Literarische Selbstgespräche

Von und mit Clemens J. Setz

Es ist eigentlich ganz angenehm,
mal so in ein Mikrofon da irgendwas zu reden.

 

Clemens J. Setz, © Astrid Nischkauer Ich weiß nicht, wie man beginnt, aber das ist wahrscheinlich eh nicht so wichtig. Eigentlich was total Naheliegendes zu erzählen ist, was mir gerade passiert ist. Das ist wirklich eine interessante Geschichte. Und zwar, vor einem halben Jahr oder so, hab ich mir gedacht: wie funktionieren wohl diese dating-Apps fürs I-Phone und so? Okcupid und Tinder. Und ich hab dann mal gesehn, man kann sein – ich spreche nicht sehr flüssig, Sie müssen das dann alles glätten hinterher – man kann das Facebook-Konto verbinden mit Tinder und dann ist man da in diesem Kosmos. Dann habe ich das gemacht und dann war aber irgendein Tierfoto von mir da drinnen. Weil ich mag mein eigenes Gesicht nicht. Ich weiß nicht, ob das häufig vorkommt, dass man wirklich sein eigenes Gesicht nicht mag. Ich kann es nicht anschauen. Außer beim Rasieren, da geht das, weil da ist was zu tun. Da seh ich sozusagen: hier ist der Bart und hier ist es schon wieder nachgewachsen, und jetzt kann ich das korrigieren. Das ist sozusagen wie so ein Minesweeper-Spiel oder so, irgendwas, was man halt tun muss. Aber sonst mich betrachten im Spiegel – Menschen tun das ja, glaube ich – aber ich kann das eigentlich nicht gut, das verstört mich eher. Ich mag diesen Moment nicht, wenn die Augen so mit dem Spiegelbild sich zusammen, so als würde ein Stecker eingesteckt werden. Kennen Sie das? Und jedenfalls habe ich dann auf Facebook so Tierfotos, ich glaube, es war ein Kauz. Weil Leute haben mir schon attestiert, dass ich etwas Eulenhaftes an mir hätte. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Also ich meine, vielleicht ein bisschen. Ich bin nicht wirklich nachtaktiv, aber ich sitze manchmal so da und starre, wie so Eulen im Zimmer.

Jedenfalls habe ich das dann probiert und dann war ich nur so zwei Minuten auf dem und dann hab ich lauter so komische – man sieht dann so, welche Frauen in der Umgebung sind und das war mir dann irgendwie zu merkwürdig und dann hab ich mir gedacht: „Oh Gott, nein, das geht nicht.“ Und dann habe ich es gelöscht.

Und jetzt vor, ich glaube, fünf oder sechs Tagen habe ich mir gedacht, jetzt probiere ich es noch einmal. Und zwar mit einem anderen Bild, auch nicht meinem eigenen, sondern mit einem Bild von einem Wasserbär. Ein Wasserbär ist ein mikroskopisch kleines Geschöpf, das wohnt in so Tümpeln, oder so. Die heißen auch Bärtierchen. Und die schauen aus wie Staubsaugerbeutel, mit acht Beinen. Sie haben so einen Staubsaugerbeutel-kreisrunden Mund und so kleine Augen, das schaut wirklich genauso aus! Wenn Sie eingeben: Wasserbärchen, oder Wasserbär. Der lateinische Name ist schön: Tardigrada. Das heißt: der Langsamschreiter. Sehr schön! Weil die bewegen sich angeblich sehr langsam, man kann sie dann betrachten, schaut sehr schön aus, angeblich. Und sie schauen aus wie so moppelige, dicke Bären.

Und das war mein Facebook-Foto und dann bin ich damit auf Tinder gegangen. Und hab mir gedacht, ich mache jetzt einfach ein Experiment. Ich klicke einfach einmal alle Frauen an, also: like, like, like, like, like, in meiner Umgebung, was weiß ich, zehn Kilometer oder so. Und schau dann, welche von denen allen dann zurück – weil dann sieht man ja, es gibt ein match, heißt das dann. Und dann: fünf Frauen von dreihundert, ich weiß nicht, wie viele ich da angeklickt habe in mehreren Tagen. Man kann immer nur so eine Anzahl von Herzen vergeben. Ich habe das nicht verwendet für Sex oder Affären oder irgendwas, sondern wirklich nur ein reines Experiment, ob jemand auf so einen Wasserbär reagiert. Weil das schaut wirklich grotesk aus, das ist jetzt nicht so ein normales Tierfoto, sondern das ist wirklich ein bisschen absurd. Ob das jemand interessant findet und warum. Und dann haben sich glaube ich fünf oder sechs Frauen gemeldet. Und alle davon, das ist jetzt nicht erfunden, haben zuerst so geschrieben: „Hi, cooles Bild, voll super, yeah“ Und dann habe ich gesagt: „Danke, für das Anklicken meines Bildes. Freut mich sehr. Und hier ist die Auflösung: hier bin ich. Und danke fürs mitmachen, sozusagen.“ Und alle haben mich dann sofort gelöscht. Das war dann irgendwie so: „Nein, ich will meinen Wasserbären! Nicht irgendeinen Mann aus Graz. Sondern ich wollte den Wasserbären.“

Bis auf eine, die hat Englisch geschrieben mit mir. Und die, da hab ich dann auf Facebook auch kurz gechattet, die hat mir dann sofort Morddrohungen geschickt. Also sich ganz rein gesteigert. Ich habe nichts gemacht, ich hab nur freundlich einfach: „Hallo, guten Tag, hat mich gefreut, dass Sie das..“ Und dann sofort irgendwie völliger Wahnsinn, also halt jemand, der verrückt ist. 

Ja, irgendwo, das war mein Versuch mal mit Tinder. Und ich habe hinterher gedacht, was soll das denn eigentlich? Warum machst du sowas überhaupt? Was war da dahinter? Weil ich war wie so auf Autopilot, ich hab mir gedacht: „Ok, Wasserbär – Tinder, Wasserbär auf Tinder.“ Ich weiß immer noch nicht genau, was es sollte, was der Grund war. Aber jetzt ist es auf alle Fälle so, dass ich mir denke: „Ah, ok, Tinder: gefährlich, lass es, böse.“ Und ich bin nicht mit der Menschheit in Kontakt, keine Frauen und so. Also völlig absurd eigentlich.

Und ich habe mir dann hinterher aber nochmal überlegt: jede Entscheidung, die ich gemacht habe, alles war genauso gewählt, dass genau das entstehen musste, am Ende. Weil es war eigentlich nichts darauf angelegt, dass eine normale, gesunde, entspannte Kommunikation zwischen Mann und Frau, oder überhaupt zwischen zwei Menschen, zu welchem Zweck auch immer, stattfindet. Sondern es war von Vorne herein so angelegt, dass es irgendwie schräg und seltsam und komisch eingeschränkt und merkwürdig ist von mir. Ja, merkwürdig, man kennt sich oft nicht. Wissen Sie vielleicht auch selber, man tut oft Dinge im Autopilot, und dann am Ende versteht man überhaupt nicht, was das alles soll.

Ich habe das erst begriffen, wie ich dann so eine stand-up-story von Louis C.K., vielleicht kennen Sie den auch, ein amerikanischer stand-up-comedian, ziemlich witzig. Ich mag eigentlich stand-up-comedie überhaupt nicht, ich finde es unerträglich, aber es gibt so drei, vier Ausnahmen, die sind eigentlich mehr wie so spoken-word-performer, also so richtige Poeten, wo man gerne zuhört und die wirklich gute Geschichtenerzähler sind. Und er hat einmal erzählt von einer – ich kann das jetzt nicht witzig nacherzählen – aber so eine Geschichte, wo er in irgendeinem ganz kaputten Gebäude war, bei einer Prostituierten, die voller merkwürdiger Flecken war am ganzen Körper, und hat dann da irgendwie für Sex bezahlt und dann ist er mittendrin von ihrem Freund unterbrochen worden, und der hat ihn dann irgendwie herum gejagt, hat ihm die Hose gestohlen und dann hat er das Geld gestohlen, lauter Irrsinn. Und am Ende war er irgendwie ohne Hose, ohne Geld irgendwo in einem Hauseingang in Brooklyn oder was – das ist jetzt erfunden, ich improvisiere das jetzt sozusagen nach, ich tu das nachimprovisieren. – Und hat dann irgendwie begriffen. Er hat sich furchtbar schlecht gefühlt, so: „ Oh, Menschheit. Oh Gott. Alles schlimm. Wie tief bin ich gesunken. Ooh, oh. Was habe ich für ein Pech.“ Und dann hat er sich überlegt, warum? Ich meine, jede Entscheidung, die du getroffen hast, war genau absichtlich, damit du dich jetzt so schlecht fühlst. Das ist witzig. Also manchmal macht man echt genauso diese Dinge, damit am Ende Selbstmitleid, oder Bedrohung, oder das Gefühl von „Oh Gott, jemand möchte mich umbringen“ steht. Das ist witzig, man lockt das oft so an. Das war die Geschichte, die mir gerade jetzt beim Hergehen auch irgendwie im Kopf war.

Lustig war auch, wenn man auf Facebook sagt: „Ich habe Morddrohungen bekommen, von einer Frau“, man erzählt das seinen Freunden, nicht öffentlich, sondern halt diesem Kreis von halböffentlichen „Freunden“. Man muss immer unter Anführungszeichen schreiben „Freunde“, ich mache sie jetzt auch in der Luft. Aber das Interessante ist, wenn man das so formuliert, die Reaktion von acht verschiedenen Kumpels, Männern, Freunden die ich habe, war sofort: „Ist sie sexy? Schaut sie gut aus?“ Stellen Sie sich vor, der umgekehrte Fall, wenn eine Frau sagt: „Ich bin gerade im Internet mit dem Tod bedroht worden.“ Und alle sagen: „Und, ist er sexy? Schaut er gut aus? Wie schauen seine Arme aus?“ Völliger Wahnsinn, nicht? Aber ich frage mich, was ist da in diesem Statement drinnen, oder in der Frage: „Ist sie heiß?“ Ich habe zwei Lösungsvorschläge. Also einer ist, dass Männer sich untereinander versichern wollen, dass Frauen eh keine echte Gefahr darstellen, sondern, dass die Gefahr nur von anderen Männern kommt. Sozusagen sowas männlich Dominantes, dass man so sagt: „Ja, Frauen sind ja nicht ernst zu nehmen.“ Oder es ist irgendwie verbunden mit diesem sehr Bösartigen, Üblen, mit dieser Frage, die oft bei Vergewaltigungen gestellt wird: „Was hat sie getragen? Was hat sie angehabt?“ Kleidung, was man ja nie bei einem Mann fragt, wenn der vergewaltigt wird, fragt man nie: „Was hat der getragen?“ Das wird nie so gestellt. Das ist auch sowas leicht Sexistisches, oder nicht nur leicht, was offen, schreiend Sexistisches, vielleicht.

Auf jeden Fall eine sehr merkwürdige Frage. Alle wollten wissen, wie sie ausschaut. Ich weiß nicht, ich kann das gar nicht beantworten. Das war einfach jemand, der verrückt ist und mir irgendwelche Sachen schreibt. Naja. Aber mir ist nichts passiert. Und das sind eh nur diese Internetmenschen, so eine eigene Spezies, die halt da irgendwie laut bellen und schreien. Obwohl, ich habe entdeckt, dass sie ein youtube-channel hat, wo sie irgendwas redet. Das ist auch schräg. Man kriegt irgendwie Morddrohungen, oder sagen wir eher, Gewaltandrohungen, mehr so: „Du wirst leiden. Du wirst bluten.“ so auf die Art. Und das kriegt man von jemanden, da sieht man irgendein youtube-channel wo: „Hi, heute probiere ich das aus.“ Und: „Ist das ein cooles Produkt!“ Oh, Gott, Menschen sind Aliens, glaube ich. Was finden Sie? Ja, finden Sie auch, ja, ja, ja.

Und trotzdem kommt manchmal sowas zustande, trotz allem, trotz dieser ganzen Absurdität. Nicht nur Absurdität, trotz diesen unglaublichen Hürden. Ich meine es ist ja Wahnsinn, dass wir überhaupt kommunizieren können. Es kommt mir jedes Mal vor wie so ein mysteriöser Weise glückender Drahtseilakt, wahrscheinlich. Naja, Drahtseilakt ist vielleicht das falsche Bild. Eher so, als würde man sich – kennen Sie Game of Thrones? – und da gibt es kein e-mail, sondern man schickt Raben: „Send me a raven.“ Und ich stell mir vor, ein Gespräch zu führen mit Raben. Also jetzt, Brieftauben geht ja auch, und man schreibt: „Hy, how are you?“ und dann rollt man es zusammen, tut es an das Beinchen, den kleine Fuß, und der Rabe geht hin und dann so hin und her. Und Menschen können trotzdem so kommunizieren. Das heißt Kommunikation scheint wirklich so eine merkwürdige Kraft zu sein, die uns immer irgendwie doch glückt, mit der Zeit.

Ja, ich wollte jetzt eigentlich gar keine Moral der Geschichte da ankleben, aber sie ist jetzt doch entstanden von selber. Es ist eigentlich ganz angenehm, mal so in ein Mikrofon da irgendwas zu reden. Ich erzähle ja oft meiner Katze Dinge. Das ist wahrscheinlich etwas weit verbreitetes, mit Tieren sprechen. Viele sagen, sie erzählen ihrem Hund was. Ich würde sagen, bei Katzen ist es deswegen interessant, weil die Katze dann meistens so ausschaut, als würde sie einem zuhören. Sie hat dann diesen sphinxartigen Blick. Und schaut dann so.

Mit diesem völlig über jede menschliche Mimik erhabenen kleinen Tiergesicht. Also so. Ja.

Oh, nicht erschrecken! Sorry, ich wollte Sie nicht erschrecken mit diesem Gesichtsausdruck! Alles ok?

Auf jeden Fall sitzt die dann da und studiert einen. Aber sie studiert einen ja wirklich, das stimmt. Katzen sind ja nicht nur daneben, also die sitzen, stehen nicht nur, leben nicht nur nebenbei, sondern die studieren ja wirklich den Menschen. Aber anders, als Hunde den Menschen studieren. Hunde sind wirklich so, die versuchen alles rauszukriegen: „Ah, bedeutet das was, was er sagt? Nein, das Sprechen, das ist irgendwie, blablabla, den ganzen Tag, das bedeutet nichts. Aber vielleicht dieser Blick? Wenn er – aha, ja, das muss es sein! Und gut, Ohren hat er keine, Schweif ja auch keinen.“

Aber Katzen haben dieses: „I could leave it, take it.” Also dieses: „Ja, ok, ich versteh dich, glaub ich. Ja, passt, jetzt putz ich mich wieder.“ Sie haben etwas Unabhängiges und Uninteressiertes. Und genau das gefällt mir auch. Also wenn jemand nicht interessiert ist, eigentlich, an dem, aber er ist halt daneben und schaut mich so ein bissl an. Ja, genau. Das ist auf jeden Fall besser, als Gespräche auf Tinder.

Was meinen Sie, sollte ich wieder mal in einem halben Jahr mit einem anderen Tier auf Tinder? Ah, wirklich? Welches Tier? Nein! Niemals! Das geht nicht! Ja, ok, ok, ich werde es versuchen!

 

 

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