Jacob erkennt, dass sich mit Geldverleih mehr verdienen lässt als mit seiner Farm. Zwar lagen Rinderhaltung und Sklavenhaltung nahe beisammen, doch davon wollte Jacob nichts wissen. Als einer seiner Schuldner nicht mehr zahlungsfähig ist, bietet er Jacob einen Sklaven an. „Er schwieg zu den Narben, den Verletzungen, die sich wie falsch verlaufende Venen auf ihrer Haut abzeichneten.“ Jacob will nicht zum Sklavenhändler werden, lehnte ab, würde aber eine Köchin zu sich nehmen, um die Schuld irgendwie ins Reine zu bringen. Diese Frau erbittet jedoch, an ihrer Statt ihre achtjährige Tochter zu nehmen. Jacob lässt sich auf diesen Handel ein. Florens wird in die Familie aufgenommen, in der sich zudem Sorrow befindet, ein leicht verrücktes Mädchen, das einen Schiffsuntergang überlebt hat und nun (von Jacob?) schwanger ist.
Diese scheinbare Idylle einer Familie bricht abrupt auseinander, als Jacob an Pocken stirbt. Rebekka erkrankt ebenfalls. Florens verliebt sich in den Schmied, wird aber zurückgewiesen. Katastrophen brauen sich zusammen. Wie soll es mit der Farm weitergehen? Toni Morrison erzählt diese Geschichte aus der jeweiligen Sicht der Beteiligten, erzeugt auf diese Weise Spannung und entschlüsselt die ineinander verschlungenen Schicksale. Nach und nach werden die Zusammenhänge klar, die unterschiedlichen Blickwinkel und subjektiven Erfahrungen ausgelotet.

In dem Roman „Gnade“ konfrontiert die Nobelpreisträgerin ihr Land mit der eigenen Geschichte, zeigt Niedertracht und Aberglauben auf, Hintergründe und Abgründe der „Gründerväter“. Wer mehr erfahren möchte, wie ein Mythos zusammengekittet wurde, sollte dieses Buch lesen.

Toni Morrison
Gnade
rororo
2009 · 224 Seiten · 8,99 Euro
ISBN:
978-3-499249624

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