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Gedichte
Unbeirrt modern. Doris Runge' gesammelte Gedichte - »zwischen tür und engel«
bernsteinkette
die eingefangene
rollende zeit
das vergangene
blut blatt blühen
leuchtet
tiefe
stille
legt sich
um meinen hals
ein schöner
würgeengel
sagt mir
wie jung
wie vergänglich
ich bin
Bei Gedichten wie diesem ist man versucht, die knappen Zeilen probeweise zu verschieben, weil sie wie polierte Bauklötze unverbunden scheinen, ohne Mörtel oder Lego-Noppen. Die Zeilen 6-9 und 10-15 könnten dann als zwei Sätze normaler Rede vorbeirauschen. Hier scheint der Zeilenbruch als Lese-Anweisung zu fungieren, künstliche Staustufen drosseln das Tempo. Ein kleines Beispiel nachträglicher Zurechtrückung ist der Titel des Bandes:„zwischen tür und engel“, der übrigens dem Herausgeber schon einmal als Überschrift seiner Rezension des letzten Runge-Bandes gedient hat. Eine schöne Findung, dieser kleine Dreh an einer Redewendung, der die Erwartung abknicken lässt. Im Gedicht ist sie allerdings eingeschachtelt und erscheint gerade nicht auf einen Blick:
blind date
es muss ja nicht
gleich sein
nicht hier sein
zwischen tür und
engel abflug
und ankunft
in zugigen höfen
es könnte
im sommer sein
wenn man
den schatten liebt
es wird keine
liebe sein
jedenfalls keine
fürs leben
Es wäre nun unfair und auch ein Irrtum zu glauben, man könne Doris Runges Gedichte ebensogut in Prosa auflösen. Die Geheimnisse liegen woanders, in Anklängen, speziellen Bildkombinationen, mehrdeutigen Zeichen. Dazu gehört auch der Trick mit dem vorwärts und rückwärts beziehbaren Satzteil, dem Apokoinu, auf das hinzuweisen kein Rezensent versäumt. Auch Ulla Hahn hat ihn vielfach verwendet. Der relativ freie deutsche Satzbau macht ihn möglich, nur kann man damit in die Nähe des Kalauers geraten:
es wuchsen steine / zu dom und / reich / an vergänglichkeit / ist jede zuflucht
Worum geht es in den Gedichten? Der Versuch, das zu beschreiben oder nachzuerzählen hätte keinen Sinn. Doris Runge arbeitet wie alle Dichter in ihrer persönlichen Weise mit dem Material ihrer Wahrnehmungen, ihrer Lebenserfahrung und Bildung. Einige Wörter und Motive lassen gleichwohl durch ihre Wiederkehr auf eine herausgehobene Bedeutung schließen. Haut, Flügel, Federn, Blut, Fleisch, Stein, Engel, fliegen, Herz, Rosen sind wichtige Wörter. (Hier eine kleine Bemerkung am Rande: ich würde zunächst mir selbst, aber auch anderen zu großer Vorsicht bei der Verwendung von Herz und Rosen raten...)
Das Motiv von Jagd und Beute spielt eine Rolle beim Thema Liebe, und die Figur der Wasserfrau taucht direkt (einmal namentlich als Undine) oder in Anspielungen immer wieder aus den lyrischen Wasserringen auf; es gibt sogar einen kleinen Zyklus „Nixen“.