zwischen tür und engel

Gedichte

Autor:
Doris Runge
Besprechung:
Christa Wißkirchen
 

Gedichte

Unbeirrt modern. Doris Runge' gesammelte Gedichte - »zwischen tür und engel«

Ist wohl nebenbei die Frage gestattet, ob es sich hier um eine weiblich geprägte Lyrik handelt – oder fliegen gleich Steine? Die Frage führt über das lyrische Handwerk hinaus zu persönlichen Dingen und dort speziell zu Beziehungsangelegenheiten. Schattenhaft taucht mir der Gedanke auf, dass vielleicht die in der Nachkriegszeit aufgewachsene Frauengeneration, mir fällt da die DVA-Kollegin Ulla Hahn ein, eine überlieferte Vorstellung vom Projekt der „großen Liebe“ verinnerlicht hat, mitsamt der dazugehörigen ebenso großen Enttäuschung und Verletzung einer passiv duldenden und unverstandenen Frau. Undine – wer denkt da nicht an Ingeborg Bachmann?

Aber lassen wir dieses heikle psychologische Thema und kehren zurück zum poetischen Verfahren. Man hat der Autorin immer ihre Knappheit bescheinigt, die sich fernab aller Geschwätzigkeit aufs genau kalkulierte Notwendigste beschränkt. Aber gerade da muss es auffallen, wenn ein Gramm zu viel auf die Waage gelegt wird. Eine Frage, die ich Lyrikern schon gestellt habe, ohne eine befriedigende Antwort zu bekommen (Doris Runge hat sie möglicherweise in ihren Poetik-Vorlesungen behandelt): Wie weiß man, wann ein Gedicht zuende ist? Braucht es Mut, einen Schlusspunkt zu setzen, wenn man am liebsten noch ein bisschen nachlegen möchte? Und wo ist umgekehrt die Grenze zur Miniatur, zum Aperçu, wenn fast schon der Haiku-Umfang erreicht ist? Ich möchte zwei Favoriten anführen, die mir eine gute Balance zu halten scheinen:

 

mimikry

 

es streicht durch

rattenschwänzige gassen

hockt auf dem dach

riecht angst

buckelt zeigt

der mausäugigen

zwei gelbe monde

 

seit tagen

 

dieses

feine weiße

rieseln

knochenmehl

was treiben sie

im siebten stock

haben engel

knochen

bricht man sie

uns ist so kalt

seit tagen

 

In Heinrich Deterings Nachwort, das viele schöne Komplimente enthält, heißt es zum Schluss:

Doris Runges kontinuierlich gewachsenes Werk, das man schon lange nicht mehr schmal nennen kann, hat eine Sprachkunst entfaltet, deren Strenge und Schönheit ganz für sich stehen. Es ist konsequent modern, weil es aus der dunklen, der unruhigen und beunruhigenden Romantik kommt, weil es deren Bildvorrat lebendig erhält, indem es ihn entromantisiert.

Nun könnte die Autorin bei den jungen Lyrikern von heute kaum einen Blumentopf gewinnen, eben weil sie vielleicht modern, aber nicht postmodern ist. Aber was ist das genau? Und ruft nicht schon irgendwo jemand das Ende der Postmoderne aus? Doris Runge dichtet, wie ihr der lyrische Schnabel gewachsen ist, und wird vermutlich dabei bleiben, ohne sich um die IN/OUT-Listen der Szene zu kümmern. Das würde auch zu Verbiegungen führen.

Auf meinem Bücherregal steht schon seit Jahren mit stummer Mahnung ein gerahmtes Sätzchen von Friedrich Schlegel:

Affektation entspringt nicht sowohl aus dem Bestreben, neu,

als aus der Furcht, alt zu sein.

 


Exklusivbeitrag

Doris Runge: zwischen tür und engel
Gesammelte Gedichte geb., 256 S., ISBN 978-3-421-04584-3, Euro 22,99, DVA München 2013

Christa Wißkirchen hat zuletzt über »die form der druck das meer« von Gregor Däubler auf Fixpoetry geschrieben.

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