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Roman
Nichts als Erbsen. »So ist das« von Stephan Groetzner.
18.05.2013 | Hamburg
Herr Dr. Kopfig trägt Schuhe, die ihren Träger neun Zentimeter größer machen, und führt einen Spazierstock mit sich, dessen Spitze Funken sprüht. Clara hat eine Katze, die ebenfalls Clara heißt, und einen wiederkehrenden Traum, in dem ein Dachhase und ein Dachziegel zusammen sieben Steine gebären.
Kopfig und Clara sind die Hauptfiguren in Stephan Groetzners Roman „So ist das“. Wobei „Roman“ ein gewagter Begriff ist für die skurrilen Prosaverse, die der Autor in seinem zweiten Werk versammelt. Öffnet man das Buch, entsteht zunächst der Eindruck eines Lyrikbandes: Jedes Kurzkapitel – manchmal nur wenige Zeilen lang – steht auf einer eigenen Seite; nach jedem Satz folgt ein Umbruch. Der gesamte Roman wiederum ist in zehn Abschnitte unterteilt, die nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge gelesen werden müssen.
Und nicht nur optisch gibt sich „So ist das“ ausgesprochen eigenwillig – was naiv wie ein Kinderreim beginnt, folgt schon bald den hintersinnigsten Windungen, schlägt dadaistische Haken, schraubt sich in philosophische Höhen. Träume haben Zugriff auf die Realität, Häuser stürzen über ihren Bewohnern ein, Jahrzehnte vergehen während einer Autofahrt. Nicht selten wandeln die Protagonisten von Kapitel zu Kapitel ihre Identität.
Nach einem totalen Stromausfall sollen in dem Institut, in dem Dr. Kopfig arbeitet, die Uhren mit Leuchtfarbe versehen werden. Als Clara und Maria mit dem Farbeimer das Institut betreten, kann Kopfig die beiden Frauen nicht auseinanderhalten. Fortan nennt er Clara Maria und Maria Clara. Doch bei dieser Verwechslung bleibt es nicht. Clara ist zugleich Frau, Katze und Stern. Während Maria sich als Außerirdische zu erkennen gibt, folgt Clara einer Leuchtspur ins Innere eines Hügels und begegnet dort einer dritten Frauenfigur, Sarah, die jedoch zugleich Clara ist, bevor sie in einen Fischteich fiel.
Oftmals folgt Groetzners Erzählung einer abgedrehten Traumlogik, die jedoch, als psychoanalytisches Märchen gelesen, vollkommen nachfühlbar wird.
Die Stadt, durch die Kopfig und Clara/Sarah/Maria wandern, ist archaisch und futuristisch zugleich. Es gibt Destillen, ein Lichtspielhaus und einen Markt, auf dem nichts als Erbsen verkauft werden. Eine einzige Straßenbahnlinie führt hinaus aus den expressionistisch verschobenen Kulissen. Außerhalb der Stadtmauern schließlich stellt ein Signalmast den Punkt dar, „an dem sich die herkömmliche mit der modernen Welt berührt“. Im nächsten Abschnitt wandelt sich die Stadt – Häuser zerfallen, Soldaten marschieren durch die Straßen, und ein Artilleriehauptmann taucht auf, der sich als „guter König“ bezeichnet. All dies erzählt Groetzner, trotz strenger sprachlicher Komposition, mit einer bewundernswerten Leichtigkeit.
Schließlich kommt auch noch ein „Ich“ ins Spiel – der „Hausmeister“, der von sich behauptet, die Schlüssel zu allen Zimmern zu besitzen. Bei allem Wortwitz, allem Buster-Keaton-Slapstick, ist diese Behauptung mehr als eine leere Sprachspielerei. Hinter dem Hausmeister, so ahnt man, verbirgt sich eine selbstironische Version der allwissenden Erzählinstanz. Diese Setzung wiederum bietet Groetzner allerlei Gelegenheit für kleine, feine Allegorien auf die Macht des Autors: „Kopfig saß auf einem Stuhl. Ich sagte: Da ist kein Stuhl. Kopfig fiel zu Boden“.
Eine literarische Herausforderung, die derart verspielt daherkommt, hat man lange nicht mehr lesen dürfen.
Exklusivbeitrag
Stephan Groetzner: So ist das.168 Seiten, 19 Euro.ISBN 978-3-85420-835-8.Droschl Verlag, Graz 2013
Anja Kümmel hat zuletzt über »Einzelgänger« von Wolfgang Sofsky auf Fixpoetry geschrieben,