Literarische Selbstgespräche

Von und mit Marcel Beyer

...wenn man doch einem Gedanken erst mal so ins Blaue hinein folgt.

 

Marcel Beyer, © Frank Höhler Soll ich meinen Namen sagen, oder so was? – Nö, muss ich nicht. Gut.

Für mich sind Interviews etwas ganz Komisches, was Merkwürdiges. Weil ich auf der einen Seite sehr gerne im Gespräch bin und auch sehr gerne Auskunft gebe über das, was ich mache, wie ich arbeite. Ich habe auch keine Hemmungen zu erzählen, wie ein Text entstanden ist, oder so. Es gibt ja auch Autoren, die haben ihr Kunstwerk abgeschlossen und an die Welt übergeben und wollen sich dazu nicht mehr äußern. Diese Haltung habe ich überhaupt nicht. So, zum Einen. Interviews sind eigentlich immer eine – oder meistens – eine angenehme Situation, weil es eine Gesprächssituation ist. Aber wenn ich dann die Transkription des Interviews bekomme, dann schlage ich immer die Hände über dem Kopf zusammen, was ich für einen Unsinn geredet habe. Und vielleicht meine ich gar nicht so sehr inhaltlichen Unsinn, sondern die Tatsache, dass ich, da ich im Sprechen nachdenke beim Interviewgeben, ganz offenbar immer wieder auf dieselben Satzkonstruktionsmuster zurück greife. Als wäre das so der Halt, den man sich selber gibt, wenn man doch einem Gedanken erst mal so ins Blaue hinein folgt. Oder versucht eine Frage zu umkreisen und vernünftiger, oder anschaulicher, zu beantworten, als dass man nur sagt: ja, oder nein, oder eine Standardantwort gibt.

Dann bekomme ich also die Transkription und dann – das tut mir immer sehr leid – liegen sie sehr, sehr lange bei mir auf dem Computer auf der Festplatte. Ich sage dann zu mir: ich werde es gleich durchgehen und werde dann nur ein bisschen redigieren. Und dann unternehme ich einen Vorstoß nach dem anderen, das tatsächlich zu tun, und bin wieder so erschlagen davon, wie offenbar meine mündliche Sprachkompetenz sich doch so enorm von meiner schriftlichen unterscheidet. Was ja für mich selber überraschend ist, oder, ich bin da ganz perplex, weil mir das ja, wenn nicht Gesprochenes transkribiert wird, gar nicht so präsent ist, dass ich dann die Interviews liegen lasse, oder eigentlich auch manchmal neu schreibe. Und das ist eine Frage – also, warum ist das so? – über die ich seit einigen Jahren nachdenke. Es kommt sicher auch hinzu, dass man ja irgendwann angefangen hat, auch Mail-Interviews zu führen. Also wo man eigentlich so einen mündlichen Gestus versucht herzustellen, aber es sind ja eben doch schriftliche Fragen, die ausgetauscht werden, und man antwortet schriftlich.

Also ich denke darüber nach, oder frage mich, wie das eigentlich kommt, dass ich einerseits sehr gerne mündlich kommuniziere, andererseits aber ja doch offenbar ein Schriftmensch bin. Und frage mich dann hinsichtlich des Schreibens, wie das eigentlich funktioniert – wie ist das eigentlich, wenn ich einen Satz notiere? Denn wenn ich einen Satz notiere, merke ich – oder gar nicht, wenn ich einen Satz notiere, sondern wenn ich eine Idee notiere, und denke: ah, der Text könnte jetzt so weitergehen, oder das wäre ein guter Weg ins nächste Motiv, oder zur nächsten Frage, die ich ansprechen möchte – dann merke ich eigentlich, dass ich doch sehr von grammatischen Konstruktionen, oder von Satzkonstruktionen ausgehe. Es gibt dann so Notizen, in denen der Inhalt weitgehend noch leer bleibt, und nur so ein bisschen durch ein Substantiv vielleicht angedeutet wird – ah, das wäre dann das – aber eigentlich sonst die Notiz daraus besteht, einen Satzverlauf zu notieren. Also gibt es das offenbar ja doch, als Spontanes, oder als etwas, was vorgängig ist, fast noch vorgängig ist, vor dem inhaltlichen Nachdenken. Oder das greift so eng ineinander, dass ich auch durchaus mit der Satzkonstruktion anfangen kann. Wieso funktioniert das, und wieso funktioniert das mündlich nicht, frage ich mich? Ich bin immer ganz, ganz – ja, wirklich hingerissen – wenn ich Interviews von Kollegen lese, die ja nun auch schreiben, und auch sagen würden, das Schreiben ist ihr Metier und das ist das Erste, was sie machen. Wenn sie dann aber so – nicht druckreif, würde ich nicht sagen, sprechen – aber auf eine Weise elegant Grammatik und Ideenentwicklung wie ineinander greifen lassen, im Verlauf ihrer Antworten. Dann gehe ich halt davon aus, dass sie nicht nochmal alles neu geschrieben haben, sondern, dass sie tatsächlich so sprechen und merke eben immer wieder, ich kann das überhaupt nicht. Und im Hinblick auf diesen Unterschied zwischen reden, oder sich mündlich äußern und jetzt will ich schon sagen, sich mündlich austauschen, aber da ist schon genau der Punkt. Also im Hinblick auf diese Diskrepanz zwischen dem Schreiben – an wen richtet sich eigentlich der Satz, den ich schreibe? – oder, der Satz den ich schreibe, der richtet sich an jemand ganz anderen, als der Satz, den ich spreche. Der Satz, den ich spreche, richtet sich immer in der Situation direkt an mein Gegenüber. Und das heißt ich bin da auch immer aufmerksam mit den Ohren dafür, dass das Gegenüber etwas einwirft, oder etwas korrigiert, oder eigentlich das für mich übernimmt, mich zum nächsten Gedanken zu führen, oder mal ein Wort sagt, das mir nicht einfällt, oder so. Also das ist für mich immer eine tatsächliche Gesprächssituation. Und da funktioniert offenbar meine Grammatik anders, das finde ich so interessant.

Wenn ich eben transkribierte Interviews lese, ärgert mich an dem, was ich sage, oder wie ich es sage, dass so irre viel Gestus da drin ist, es gibt so ungeheuer viele deiktische Begriffe – und jetzt merke ich an mir selber: so rede ich auch jetzt im Moment. Und dann beginnt man zu gestikulieren und eigentlich gehören diese deiktischen Begriffe und diese Bestärkungen und auch die Demonstrativpronomen, zum Vorrat an Gesten im Gespräch. Und diese ganzen Gesten funktionieren natürlich schreibend ganz anders. Also im stillen Satz, so gesehen. Selbst, wenn ich laut schreibe. Also ich spreche beim Schreiben. Die rhythmische Struktur des Satzes ergibt sich eigentlich dadurch, dass ich dann immer wieder spreche. Aber offensichtlich verbirgt sich der Gestus im Geschriebenen wo anders, als im Gesprochenen. Das finde ich sehr interessant, ohne dass ich es tatsächlich analysieren könnte.

Und dementsprechend könnte es sein, dass auch nach der Transkription unseres Interviews – obwohl Sie nun gar nichts gesagt haben, aber natürlich als Gegenüber einfach anwesend sind – dass nach der Transkription dieses Interviews die schriftliche Fassung bei mir eine ganze Weile auf der Festplatte liegen bleibt.

 

 

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