zwischen tür und engel

Gedichte

Autor:
Doris Runge
Besprechung:
Christa Wißkirchen
 

Gedichte

Unbeirrt modern. Doris Runge' gesammelte Gedichte - »zwischen tür und engel«

Die Frage ist, ob sie sich nicht doch untergründig auf unsere inneren Verständnis-Strukturen bezieht, die wir dann beim Lesen auch unwillkürlich anwenden.

 

bernsteinkette

 

die eingefangene

rollende zeit

das vergangene

blut blatt blühen

leuchtet

tiefe

stille

legt sich

um meinen hals

ein schöner

würgeengel

sagt mir

wie jung

wie vergänglich

ich bin

 

Bei Gedichten wie diesem ist man versucht, die knappen Zeilen probeweise zu verschieben, weil sie wie polierte Bauklötze unverbunden scheinen, ohne Mörtel oder Lego-Noppen. Die Zeilen 6-9 und 10-15 könnten dann als zwei Sätze normaler Rede vorbeirauschen. Hier scheint der Zeilenbruch als Lese-Anweisung zu fungieren, künstliche Staustufen drosseln das Tempo. Ein kleines Beispiel nachträglicher Zurechtrückung ist der Titel des Bandes:„zwischen tür und engel“, der übrigens dem Herausgeber schon einmal als Überschrift seiner Rezension des letzten Runge-Bandes gedient hat. Eine schöne Findung, dieser kleine Dreh an einer Redewendung, der die Erwartung abknicken lässt. Im Gedicht ist sie allerdings eingeschachtelt und erscheint gerade nicht auf einen Blick:

 

blind date

 

es muss ja nicht

gleich sein

nicht hier sein

zwischen tür und

engel abflug

und ankunft

in zugigen höfen

es könnte

im sommer sein

wenn man

den schatten liebt

es wird keine

liebe sein

jedenfalls keine

fürs leben

 

Es wäre nun unfair und auch ein Irrtum zu glauben, man könne Doris Runges Gedichte ebensogut in Prosa auflösen. Die Geheimnisse liegen woanders, in Anklängen, speziellen Bildkombinationen, mehrdeutigen Zeichen. Dazu gehört auch der Trick mit dem vorwärts und rückwärts beziehbaren Satzteil, dem Apokoinu, auf das hinzuweisen kein Rezensent versäumt. Auch Ulla Hahn hat ihn vielfach verwendet. Der relativ freie deutsche Satzbau macht ihn möglich, nur kann man damit in die Nähe des Kalauers geraten:

es wuchsen steine / zu dom und / reich / an vergänglichkeit / ist jede zuflucht

Worum geht es in den Gedichten? Der Versuch, das zu beschreiben oder nachzuerzählen hätte keinen Sinn. Doris Runge arbeitet wie alle Dichter in ihrer persönlichen Weise mit  dem Material ihrer Wahrnehmungen, ihrer Lebenserfahrung und Bildung. Einige Wörter und Motive lassen gleichwohl durch ihre Wiederkehr auf eine herausgehobene Bedeutung schließen. Haut, Flügel, Federn, Blut, Fleisch, Stein, Engel, fliegen, Herz, Rosen sind wichtige Wörter. (Hier eine kleine Bemerkung am Rande: ich würde zunächst mir selbst, aber auch anderen zu großer Vorsicht bei der Verwendung von Herz und Rosen raten...)

Das Motiv von Jagd und Beute spielt eine Rolle beim Thema Liebe, und die Figur der Wasserfrau taucht direkt (einmal namentlich als Undine) oder in Anspielungen immer wieder aus den lyrischen Wasserringen auf; es gibt sogar einen kleinen Zyklus „Nixen“.