Die Würstchen der Wahrheit
Es gibt gewiss einige, vielleicht sogar viele Dinge, die Wolfram Lotz nicht kann. Über mangelnde Produktivität muss man sich bei ihm jedenfalls nicht beschweren. Jetzt liegt sein erstes Buch vor, und es passt sich, obwohl klein und unscheinbar, in das schon respektabel angewachsene Gesamtwerk dieses jungen Autors ein.
Verfolgt man Wolfram Lotz’ literarische Spuren der letzten Jahre zurück, fällt zuerst eine Tatsache ins Auge: Dieser Autor versteht es, völlig ungezwungen zwischen den Disziplinen hin- und herzuspringen. Eine Erzählung hier, ein Hörspiel da, dann eine Theateraufführung in Leipzig und mehrere – sämtlich aus dem Theaterbereich stammende – Preise und Stipendien. Anders gesagt: Wolfram Lotz ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein junger Autor produktiv und originell arbeiten kann, und dabei die festgefügten Konventionen des Literaturbetriebs weitestgehend links liegen lässt. Lotz schreibt, und das offenbar ohne Pause, Theaterstücke, Erzählungen, Listenpoesie, Hörspiele; ein ausklappbares, höchst heikles Bildertableau über die Verkettung wichtiger Persönlichkeiten des Kulturbetriebs, eingeheftet in die BELLA triste 31 und gestaltet von Frank Höhne (Titel: „Großer Gesang“) war wohl der bisherige Höhepunkt der Gattungs-Ausflüge. Verstreut finden sich weitere kurze Veröffentlichungen in Zeitungen oder Kleinstverlagen wie der Kölner Parasitenpresse. Offenbar konnte Wolfram Lotz sich bislang erfolgreich dem Drang entziehen, einen Roman oder Erzählband zu liefern, qua natura im Reigen des Literaturbetriebs die Eintrittsbilletts in den exquisiten Club der junge Gegenwartsliteratur. Sein erstes Buch ist stattdessen im Leipziger Kunst-, Architektur- und Theorieverlag Spector Books erschienen, hat Westentaschenformat und versammelt fünf, an verschiedenen Orten inszenierte Monologe, also Theaterstücke für eine Person.
Damit läutet Spector Books die von Jörn Dege und Mathias Zeiske herausgegebene Reihe Volte ein, der eine gleichnamige Veranstaltungsreihe in der Leipziger Baumwollspinnerei vorausging. Erklärtes Ziel ist die Abbildung der Vielfalt literarischer Formen jenseits des Romans. Und daher tut auch dieses Buch alles, um den klassischen Kategorien eines Debüts zu entfliehen: Es ist nicht großformatig, schön gebunden, sondern schmal, dünn und mit einem unscheinbaren schwarzen Umschlag versehen. Vielmehr an einen Sammelband oder ein Arbeitsbuch, Notizbuch, lässt diese Aufmachung denken als an die lang erwartete Erstveröffentlichung eines der interessantesten jungen deutschsprachigen Autoren – denn das ist Wolfram Lotz ohne Zweifel.
Das Vorgehen ist hier zunächst vergleichbar mit vorausgegangenen Veröffentlichungen wie etwa dem Heft Fusseln, das nicht mehr und nicht weniger ist als eine mehrseitige Liste, die Lotz offenbar aus dem ihn umgebenden Alltagsmaterial angefertigt hat. Der Umgang mit dem Alltäglichen, insbesondere das Einflechten von Tagespolitik und Nachrichtenquellen ist auch in den Monologen ganz zentraler Bestandteil des künstlerischen Konzepts. So präsentiert sich etwa ohne große Geheimniskrämerei oder Verfremdungstaktik eine Figur namens Thilo Sarrazin. Ebenso selbstverständlich greift die „Verteidigungsrede des somalischen Piraten“ die Thematik der modernen Piraterie vor Afrikas Küsten auf. Das spielerische Element, das Lotz seinen Texten aber in der Folge beigibt, liegt in dem völlig freien Umgang mit diesem Rohmaterial. Thilo Sarrazins Lebensgeschichte wird, von ihm selbst erzählt, völlig auf den Kopf gestellt und läuft auf eine haarsträubende, mit großer Inbrunst vorgetragene Theorie des Anus als Lustzentrum der Sexualität zu. Die Verteidigungsrede des somalischen Piraten dagegen klingt wie das beste Seemannsgarn aus Ostfriesland und spart die erwarteten politischen oder gar moralischen Bezüge völlig aus. Ähnlich geht Lotz auch in den Monologen vor, die seine eigene Person zum Thema haben (und entschuldigt sich dafür aufs Höflichste bei seiner Mutter, die ebenfalls einen, wohl offenbar nicht der Wirklichkeit entsprechenden Auftritt in dem Buch hat). Hier genießt also ganz eindeutig jemand das Spiel zwischen Fakt und Fiktion, Einbildung und Wirklichkeit, und das auf eine angenehm überdrehte Art und Weise, die beim Lesen sehr viel Spaß bereitet. Ähnlich – mit einem noch postmoderneren, detailversessenerem Anspruch – hat dies vor einiger Zeit Frank Fischer in seinem SuKuLTuR-Bändchen Weltmüller gemacht, das, zufälligerweise auch mit zahlreichen Leipzig-Bezügen, fiktive Reportagen über die Kunst- und Theaterwelt versammelt.
Die Grenze zur Blödelei überschreiten die Monologe allerdings auch hin und wieder, das lässt sich nicht verleugnen. Das ist dann ärgerlich, wenn eigentlich interessante Fragen zu Wirklichkeit und Fiktion in einem gar zu bunten Teppich von Formulierungen untergehen, zu denen auch die „Würsten der Wahrheit“ aus der abschließenden „Rede zum unmöglichen Theater“ zählen, die der Titel dieser Rezension aufgreift. Dieser dann doch zu kindische Humor geht eindeutig zu Lasten des ohnehin schon sehr kurzen, ansonsten aber sehr interessanten Bandes einer neuen Reihe, die sicherlich der weiteren Beobachtung lohnt.
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