Gedichte

Verzaubernd im Entzaubern: charaktervoll, charismatisch & charming. »Finissage« von Dominik Dombrowski

Oft spüre ich bei Dombrowskis Gedichten ein Lebensgefühl, dass ich als Jugendlicher hatte, was vielleicht daran liegt, dass der Autor und ich ähnlich alt sind. Dass hier eine ungebrochene, geradezu explosive Lebensenergie sich austobt, die im Grunde positiver ist als der sie umgebende Rest, auch wenn man es beim Lesen wohl zunächst andersherum wahrnimmt. Sie beschreiben in ihren „Dunkelstellen“ keinen drittrangigen Abglanz. Sondern es ist genau die Schönheit dieser Texte, dass sie aus all dem „abgefrühstückten“ Rest (auch Vanitas genannt ...), und aus den von ihnen aufgezeigten Abseitigkeiten und „dekadenten“ Lebenswelten dennoch eine herbe, schwarzsamtige Schönheit abstrahlen, eine traumartige David-Lynch-Romantik; eine, die sich ihrer selbst bewusst ist und über sich selbst lachen kann. In diesem Lachen ist auch Tiefe: Dombrowskis Gedichte sind bei all dem, was durch Umkehrungen positiv wird, niemals positiv im Sinne der eisigen Fröhlichkeit festgetackerter Mundwinkel, haben aber ihr ganz eigenes Positives aus einer Art Überlegenheit heraus, der ungebrochenen Lebensenergie, die dahinter schlummert. Sie sind augenzwinkernd und haben einen überlegenen Humor. Sie sind längst zu sich gekommen, sind „erwachsene“ Texte (ebenso wie es in der Bildenden Kunst „erwachsene“ Bilder gibt), die sich gefunden haben, in Tonfall, Haltung, Standpunkt. Diese Gedichte haben einen Standpunkt, auch wenn sie nicht starr und ideologisch sind. Spät mit einem Gedichtband zu reüssieren hat – neben unübersehbaren Nachteilen des „ewigen Nichtwahrgenommenwerdens“ – den großen Vorteil, dass ein Dichter, der noch keinen Band „draußen“ hat, sich automatisch mehr anstrengen wird, seine Stimme immer noch mehr zu finden.

Dombrowskis Dichtungen sind bei allem, was schwarzsamtig aufscheint, auch hell und warm. Die Texte verschweigen nichts. Die zeigen die Welt, wie sie ist; sie zeigen die ganze Kompliziertheit, die Komplexität dessen, was „nicht stimmt“, wo unterm Strich das nicht aufgeht – wo andere Dichtungen sich oft beinahe gefallen im zeitgemäßen Aufzeigen gestörter Idyllen und darin kokett verharren. Eine Tugend machen aus der Welt-Disharmonie. In ihren geschmerzten Vorzeige-Aporien hängenbleiben. Sich sozusagen „musterhaft gebrochen“ geben. Das affirmativ-perfekte Aufzeigen des Unperfekten ist für mich regelmäßig ein formaler Widerspruch vieler zeitgenössischer Texte, weil ihnen dadurch nichts Unzeitgemäßes mehr anhaftet. Was aber doch an und für sich erst den subversiven Reiz eines neuen und ungewöhnlichen Textes ausmacht?

 

Die Rolling-Stones-Männer sind alle richtige Haudegen / die diesen züngelnden Wulstige-Lippen-

Button am Jackett tragen / sie fahren / am Wochenende mit den Lebensgefährtinnen gerne

Fahrrad sie gehen auf / die Jagd in den Antiquariaten / nach Stonesbiografien & passen ihre Tonträger

stets den zeitgemäßeren Geräten an (…)

 

Spätestens, als ich bei einer Lesung die Rolling-Stones-Männer gehört habe, war ich dem beeindruckenden Vortragsstil des Autors vollständig erlegen. Auf dem Papier verlieren die Texte nicht. Schwer zu sagen, warum: ich assoziiere mit diesen Texten immer wieder (Rock-) Songs, auch wenn es nicht ausgesprochen ist. Als seien sie in diese Gedichte „hinein“verwoben: Gedichte, die auch etwas Liedhaftes haben. Sie sind musikalisch, haben ein hochspezielles Flair, haben manchmal einen Glanz wehmütiger Melancholie, als hörte man – in der Art kaum hörbarer Sphärenmusik – „alten“ US-Rock’n’Roll: die ganze Linie von den Beach Boys zu den Ramones und die ganze Traurigkeit eines Ricky-Nelson-Songs wie Travelin‘ Man gleich mit, der so fröhlich über Waikiki singt. Dabei sehe ich die trostlose Ödnis eines leergefegten 70er-Jahre-Plazas im Hinterland von beispielsweise New Jersey, mit ihren an den Wochenenden menschenlos stillgelegten Shops und Einkaufscentern. Aus dem Text Motel:

 

(...) Jenseits des absterbenden

Songs schont jetzt eine Sternenflucht die ungesicherte Schrift / der Stecker

ist gezogen ohne herunterzufahren über den blauen Mond (…)

 

Fest steht, dass die Texte ihre starken Ambivalenzen in sich tragen. Sie hüllen einen in eine sehr atmosphärische Illusion, verzaubern und entzaubern gleichzeitig. Sie sind partyhaft-einsam. Sie enthüllen trotz der ansprechenden Oberfläche erst beim mehrfachen Lesen wirklich alles, was in ihnen an Fluidum steckt. Darin – völlig unzeitgemäß – gibt es auch den Rest eines Lebensgefühls, das heute wegrationalisiert wurde oder nur aus der Ferne nostalgisch anzitiert wird, wo hier auch „echt“ manch feinutopisch-fragiler Rest von Fluxusgedanke mitschwingt, ein Lebensgefühl von unbeugsamer Freiheit, oder, schärfer, von kompromisslosem Freiheitswillen. Während etliche Autoren gedanklich und literarisch ihre auslösenden Erlebnisse mit Poesie womöglich beim Lesen von Dichtung in den Beispielen deutscher Schulbücher finden, erfuhr Dombrowski seine literarischen Anfänge als Dichter bei der amerikanischen Beat Poetry, schrieb sich „rückwärts“ vor und fand somit, poetisch gesehen, in der umkehrten Linie zu sich selbst.


Exklusivbeitrag

Dominik Dombrowski: Finissage.
Gedichte, 2013, parasitenpresse, Köln,14 Seiten, Preis: 6,- €. Band 028 der Lyrikreihe. ISBN n.v.

Armin Steigenberger hat zuletzt über »Aus Waben« von Tobias Roth auf Fixpoetry geschrieben.




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