Pyrit

Gedichte

Autor:
Anke Bastrop
Besprechung:
Schirin Nowrousian
 

Gedichte

In Scharten von Schilf. »Pyrit« von Anke Bastrop

Eine besonders interessante und anregende Eigenschaft von „Pyrit“ ist, dass es sich um einen Lyrikband handelt, der wie eine Erzählung von vorne bis hinten verschlungen sein will (und zwar am liebsten laut und in einem Schwung, wobei zu Anfang die vielen langen Bindestriche etwas irritieren, doch gewöhnt man sich recht schnell daran und genießt dann geradezu ihre oft abwegig erscheinenden Platzierungen, die oft unterbrechen, was dennoch weitergeht…), ein Lyrikband also, der wie eine Erzählung von vorne bis hinten verschlungen sein will, der zugleich aber gelesen sein kann wie eine Sammlung von Gedichten, die beieinander stehen und somit miteinander einhergehen, aber die durchaus auch alleine Bestand haben. Beim ersten Lesen drängt es einen weiter durch diesen „Trichter“ und „schmalen Hals der Sprache“, doch ertappe ich mich bereits beim ersten Lesen dabei, diesem Drängen Einhalt gebieten und zurückkehren zu wollen zu bestimmten ‚Einzeltexte‘, Zeilen und Wendungen, bevor es weitergeht im Fluss der Worte. Und das tue ich dann auch (und seither tue ich es auch immer wieder gerne), und ich genieße diese Stellen dann wie ‚Kristallflächen‘ ganz für sich allein.

 


Typogramm: Andrea Schmidt, Verlagshaus J. Frank

            König Drosselbart, Schneeweißchen und Rosenrot, Schneewittchen und die Schneekönigin (so viel Schnee!), der vorsokratische Naturphilosoph Anaximander, Maria, Tamar (und mit ihr oder ihnen die Tamariske), Judith, Daniel in der Löwengrube (bzw. in Abwandlung seine Mutter in jener Grube), „Horen und Nymphen auf najadischem Gespann“, die eben gelesene indische Wüste Tharr, Daressalaam, das malawische Dorf Cape McLear (am Malawisee gelegen, in dem übrigens auch die Fischarten Utaka und Usipa zu finden sind), Kairos Al-Azhar-Park: Sie alle – und die Aufzählung ist nicht vollständig und reißt jetzt natürlich die einzelnen Elemente aus ihren Verflechtungen – bevölkern und bereichern von nah und fern „Pyrit“, sie wabern durch ihn hindurch und schaffen einen Mehrklang, der darüber hinaus auch noch angereichert wird von Liedhaftem wie z. Bsp. einem hierzulande allbekannten Kinderlied, das angerissen wird und zum Ansummen einlädt, selbst oder gerade wenn es stockt. „Ich geh mit meiner Laterne“ setzt zugleich ein und aus, es setzt durchbrochen an:

 

das Licht ging aus, das Haus das ich fand

verschwand

ich geh ich bin eine Laterne

ich meine Laterne

leuchtet mir – so gehen wir zu dritt – und

keine andere Laterne

                                    geht mit

 

            Manchmal allerdings wirkt das so Angestoßene auch etwas unbeholfen, da dann vielleicht doch ein wenig zu hastig, sprich zu gewollt zitiert, um Raum für Widerspruch zu schaffen, so z. Bsp. beim Aufgreifen des berühmten „Alles hat seine Zeit“ (aus dem Prediger Salomo, dem Kohelet, hierzulande bekannt in eben jener Formel und in der ‚Verdeutschung‘ von Martin Buber als „Für alles ist eine Zeit / […] / eine Frist fürs Geborenwerden / und eine Frist fürs Sterben“ wiedergegeben):

            Dieses so berühmte „Alles hat seine Zeit“ wird abgewandelt im etwas übereilt wirkenden „gebären hat nicht seine Zeit – sterben / hat nicht seine Zeit – außer vielleicht hier“. Genau, möchte man da schalkhaft erwidern, eben und also doch, und nicht nur ‚hier‘, es sei denn, wir sollen ‚hier‘ so, auf diese Art, eingeladen werden, durch den jüdischen Anklang alles Vergänglichen-Befristetem im Leben hindurch buddhistische Pfade zu gehen (die Pfade der Nicht-Existenz von Geburt und Tod), und es sei denn, gemeint wäre daher dann auch ein „nichts hat seine Zeit“, da auch Zeit und Raum nicht-existent sind, aber selbst dann oder vielmehr gerade dann wirkt dieser Einwurf etwas überstürzt und unmotiviert, da zu unvermittelt und verkürzt (wo doch noch dazu ‚hier‘– im „Pyrit“ – so schön die Hebammen aufglimmen…), und so streicht man in Gedanken das ‚vielleicht‘. Aber das sind kleine Unebenheiten, die nicht wirklich ins Gewicht fallen oder stören.

            Das „Ich“ des „Pyrits“ wandert wie gesagt u.a. auffallend viel durch afrikanische Gefilde, auch wenn es beteuert, es „kenne Afrika nicht“, genauso wenig wie Europa, sondern „nur den Walnussbaum / der hinterm Haus im Schatten steht“. Dahinter verbirgt sich vor allem, so scheint mir, der zu recht geäußerte Wunsch, der ein ernstes Anliegen wird, sich bei allem Afrikanisch-Orientalischem, das mitschwingt, behutsam zu verhalten und fernab „grimmiger Kolonialstiefel“ zu bewegen.

            Auf dem Buchrücken ist die Rede vom „Dichten als Jonglage“. Eine gekonnt, gewollt holprige und zugleich fließende Jonglage, so lese ich es, und dem kann man noch das Dichten als Verweben von Klang-Funken hinzufügen, die sowohl danach rufen, gesehen als auch gehört zu werden. Narrengold trifft es daher ganz gut: Nichts ist je ganz klar, und doch leuchtet alles ganz deutlich im sichtbar Unbestimmten.

            Der Band kommt in der dem Verlagshaus J. Frank üblichen, schön schlichten, weißen und wunderbar anzufassenden Aufmachung daher. Innen durchziehen Illustrationen die Seiten, die u.a. an überdimensionierte Buchstaben erinnern und den Effekt vom Durchqueren eines Dickichts mit ein paar Lichtungen haben. Ich gebe zu: Vielleicht hätte ich mir da etwas anderes gewünscht, etwas Feingliedrigeres, schilfiger, weniger dick, sperrig und schwarz, denn „Pyrit“ hat bei allen Brüchen, die ihm eigen sind, durchaus etwas Luftig-Elegantes, diesen Bogen eben, der es feinfühlig durchzieht und bei allem eingewobenem Wackeln trägt und zwar vom „Gedicht aus Licht“ bis hin zum „ungeschützte[n] Bekenntnis“…