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Kritik

Denken, mittellos..?

Hamburg

Denken mag von Sprache kaum zu lösen sein, ohne deren Vermittlung aber wäre es jedenfalls monadisch, und zwar, ohne sagen zu könnnen, daß es dies sei. Zugleich ist Sprache immer mit einem „Erdenrest, zu tragen peinlich”, wie es bei Goethe vom Menschen bis zum vollendeteren Engel insgesamt heißt, behaftet, sie scheint also das zu sein, was Denken ermöglicht, aber auch diskreditiert, verunreinigt – ein kurzum intrikates Verhältnis. Dementsprechend ist das Verhältnis des Dichters zu seinem philosophischen Deuter nicht spannungsarm, der eine bringt auf den Begriff, was der andere mit gutem Grund diesem entzogen haben mag, zugunsten von Spracherfahrungen, die anderen Logiken gehorchen...

In dieses Terrain wagt sich Wolfgang Müller-Funk in seinem Band, Die Dichter der Philosophen, was schon durch den Genitiv Ansprüche anklingen läßt. Ausgelotet wird, in welcher Weise das, was die Philosophen da tun, wenn sie sich der Poesie nähern, ein Verraten ist. Hoffmann versus Kofman, Heidegger vs. Hölderlin und Hölderlin vs. Adorno, also eigentlich Adorno vs. Heidegger auf der Folie Hölderlins, Anders, Broch, Hegel, ... ein weites Feld..!

Dabei ist Müller-Funk ein genauer Leser und theoretisch – natürlich – versiert, auch wenn man in Detailfragen mehr Exaktheit wünschte, ein vollständiges Entwickeln der Spannung, die hier einerseits dem essayistischen Stil Müller-Funks, auch wenn er sich zurecht oft zwischen allen Stühlen plaziert, geopfert wird, andererseits aber auch einem Modus, die Philosophen dann doch gerade von jenem Spiel auszuschließen, das nicht völlig zu realisieren ihnen zugleich vorgeworfen wird. Das versteht man bei Heideggers post-religiösen Formulierungen, denen Vereinnahmung vorzuwerfen nicht abwegig ist, ob es auch bei Adorno und anderen rechtens sei, ist fraglich.

So wird Zerline aus Brochs Schuldlosen teils am Kenntnisstand der Sekundärliteratur vorbei gelesen, was dem Rezensenten nicht zuletzt darum bewußt ist, weil er zu diesem Fragenkomplex beigetragen hat – ein Essay darf das, aber hier fehlt der Mehrwert, der den Substanzverlust gleichsam rechtfertigte. Problematischer ist, daß Theodor W. Adorno von Müller-Funk auf eine Weise festgelegt wird, die er zugleich Adorno unterstellt, so luzide ansonsten die Kontextualisierung nicht als rekunstruktives, sondern gleichsam progressiv-performatives Vorgehen Adornos gezeigt wird. Dem Befund, daß Dekonstruktion „sich nur mehr begreifen (läßt), indem man sie bei der Arbeit sieht”, hätte auch andernorts gefolgt werden dürfen.

Dies stört an einem sonst glänzenden geschriebenen und gedachte Buch – wie auch die extravagante Zeichensetzung, die zuweilen irritiert. Ansonsten sei dies Buch jedem, den das Thema interessiert, aber wärmstens empfohlen.

Wolfgang Müller-Funk
Die Dichter der Philosophen
Essays über den Zwischenraum von Denken und Dichten
Wilhem Fink
2013 · 216 Seiten · 26,90 Euro
ISBN:
978-3-7705-5470-6

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