Vom einfachen zum besseren Leben und zurück
Es gibt eine ganze Reihe von empörten literarischen Reaktionen auf das, was man „Das System“ nennen kann. Dabei kann sich hinter dem System alles Mögliche verbergen, ein faschistisches ebenso wie ein kapitalistisches wie ein sozialistisches, ein offenes ebenso wie ein geschlossenes. Warum das so ist, ist leicht nachvollziehbar, denn der Einzelne ist mit dem Gesellschaftlichen zwar untrennbar verbunden, das heißt noch lange nicht, dass er seinen Zumutungen so ohne weiteres entsprechen kann und will. Dieses doppelte Moment von Sozialem und Subjektivem macht die Spannung aus, die nicht nur biografische Verläufe bestimmt, sondern eben auch deren literarische Reflexion.
Dass Literatur – und nicht zuletzt die erzählende Literatur – immer auf das Soziale rekurriert und es mit dem Subjektiven teils brüchig, teils zwanghaft verbindet, ist kaum von der Hand zu weisen. Literatur imaginiert solche Beziehungen, Handlungsverläufe und Biografien, stellt sie zur Diskussion und denkt über ihre Bedeutung nach.
Das umso mehr dann, wenn die Gesellschaft, über die es gehen soll, selbst in der Kritik steht, wie es bei einer kapitalistischen eben der Fall ist. Dass Eigentum bei wenigen kumuliert ist, während die Mehrzahl nur bedingt davon profitiert, von den prekarisierten Massen etwa der sogenannten Dritten Welt einmal abgesehen, stellt einer Wirtschaftsform bei allen Erfolgen, die sie sonst aufzuweisen hat, an den Pranger. Aus dem Kapitalismus ein humanes System zu machen, ist nachvollziehbarer Weise ein Projekt, das großes Interesse auf sich zieht.
Die 68er Revolte nimmt hierbei eine Schlüsselstellung ein: als antikapitalistisches Projekt einer libertären Gesellschaft und als Befreiungsprogramm des von den gesellschaftlichen Zwängen unterworfenen Subjekts. Zwei Fliegen, eine Klappe, und ein gemeinsamer Misserfolg.
Denn aus der extremen Perspektive der 68er selbst her gesehen, sind beide Projekte gescheitert. Der Kapitalismus ist nicht beseitigt worden, sondern entfesselt, und die Befreiung des Subjekts ist in der hedonistischen Zwangsfreiheit geendet, das Produkt der jeweiligen Präferenz und finanziellen Möglichkeiten wählen zu dürfen.
Man muss das allerdings nicht so sehen: Aus der Perspektive einer langfristigen Betrachtung gesellschaftlicher Entwicklung ist das 68er Projekt – ganz im Gegenteil – höchst erfolgreich gewesen sein. Um in der deutschen Regie zu bleiben, ist die formierte Gesellschaft aufgebrochen worden und zu einer offenen Gesellschaft geworden. Die muss zwar immer noch mit ihren Widersprüchen kämpfen – und ihre kapitalistische Wirtschaftsstruktur generiert eine Reihe von ihnen. Aber das Glücksversprechen der 68er, das zweifelsfrei seine historischen Vorläufer hatte, ist bis heute Antrieb und Versprechen zugleich. Im Guten wie im Schlechten.
Wenn denn schon nicht das Glück, so ist es denn das bessere Leben, das im Fokus einer historischen Bewertung der 68 steht, womit wir bei Ulrich Peltzers Roman „Das bessere Leben“ sind, der soeben bei S.Fischer in Frankfurt erschienen ist.
Der im Jahr 1956 in der vormaligen Textilmetropole Krefeld geborene Ulrich Peltzer gehört seit seinem Debut „Die Sünden der Faulheit“, 1987 erschienen, zum Inventar der bundesdeutschen Literatur. „Das bessere Leben“ ist Peltzers fünfter Roman, was ihn als beständigen aber nicht übereifrigen Romanschreiber kennzeichnet. Mittlerweile knapp 60 Jahre alt, hat Peltzer längst jene gefährlichen vierziger überschritten, in denen die meisten Autoren in einer semirealistischen Routine erstarren und einen Roman nach dem nächsten herunterschreiben, in denen dann lediglich die Namen und – wenn vorhanden – der Plot sich ändern.
Peltzer hat sich dem entzogen und verfolgt stattdessen ein Projekt avancierten selbstreflexiven Schreibens, was ihm zuzurechnen ist. Sein Stil lässt ab von jeder Betulichkeit und jener Behäbigkeit, die die Literatur seiner Vorgänger ausgezeichnet – oder besser: makuliert hat. Peltzer ist weit entfernt von jenem mittleren Maß, das als Leitlinie etwa des „Literarischen Quartetts“ gedient hat und mit dem alles, was davon abwich, abqualifiziert werden konnte.
Er hat wie viele andere Autoren auch von den neuen Erzählungen gelernt, verflicht verschiedene Handlungsstränge so eng miteinander, dass deren Protagonisten sich kaum mehr begegnen müssen, um ihre Beziehung erkennen zu können. Seine Sprache ist dabei so dicht und konzentriert, dass sie beim Leser höchste Aufmerksamkeit erfordert. Der aber hat dabei keine Garantie, dass das Ganze nicht in die Leere geht.
Dass es in „Das bessere Leben“ nicht nur um die Befindlichkeiten von gescheiterten 68ern geht, sondern um ein größeres Thema, ist erkennbar. Dabei ist die Befremdung, die den Leser befällt (und den Autor befallen haben mag), wenn er die hysterische Selbstzerfleischung der Linken im sowjetischen Exil mit der Selbstaufgabe im dynamisierten Hyperkapitalismus des 21. Jahrhunderts konfrontiert, nicht zu leugnen.
Wenn denn das bessere Leben nur unter solchen Umständen erreicht werden kann, ein System mithin, in dem die individuellen und gesellschaftlichen Zustände miteinander harmonisieren, dann kann dieses Projekt ja wohl als Ganzes aufgegeben werden. Denn ein freies Leben kann nicht unter Misstrauen, Zwang, Bedrohung und Lügen errichtet werden.
Was hat das nun mit dem Plot von Peltzers Roman zu tun? Im Vordergrund stehen ein Ex-68er, der sich mittlerweile als internationaler, dabei spezieller Versicherungsmakler betätigt, irgendwo im rechtlichen, politischen und moralischen Nirvana zwischen Terrorismus und Mehrheitsgesellschaft. Dass dieser Mann auf den Namen Sylvester Lee Fleming hört, ist allerdings ebenso als stilistischer Scherz zu sehen wie der Name des zweiten Haupthelden, Jochen Brockmann, der für einen italienischen Maschinenbauer, der Folienbeschichtungsmaschinen herstellt, den asiatischen Markt beackert.
Dass der eine, Fleming, von Alpträumen aus seiner aktiven Zeit heimgesucht wird, der andere, Brockmann leider aus dem Job fliegt, weil er chronisch erfolglos geworden ist, gehört zu den Accessoires des Romans. Der eine sucht nach Verführbaren, der andere gerät in eine Zwangslage, die ihm vielleicht nur noch den Ausweg lässt, sich auf den geheimnisvollen Mr. Fleming einzulassen.
Schräger Plot? Kann man meinen. Eine Entlarvung des entfesselten Kapitalismus? Wohl kaum. Denn ein Ex-68er in solcher Mission bezeugt nur eins, dass biografische Linien merkwürdig sein können, auch im Nachhinein.
Aber das kommt noch hinzu, nämlich der falsche Sound. Denn so souverän sich Peltzer, der seit langen Jahren in Berlin lebt, im rheinischen und niederländischen Milieu bewegt, so wenig stimmt der Sound der 68er, den Peltzer anklingen lassen will. Da hilft auch kein „man of wealth and taste“, in einer „rock `n roll-band“ lässt er seinen Fleming eben nicht spielen. Peltzers 68 klingt nicht echt.
Das mag daran liegen, dass er – grob gesprochen – ein 78er ist, die schon miternten konnten, was vor ihnen gesät wurde. Oder auch daran, dass am Anfang so etwas wie eine Liedzeile stand, die eben aus dieser Zeit stammt („Let me introduce myself“), die er jetzt ans Ende stellen darf. Aber Peltzer will wohl mehr über die Verführbarkeit eines Salesman in der Krise erzählen, der – nicht ganz überraschend – durch die Liebe und die Familie davor gerettet wird (und davon, dass er halbwegs genug zur Seite geschafft hat).
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