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Gedichte
Zauberer im Niemandsland. »Magische Maschinen« von Lars Reyer.
19.04.2013 | Hamburg
Annähernd sieben Jahre liegen zwischen Lars Reyers Debutband „Der lange Fußmarsch durch die Stadt bei Nacht“ (2006) und seiner neuen Sammlung, die nun unter dem Titel „Magische Maschinen“ erschienen ist. Ein Zeitraum, der nicht wenige Erwartungen geschürt hat, die glücklicherweise kaum enttäuscht werden. Manchem Gedicht konnte man bereits in Zeitschriften und Anthologien begegnen, aber erst die Zusammenstellung des Bandes erweist tatsächlich, welche hochprozentigen Wortkonzentrate aus Reyers Destillerie kommen.
Einen besonders starken Eindruck hinterlassen jene Gedichte, die eine Szene — sei es der Erinnerung, sei es der unmittelbaren Anschauung — vor dem Auge des Lesers entfalten. Vielleicht verdankt sich hier einiges dem Erzählgedicht amerikanischer Provenienz, allerdings verdichtet Reyer diese Szenen ungemein, indem er die Worte so wählt und so setzt, daß sich über die Vermittlung eines Inhalts hinaus auch ein hochbefriedigendes ästhetisches Gebilde ergibt, das von einer gemäßigten Modernität ist, die es sowohl auf die Höhe der Gegenwart als auch ins unmittelbare Verständnis stellt. Der Ablauf der Gedichte mündet dabei jedoch nie in eine geistreich-summarische Pointe, sondern oft in Halbschlüsse, die sich weitere Öffnungen vorbehalten.
Fassen wir das Gedicht als eine Wanderung auf. (Die unruhigen Zeileneinschübe legen dies nahe.) Dann gilt es, Orte zu erkunden und dem Körper und der subjektiven Wahrnehmung in ihnen ein Kraftzentrum zu geben. Es geht durch urbane und rurale Szenen, vor allem aber durch „das Niemandsland / zwischen Stadteil & Stadtteil“ — es geht über Schotterstraßen und Panzerplattenwege, bis man vor überspültem Stahlbeton steht und einen Sack voller Frühjahrskatzen findet. Solchen verlassenen, von der Industrialisierung aufgegebenen Plätze scheint Reyers große Aufmerksamkeit zu gelten, und er spürt mit der nötigen Einfühlung der transparent gewordenen Geschichte nach.
Viele Erinnerungen kreisen auch um die ländliche Gegend, zwischen Braunkohledunst und Schweineschlachtung, zwischen religiösen Ritualen und nüchternem Sterben (z.B. Unfall und Selbstmord im „Ländlichen Tryptichon“). An zahlreichen Details läßt sich rasch erkennen, es handelt sich um eine Kindheit in der früheren DDR. Doch ist dies jenseits von Kritik oder Verklärung, Lars Reyer beschreibt einfach nur, er beschreibt subjektiv, weshalb gerade — so paradox es klingen mag — eine große Klarheit einzieht. Dabei hebt sich der Zeitfluß zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf in den harten, unbarmherzigen Blöcken des Erinnerns, so daß Sprache zur ästhetischen Dokumentation wird.
„Ich kann diese dunklen Sprachen nicht sprechen, / die aus den Automaten kommen. Mir ist die Sonne / noch als Abziehbild bekannt“, faßt Reyer die kindliche Wahrnehmung zusammen — von welchem zeitlichen Standpunkt aus? — und fährt fort: „Ich kann diese dunklen Sprachen nicht essen. Ich baue / mir eine Höhle in Lehm & Gestrüpp / & mache ein Feuer.“ Die Skeptik vor Mechanisierung führt einerseits zur Flucht, in Drogen, in Musik, jedenfalls in Sinnlichkeit, aber auch zu einer unübersehbaren Bewunderung der Mechanik. Kühner als die berichtenden Gedichte sind nämlich jene Sequenzen, in denen Bild- und Bedeutungsbereiche scharf gegeneinander geschnitten werden, etwa in dem titelgebenden Zyklus „Magische Maschinen“, der Körpermetaphern und Werkzeugmetaphern überblendet. Oder den Wortbändern des Schlußzyklus, einer wilden rockigen Achterbahnfahrt, inspiriert von Tracks, Tapes und Auslaufrillen.
Dennoch liegt die eigentliche Stärke des Buches wohl in jenen Gedichten, die uns an Orte (Örtlichkeiten) führen, von einem hypermodernen Männerklo, wo Vögel vom Band zwitschern, bis zu den Abenden mit reichlich Schnaps und Zigaretten. Hier entfaltet der Wahrnehmungszauberer Reyer seine volle Magie zu einer Stimme, der man vertraut, weshalb man ihr gern durch alle lyrischen Finessen folgt.
Exklusivbeitrag
Lars Reyer: Magische Maschinen. Gedichte. ISBN: 978-3-89561-218-3. 18.95 Euro. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2013.
Jürgen Brocan hat zuletzt über »Diskurs über die Zeit« von Anton Pincas und »Streichend schreiben» von Yves Bonnefoy auf Fixpoetry geschrieben.