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Kritik

Aus der Kiste geholt

Zadie Smiths »Der Autogrammhändler« ist wieder aufgelegt worden – ganz zwingend war das nicht
Hamburg

Es ist ja das übliche Verfahren: Ein Buch wird ein Erfolg, also holt der Verlag möglichst viel von dem, was der Autor mal geschrieben hat, aus der Kiste und vermarktet es neu. – Nein, das ist keine Kritik, bloß eine Feststellung.

Von Zadie Smith ist dieses Jahr wieder einer ihrer Romane auf Deutsch erschienen, wieder ein Erfolgsroman, wie sollte es auch anders sein: »London NW«, bei Kiepenheuer & Witsch. Und nun ist ihr zwölf Jahre alter zweiter Roman – im Original heißt er »The Autograph Man« und kam 2002 in England heraus – auch noch einmal neu aufgelegt worden. Jetzt als KiWi-Taschenbuch. Die deutsche Übersetzung gab es damals schon, Droemer hatte sie verlegt. Für die Neuauflage wurde nichts verändert, nicht mal der fehlerhafte Titel »Der Autogrammhändler« (Autographen sind Niederschriften, Autogramme bloß Unterschriften).

Immerhin kann man die Neuerscheinung nutzen, das Buch einer Überprüfung zu unterziehen. Denn inzwischen erklären Kulturorgane wie »Die Zeit« Zadie Smith zur Klassikerin. Da lohnt es sich zu schauen, ob auch ältere Texte noch funktionieren.

Im Großen und Ganzen: Ja, tun sie, beziehungsweise: tut dieses Buch. Man kennt vielleicht nicht mehr jeden Song, den die Autorin erwähnt, aber das Gefühl ist noch da für die Achtziger, die Neunziger. Tonfall, Sarkasmus, Alltagsbeschreibungen – das paßt schon.

Worum geht es? Es geht um Alex-Li, Mitte zwanzig, Bewohner des Londoner Stadtteils Mountjoy. Alex-Li ist halber Chinese, nichtgläubiger Jude und Autographenhändler. Sein Interesse an dem Gebiet ist 15 Jahre zuvor geweckt worden, da lernte er bei einem Wrestling-Kampf Joseph kennen, der Autographen sammelte (aber später ein verkniffener Bürokrat werden sollte); es war derselbe Tag, an dem Alex-Lis Vater starb, völlig unerwartet, weil er niemandem von seinem Krebs erzählt hatte. Die Freunde von damals sind immer noch Freunde – außer Joseph sind das der schwarze Jude Adam, heute Videoverkäufer, und Rubinfine, heute Rabbi.

Alex-Li verkauft also nun mal hier etwas, mal da etwas, die Finanzen sind nicht gerade grandios. Alex hat auch eine Freundin, Esther, Schwester von Adam, mit rasiertem Kopf und Herzschrittmacher unter der Brust, eine Schönheit. Alex‘ Leidenschaft gilt allerdings eher einer (fiktiven) 50er-Jahre-Diva namens Kitty Alexander, der er jede Woche einen Brief schreibt, von der er aber noch nie eine Antwort bekommen hat, geschweige denn ein Autograph. Dann passiert was: Alex fliegt zu einer Messe nach New York, schafft es dort unter abenteuerlichen Umständen, Kitty Alexander zu treffen und überredet sie, nach England zu kommen. Tags darauf wird fälschlicherweise verbreitet, die Diva sei verstorben, die Preise für Autogramme und Briefe schießen in unermeßliche Höhen – tja. Aber natürlich bereichert sich der Held nicht. Er ist ja der Held.

Die Geschichte ist übrigens grundiert davon, daß Zadie Smith mit ihrem Erstling »Zähne zeigen« einen Riesenerfolg hatte. Der Hype bescherte ihr eine Schreibblockade. Gewisse idiotische Züge an der Verehrung prominenter Menschen finden sich wohl nicht zuletzt deshalb in »Der Autogrammhändler«. Ansonsten ist Zadie Smith grandios darin, heruntergekommene Wohnungen und verlauste Stadtviertel zu beschreiben, treffende Stotter-Dialoge zu formulieren und ihre Protagonisten in unmögliche Situationen zu manövrieren. Manchmal schmeißt man sich weg vor Lachen.

Aber sonst? Der ganze Text ist um Fragen einer jüdischen Identität herumgebaut und in sie eingekleidet – doch wenn man das alles einmal abzieht, funktioniert die Geschichte auch. Dieser Aspekt wirkt also aufgesetzt, aufgestülpt. Dann die Diva: Solange Kitty Alexander ein Bewunderungs- und Sehnsuchtsobjekt ist, ist alles in Ordnung. Als sie real wird, eine alte Dame, sehr nett, gar nicht eingebildet, klappt der Roman quasi in sich zusammen und wird zum Märchen. Und zwar zu einem schlechten. Und dann ist da noch das ständige Gesaufe und Gekiffe und Speed einwerfen. Es mag ja sein, daß man in gewissen Kreisen so lebt und sich irgendwann auch mal durchs Alphabet schluckt, von A wie Absinth bis T wie Tia Maria (und der Rest geht dann nicht mehr rein). Aber wieso die kluge und einfühlsame Esther bei einem Alex-Li bleibt, der so was tut, der sich auch vor einem dienstlichen Termin erst eine Flasche Wein und dann einen Joint reinzieht und anschließend mit einer anderen Frau nach Hause taumelt, der schließlich sogar Esther allein ins Krankenhaus zum Wechseln des Herzschrittmachers gehen läßt – das kann nicht mal Zadie Smith glaubhaft erklären.

Also: Nettes Buch. Gute Unterhaltungsliteratur. Doch daß der Roman auch in zwanzig Jahren noch funktioniert, ist eher zweifelhaft, weswegen wir von Vokabeln wie »groß« und »Klassiker« lieber absehen.

P.S.: Daß Zadie Smith da mal hinkommen könnte, zu den Klassikern, ist aber beileibe nicht ausgeschlossen. Ihr letzter »London NW«-Roman ist sehr viel zwingender als »Der Autogrammhändler«.)

Zadie Smith
Der Autogrammhändler
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Kiepenheuer & Witsch
2014 · 512 Seiten · 9,99 Euro
ISBN:
978-3-462-04716-5

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