Was bleibt, ist das Weitergehen
„Die Orte, durch die ich gehe“, schreibt der Vorarlberger Schriftsteller Wolfang Hermann, „erfüllen mich mit ihrer Schwere, ihrer Trägheit, geben mir die Leere, das Stummsein oder die Redseligkeit, im schlimmen Fall die Geschwätzigkeit, die mich traurig zurücklässt.“ Er streift durch die Buttes Chaumont von Paris und resümiert über die Städte, in denen er gelebt hat, und die ihn verändert hätten. Auch über die Abschiede von diesen Orten, die das Erleben umso intensiver gemacht hätten, etwa wenn er frühmorgens Koffer packen und zum Flughafen musste und „die Schönheit der Straße niemals so stark leuchtete wie beim Abschied von ihr“.
In Wien empfand er „eine Verlorenheit im Herzen, wie sie größer in der Wüste Taklamakan nicht sein kann“. In Berlin erkennt er, dass ein Ort den anderen ausschließe und er fern von Berlin nicht wüsste, wer er in Berlin war oder ist, obwohl man eigentlich manchmal aus der Ferne auch wiederum mehr darüber wüsste. Im Osten Berlins, einer nach der Wende von 1989 noch ganz anderen Stadt als „Berlin“, spürt er die Euphorie, die Lust überall zugleich zu sein, von einer Zeit in die andere zu sehen, „mitzuspüren“. Die Neugierde des Kindes, das er war, ist immer bei ihm und so fühlt er sich nie und nirgends allein. „Das Kind, das ich noch immer war, war bei mir.“ Kein Grund also für Angst oder Bedauern. Dann wieder bewundert er die einsamen Männer am Tresen, die sich selbst genügen und derer gab es im alten Osten viele und heute im neuen Ganz-Westen wohl noch mehr.
„Das Obst schmeckte mir nirgends so gut wie in Nachbars Garten“, zitiert der Autor ein altes Sprichwort, wenn er wieder einmal durch eine der Grossstädte der Welt wandert und an seine entschwundene Kindheit zurückdenkt. Eigentlich bringen ihn alle seine Spaziergänge wieder auf das eine Thema zurück, seine Heimatlosigkeit, die er fern der Heimat mehr spürt, als in der Heimat selbst, wo es eigentlich keine Heimat gibt. Ein anderes Thema, dass ihm beim Spaziergehen einfällt, sind natürlich seine Beziehungen zum anderen Geschlecht, die er teilweise in der dritten Person reflektiert, so als wäre er ein Unbeteiligter. Das Flanieren macht ihn nachdenklich und die Städte der Welt bedeuten ihm eigentlich nichts, angesichts seiner eigenen Erinnerungen. So denkt er in Berlin an seine Kindheit in Bregenz und in New York ans Dornbirner Hatlerdorf, aber die Städte selbst tangieren ihn dabei wenig, sind nur Kulisse, auch wenn ihm in der Bronx „feindselige Blicke“ in seinen Rücken stechen. Ein tschechisches Schneiderlein in NY eröffnet ihm da wohl eine ganz neue Perspektive, wenn es sagt: „Ist ja auch egal, wo man ist ...wo man ist, ist man eben...es geht schon...es geht schon...“. Wenn man im Gehen schreiben könnte, hätte Wolfgang Hermann es wohl getan, denn es sei alles „unverhüllt, nackt, härter und grausamer als zu Zeiten des Schreibens“. Was bleibt, ist das Weitergehen.
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