Dichtung an Stelle von Religion
Es läge an der mangelnden Rezeption, behauptet Joachim Sartorius, dass die Lyrik des US-Amerikaners Wallace Stevens in Deutschland „kaum mehr als ein Gerücht geblieben“ sei. Der von ihm herausgegebene, im Hanser Verlag erschienene Band „Hellwach, am Rande des Schlafs“ soll dies nun ändern: Sartorius betrachtet ihn als „neue[n] Anlauf“, die Situation zu ändern. Warum Stevens so schwach rezipiert wurde, warum nur zwei umfassendere Sammlungen seines Werks in Deutschland veröffentlicht wurden oder warum sich Philologie und Leserschaft mit den ungleich größeren modernistischen Figuren wie T.S. Eliot oder Ezra Pound beschäftigt, darüber mutmaßt Sartorius nicht. Dass sich ein Großteil des Stevenschen Werk ermüdend reflexionsvernarrt liest, könnte allerdings eine Erklärung liefern. Denn Eines drängt sich bei der Lektüre der etwa 350 Seiten und gut zehn Einzelpublikationen lyrischer wie auch essayistischer Art auf: Stevens‘ Lyrik wird im Laufe seiner Karriere immer sperriger, theoretischer, entnervend aphoristisch und verliert darüber viel von ihrem Reiz.
Der menschliche Geist war für Stevens die „gewaltigste Kraft der Welt“ und die Dichtung nahm, so scheint es, bei ihm die Stelle von Religion ein. Im Zentrum seines Denkens steht die „imagination“. Ein Wort, kaum mit deutschen Begriffen wie „Imagination“ oder „Vorstellungskraft“ zu übersetzen, würde dies doch nicht die Bedeutung, die er dem Wort beimisst, adäquat wiedergeben. Was „imagination“ alles anstellen kann, das zeigen seine frühen Gedichte. Was sie anstellen sollten, davon schwafeln seine späteren. Am Anfang steht noch die „music of ideas“ („Musik der Ideen“, Michael Köhlmeier und Bastian Kresser), von der später die Rede sein wird. Die einzelnen Laute, Worte und Verse entzünden sich aneinander in Binnenreimen, Onomatopoetika und Wortspielereien, die nicht nur ihrem Selbstzweck gereichen, sondern Assoziationen anstoßen. Sie zeugen einerseits von „imagination“ und befördern diese noch auf Seiten der Leserschaft. „Let be be finale of seem. / The only emperor is the emperor of ice cream.“ („Lass Sein von Scheinen das Finale sein. / Der Kaiser der Eiskrem ist hier Kaiser allein.”, Durs Grünbein) sind Verse, die ebenso (selbst-)reflexiv wie sprachlich elegant gehalten sind, die rätselhaft bleiben und sich trotzdem nicht in reiner Esoterik ergehen. Steven’s Frühwerk ist offen, nicht opak oder gar hermetisch. Das liegt vor allem an der brillanten Handhabung der Sprache, in der spielerische Ausgelassenheit und ein mitreißender Rhythmus zusammenfallen: „Falling there, / Falling / As sleep falls / In the innocent air“ („Dort herniedersank, / Niedersank / Wie der Schlaf sinkt / In die schuldlose Nacht.”, Durs Grünbein). „Denken ist eine Infektion“, heißt es viel später und den Beweis dafür erbringen die ersten hundert Seiten, die das Denken qua Sprache direkt ins Brocasche Zentrum ihrer Leserschaft schmuggeln.
In „Thirteen Ways of Looking at a Blackbird“ manifestiert sich am ehesten die Kraft, welche Stevens der „imagination“ zugewiesen hatte, die nicht als Antithese zur Realität zu verstehen ist, sondern diese in Bewegung zu bringen vermag, ist sie doch selbst nur Teil der menschlichen Vorstellungskraft: „I was of three minds, / Like a tree / In which there are three blackbirds.“ („Ich war dreifältig / wie ein Baum, / bewohnt von drei Amseln.“, Hans Magnus Enzensberger); „It was evening all afternoon. / It was snowing / And it was going to snow.“ („Den ganzen Nachmittag war es Abend. / Schnee fiel / und Schnee stand bevor.“, Hans Magnus Enzensberger). Der Geist, die Vorstellungskraft erst machen es möglich, die Realität zu transformieren und ihr Poesie zu entlocken. Das mutet noch einigermaßen trivial an, Sartorius stellt aber noch weitere Texte zur Verfügung anhand derer sich verfolgen lässt, wie Stevens seine Ideen weiter ausformuliert, sehr zum Nachteil für seine vormals so kraft- und eindrucksvolle Sprache.
Denn je weiter man in dem schön aufgemachten – das Cover zeigt ein Werk von David Hockney – Band blättert, desto mehr sieht man sich mit essayistischer Prosa konfrontiert, die notdürftig in Verse gebrochen wurde. Der Leitspruch dazu wird in „The Man With The Blue Guitar“ („Der Mann mit der blauen Gitarre“, Hans Magnus Enzensberger und Karin Graf“) formuliert, einem 33 Teile umfassenden Langgedicht in Anlehnung an ein Picasso-Gemälde: „Poetry is the subject oft he poem, / From this the poem issues and // To this returns.“ („Dichtung ist das Thema des Gedichts. / Aus ihr wächst das Gedicht und kehrt // zu ihr zurück.“). Aus der Beobachtung leitet Stevens eine Poetik ab, die er gnadenlos durchexerziert. Das tut seinen Gedicht allerdings wirklich nicht gut. In ihnen treten vermehrt poetologische Äußerungen wie unumstößliche Diktion auf, alle poetischen Momente kommen wie argumentative Ornamente daher, sprachunlustig für Belege sorgend. „Stil ist Beiwerk.“, heißt es folgerichtig in der Aphorismensammlung „Adagia“. Bezeichnenderweise schließt mit dieser, abgesehen von einem Vortrag zu Dichtung und Malerei, auch der Band. Ein deutlicher Beweis dafür, dass Stevens in seiner Theorieobsession langsam aber stetig die Poesie abhanden kam.
Das soll nicht heißen, dass die Gedanken des US-Amerikaners uninteressant sein. Zwar wirken sie ihm Jahre x nach Arthur Rimbaud oder y nach Gertrude Stein mal um mal wie ein müdes Echo: „Dichtung ist nicht persönlich.“. Aber hier und dort ist zu erkennen, dass Stevens Poetik durchaus wegweisend war für andere englischsprachige Dichterinnen und Dichter wie zum Beispiel John Ashbery. Aber, das schreibt Stevens selbst und es mutet wie ein Moment der Einsicht an: „Ein großartiges Thema garantiert nicht ein großartiges Ergebnis, sondern viel eher das Gegenteil.“. Schlussendlich kehrt man doch lieber zu den frühen Texten von Stevens zurück, um sich von ihrem Wortwitz und ihrer Feinsinnigkeit berauschen zu lassen, die seine Theorie in Bewegung zu bringen vermochten. Ob mit „Hellwach, am Rande des Schlafs“ nun der Grundstein für eine neue Rezeption des Stevensschen Werks gelegt ist, bleibt eher zweifelhaft. Daran ändert die Sorgfalt des Herausgebers Sartorius wenig und erst recht nicht die stocksteifen und stellenweise ungewollt komischen Übersetzungen.
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