Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Vom Minimalen und der gerafften Albernheit

Hamburg

Es sind so viele Worte woanders notiert.
Ich habe keinen Text.

Ulrike Feibig: perlicke perlacke, mein Herz schlägt, poetenladen Verlag Leipzig

Schon die erste Collage eröffnet das Spiel mit der Form, stößt aber auch grundsätzliche Gedanken zum Schreiben an. Ein guter Anfang also, weil er die Aufmerksamkeit des Lesers sofort schärft und lenkt. Sieh dir jede Collage als eine Verbindung von Worten an, die aus verschiedenen Quellen kommen, sagen diese ersten zwei Sätze. Diese Worte formen nicht nur eine neue Sinneinheit – bedenke auch ihre Herkunft und die daraus resultierende Beschaffenheit des Textes. Bedenke aber gleichzeitig, dass jeder Text, auch wenn er haptisch nicht so beschaffen ist wie eine Collage, eigentlich sehr ähnlich funktioniert: Worte werden zusammengetragen, werden einzeln notiert.

Es gibt auch einige Texte, die keine Collagen sind; die Collagen sind beinahe ausnahmslos mit Nummern und dem Wort „Übung“ betitelt. Was soll mir das sagen? Wird hier einfach die Form geübt?

Eher ist auch diese Art der Betitelung Teil des Spiels. Ein Spiel, das zu Anfang eröffnet und dann auf vielen, hier und da miteinander agierenden Spielfeldern gespielt wird. Gerade fragt man sich noch, was der Zauberspruch, der im Titel steckt, mit dem Lied vom Loch im Eimer zu tun hat, dann sind da wieder die kleinen Einheiten innerhalb der Collagen, deren Sinnlichkeit man zu ergründen sucht. Und plötzlich kommt ein Gedicht, das die ganze Ausrichtung des Gedichtbandes wieder zu verändern scheint: hin zu einer Art, das starke Bild zu suchen und zwei Nägel in der Wand Fühler zu nennen.

So geht es weiter. Ein Lied vom Hummer, Geschichten von Zwiebelmädchen und Vampirtränen und Collagen, die kleine, runde Kunstwerke sind.

Die Begegnung:
er ist nicht
vorbereitet.
sie ist sehr
schweigsam

Das alles sucht sich keine einzelne Poetik, sondern verbindet sich miteinander und entledigt sich gleichzeitig aller Verbindungen. Minimalismus wird gezückt und wieder weggesteckt, eine an Jandl erinnernde Verquertheit streut sich ein, dann wird es wieder stimmig, dann recht seltsam, dann leuchtet wieder etwas auf, alles zusammen unnachahmlich eigen.

In all dem steckt eine Sinnlichkeit, die die Sprache mit immer wieder ins Vergessen (und/oder in spezielles, dünnes Wissen) getauchten Fingern neu aufzieht, einmal kreiseln lässt, einmal klicken und klacken lässt, kleine Spielzeuge baut, die Texte sind. Dabei die Poesie nicht aus dem Auge verliert.

Manchmal gerät einiges etwas kryptisch oder fad. Und viele große Würfe sind auch nicht dabei. Aber der Einfallsreichtum, das selten ironische, sondern meist komische, pittoreske Ambiente, in dem die Texte unerwartet gedeihen, machen „perlicke perlacke, mein Herz schlägt“ zu einer originellen Leseerfahrung. Es ist keine Lyrik, es ist mehr gespielte Sprache. Spätestens wenn in einer Collage einfach immer wieder das Wort Frettchen auf das Wort Frettchen folgt, wird einem die groteske Einfältigkeit und Lebendigkeit der Sprache selbst klar.

Ulrike Feibig
perlicke perlacke, mein Herz schlägt
Poetenladen Verlag
2016 · 96 Seiten · 16,80 Euro
ISBN:
978-3940691767

Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge