VERSschmuggel / WERSszmugiel

Polnisch- und deutschsprachige Gedichte

Autor:
Hrsg: Aurélie Maurin, Thomas Wohlfahrt
Besprechung:
Rainer Strobelt
 

Polnisch- und deutschsprachige Gedichte

Poesie auf Augenhöhe

16.04.2013 | Hamburg

Das „VERSschmuggel“ des Titels verblüfft sofort, wissen wir doch die Tage des Samizdat im Wesentlichen hinter uns. Bleibt also die Frage, wo die besonders kühne Eigenschaft dieser Reihe im Wunderhorn-Verlag steckt, desjenigen Verlages, der ja das Etikett auch für weitere vergleichbare binationale, zweisprachige Gemeinschaftsprojekte verwendet hat.

Sie besteht wohl darin, dass sich, wie in unserem Fall, polnische und deutschsprachige Lyrikerinnen und Lyriker treffen, die des Deutschen bzw. des Polnischen nicht mächtig sind,  ihre Texte vorzeigen mit dem Ziel der Hin- und Herübersetzung, wobei sie einem beisitzenden Dolmetscher wohl nicht immer das letzte, dichterische Wort zugestanden haben dürften. Wie geschehen anlässlich eines Übersetzerworkshops beim poesiefestival 2009 in Berlin. Ein Jahr später dann die Buchveröffentlichung (mitgeliefert werden 2 CD, deren Textwortlaute teils verblüffend von der Druckversion abweichen, was andererseits manchen Insider besonders interessieren könnte) sowohl in einem deutschen als auch polnischen Verlag.

Auswahlkriterien waren laut Vorwort von Thomas Wohlfahrt, Gründungsdirektor der Literaturwerkstatt Berlin, vor allem „zeitgenössisch“ zu sein: Das Eckdatum Geburtsjahr 1946 hätte dabei die Chance geboten, der in Polen (und von deutschen Übersetzern) mit eiserner und beschämender Systematik übersehenen großartigen Lyrikerin Tamara Bołdak-Janowska endlich ein internationales Forum zu bieten; dazu im Herkunftsland „kein Unbekannter“ zu sein; schließlich per eigener Lyrik „Einblicke in andere Gedankenwelten und ästhetische Präferenzen“ geben zu können.

Die acht polnisch-deutschsprachigen Paare sind: Piotr Sommer und Ilma Rakusa; Jacek Podsiadło und Ulf Stolterfoth; Marta Podgórnik und Uljana Wolf; Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki und Peter Waterhouse; Adam Wiedemann und Henning Ahrens; Tadeusz Dąbrowski und Brigitte Oleschinski; Marzanna Bogumiła Kielar und Anja Utler; Roman Honet und Steffen Popp.

Hinsichtlich der Übersetzungen fällt für das Druckbild, Interpunktion (Verwendung von Komma vs. im Polnischen populärem Gedankenstrich) die grundsätzliche Präferenz eines Gleichschritts auf; auch für die Wortform, der dann aber manchmal eben doch aufgehoben wird, wenn etwa Piotr Sommer ein sperriges Substantiv „Geheiß“ übersetzt  / übersetzen lässt mit einem „I tak ma być” (So hat es auch zu sein, meine Übersetzung). War da allerdings Ilma Rakusa wirklich glücklich mit der Auflösung ihres Konzentrats? Knifflig, wie wir alle wissen. Insgesamt hier ein klares Lob für die sorgfältigen Übersetzungen, denen es gelungen ist, Potential und Gleichwertigkeit des Polnischen und Deutschen in puncto lyrisches Ausdrucksvolumen abzubilden.

Ein Vergleich der poetischen Ästhetik erbringt die Vermutung, dass zeitgenössische deutschsprachige Dichterinnen und Dichter mehr zu formellem Experiment, z.B. zum suggestiven Staccato neigen, während ihre polnischen Counterparts in der Regel noch Berechtigung für einen Satzbau sehen. Deutsche Autoren bedienen sich öfter anglo-amerikanischer Referenzen als ihre polnischen Kolleginnen und Kollegen.

Natürlich, möchte man ja wohl sagen, ähneln sich die Thematiken aller hier vorgestellten lyrischen Stücke, indem sie Ungerechtigkeit, Absurdität, Bevormundung, Zweifel,Verlust – mehrfach, und beiderseits, anhand von Großstadt- und Internetrealitäten  - widerspiegeln; allerdings mag es doch manchen Lyrikfreund beruhigen, dass die vielleicht eindrucksvollste Stimme in diesem Lyrikband die der Marzanna Bogumiła Kielar ist, indem sie vorführt, wie auch die moderne Lyrik auf den Spiegel der Natur nicht verzichten sollte in ihrem Bemühen, menschliche Existenz begriffspräzise und doch mit Weite abzugreifen, dabei, dadurch Magie erzeugend: „In uns arbeiten die Arme des gleichen Deltas  / Und die Sonne schaukelt die Tage wie flache Kähne in der kleinen Bucht / schlagen ihre Seiten aneinander - // die gleiche Welle / trägt mich und dich und ein jedes Stöckchen und hört nie auf“ (Gedicht „Seen“ / „Jeziora“).

Welch feines Fazit gleichzeitig dieser überaus begrüßenswerten Lyrik-Coproduktion zwischen den Verlagen Wunderhorn und K.I.T Stowarszyszenie Żywych Poetów !


Exklusivbeitrag

VERSschmuggel/WERSszmugiel
(Polnisch- und deutschsprachige Gedichte/Antologia poezji polsko- i niemieckojęzycznej), hg. Aurélie Maurin und Thomas Wohlfahrt, ISBN 978-3-88423-360-3 (Deutschland) ISBN 978-83-61381-03-7 (Polen), € 26,80 , Wunderhorn und K.I.T Stowarszyszenie Żywych Poetów 2010

Rainer Strobelt hat zuletzt über »Die Betäubung« von Anna Enquist auf Fixpoetry geschrieben.