Gedichte

Verzaubernd im Entzaubern: charaktervoll, charismatisch & charming. »Finissage« von Dominik Dombrowski

Im Titel des Bandes Finissage klingt sehr viel an. Es steckt ein Anflug von Abgesang darin, schwer zu sagen, worauf … ein Ende wird besungen, ein Letztes, in dem Sinne vielleicht, dass alle Enden vielleicht schöner sind als Anfänge? Oft behandeln Dombrowskis Texte Endpunkte, in Auflösung Begriffenes, Nachklänge. Darüber hinaus transportieren sie das Gefühl, zurückzublicken aus einer Perspektive, die alles schon hinter sich hat.

Zu Dombrowskis Dichtung gehört die Komponente des Hörens. Er ist mit seinem ruhigen, coolen Vortrag ein – wie man heute gerne sagt – „charismatischer Performer“, auch wenn er selbst vermutlich über diesen Ausdruck schallend lachen würde. Überhaupt lachen einem viele seiner Texte ins Gesicht; ein Lachen: doppelbödig und geheimnisvoll. Schon der Einstiegstext Pathétique ist ein eigen(tümlich)er Kosmos und gäbe Stoff für einen ganzen Roman her: durchweg postmodern spielt er augenzwinkernd mit einer immanenten Gesellschaftskritik um den ewig-monotonen „Gleichlauf“ der Dinge, dem Aufstieg und Fall – wovon eigentlich? Wird hier die Illusion aufs Korn genommen, „groß rauszukommen“? Karriere, Erfolg, Werden und Vergehen – sprich das unvergängliche „Heute berühmt und morgen schon vergessen“-Ding?

 

Es ist nicht mehr lang bis zum Morgen und ich muss noch geboren werden

und sterben bevor es wieder Nacht wird / bis dahin folge ich

einer Straße die es am Tag nicht mehr gibt (…)


Der Text karikiert zum Ende hin, mit einer Anspielung auf Émile Zola, den eintagsfliegenhaften Aufstieg und Fall mancher Diven, hier „Nanas“ genannt. Es hat desillusionierenden Hautgout und vielleicht eine Prise Weltschmerz, aber ist doch nicht klagend und ausgesprochen, sondern eher abgeklärt und konstatierend und darin sehr elegant, weil aus einem ungeübten Blickwinkel heraus. Dieser Blickwinkel ist, ich würde sagen, Dombrowksiesk. Es sind dichte, gehaltvolle und manchmal fast massive Gedichte. Was nur Indiz dafür ist, dass der Autor etwas zu sagen hat. Und das ist gar nicht so sehr die kraftvolle sprachvolle Wucht dieser meist längeren Gedichte – es ist ihr dunkler und dennoch glänzender Charme, als sei jedes Gedicht in dunklen Samtschatten eingewoben. Und erst durch den Akt des Zuhörens oder Lesens befreit werden kann aus diesem sie umwebenden Kokon. Die Texte sind, was das Leben angeht, mit allen Wassern gewaschen, „kalt“ analytisch und „warm“ anrührend zugleich. Wie das zugeht? Dombrowski macht es vor. Die Gedichte gehen mit einer gewissen Abgeklärtheit ihren Gegenständen gründlich auf den Grund, ohne sie dabei zu profanieren. Dombrowskis Texte gewinnen spannende Standpunkte hinsichtlich Dingen wie Glück, Erfolg, Kommerz. Sie sind, um mit Ludwig Hirsch zu sprechen, „Pillen gegen die Traurigkeit“, manchmal schwarzdunkel verzaubert und märchenhaft erstarrt, als läge diese Welt im dunklen Dornröschenschlaf. Entzauberung passiert da, wo über das rein Poetische hinaus dem Leser eine Erkenntnis aufscheint.

Dominik Dombrowski findet gelungene – das heißt in diesem Fall: angenehm verstörende Bilder vom Vergehen, von Vergänglichkeit, von Endlichkeit. Vielschichtig und tief. Alle Poesie hat bei Dombrowski wahrhaftige Kehrseiten. Sie zeigen und benennen die „Rückseiten der Herrlichkeit“ (ein Buchtitel Kurt Drawerts), haben stellenweise ihren ganz eigenen Sarkasmus, haben durchaus bonmothaft-boshafte Spitzen, aber sie haben darin immer auch ein sehr menschliches Verständnis für das „Allzumenschliche“, haben sogar Güte, wo andere Weltschmerzgedichte nur düster und flach sind oder aufgrund von „punkigen“ Schockeffekten im Rundumschlag alles nihilistisch und zynisch niedermachen. Mancher Text klingt wie der letzte Text aus einem imaginären Spätwerk oder sei schon zu Lebzeiten posthum erschienen. So bin ich tatsächlich kurz erschrocken, als ich auf der Startseite dieses Portals jüngst las: Dominik Dombrowski – posthum. Doch es war nur die Ankündigung des Gedichts posthum als Text des Tages.

 

Aus dem Text Schneekönig:

 

(…) das ist hinterhältig weil plötzlich erste


Lieben wieder auftauchen oder ein weißes Schiff nach Hongkong fährt

seit Jahrzehnten / tote Haustiere wieder eintrudeln / am Ende der Party


auf der Bahre /Wasserleichen aus dem Pool /längst ertrunkener Kindheit

besser wäre es / wenn all die verdammten Sätze wie Schiffe strandeten


sich vor seinen letzten Zigarettenzug würfen genau hier (…)


Dombrowskis Texte umspielen gelegentlich Zynismen, doch es ist eher der gutgelaunte, lebensfrohe Kynismus Sloterdijks, kein lebensverneinender, bösartiger Zynismus. Denn in Dombrowskis Gedichten gibt es das Schöne, oder es gibt wenigstens einen „unkaputtbaren“ Rest des Schönen (als ein kleines Rasenstück Freude zwischen einem verfallenden Rest versteinerten Lebens?) – zwischen all dem Rock’n’Roll, den Fragmenten von gescheiterten Lebensentwürfen, den Agonien, den albinotischen Fledermäuschen und einem immer „irgendwie“ posthumen Blick auf „das Ganze“ (z. B. auf die Falschheit der Welt?) Dabei sind diese Texte sehr weit weg von einem moralischen Anprangern; es wird nichts vorgeführt; sie schauen einfach nur nicht weg. Was mitunter aussieht wie ein Anflug von Weltekel ist eigentlich genau dessen Umkehrung. Aus dem Gedicht Offroad:

 

Manchmal kommen Leute dann erzählst du von den schönen / Nächten hinter den Tankstellen

wenn du deinen Rausch hattest dort ließ sich / eine heilige Stille nieder

und ein Schicksal erwarten / ob sich im Morgengrauen etwa Portale öffnen würden direkt in eine indische Totenstadt hinein (…)

 

Dombrowskis Texte haben das interessante Stilmittel, dort mit Schrägstrichen zu arbeiten, wo normalerweise Zeilenbrüche wären. Hierdurch bekommen die Texte eine collagenhafte Note. Es kommt ein Hauch von Bewusstseinsstrom und Cut-Up in die Texte. Dem ungeachtet haben sie zusätzlich wohlplatzierte Zeilenbrüche, oft als überraschende Enjambements ausgeformt.  Es sind sehr kompakte Gedichte. Sie sind narrativ und haben meistens einen Mini-Plot. Rhythmisch mehrfach überschrieben gibt es ein „darunter“ und ein „darüber“. Diese Gedichte haben Schichten, ähnlich den späteren Werken des Malers Gerhard Richter, der immer noch eine neue Schicht über seine Bilder zieht. Hier liegt immens viel im Unausgesprochenen; der Subtext ist umso eloquenter. Gelegentlich haben sie auch ihr kleines, unverhohlenes Pathos und stehen dazu, wo viele heutige Gedichte sich in einer stetigen Pathosvermeidung eine Form des Nichtpathos aneignen, woraus jedoch bisweilen in der Umkehrung ein ebenfalls „hoher Ton“ aufsteigt.