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Eine Geschichte der Weiblichkeit
Feministischer Neurosexismus. »Vagina« von Naomi Wolf
06.06.2013 | Hamburg
Ich würde gerne schreiben, „Vagina“ von Naomi Wolf ist ein streitbares Buch, ein Buch über das man geteilter Meinung sein kann, oder wenigstens ein Buch, das neue Erkenntnisse bereit hält.
Leider trifft nichts davon auf dieses Buch zu. „Vagina“, Wolfs Streitschrift, die Feministinnen und Kritiker in den USA in Ablehnung geeint hat, ist tatsächlich nicht nur langweilig, sondern darüber hinaus sexistisch. Es löst den Vorwurf ein, dass Frauen auf ihre Vagina reduziert werden. Naomi Wolf behauptet, eine Frau wird zumindest in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, von ihrer Vagina bestimmt. Die nicht sonderlich erstaunliche Erkenntnis, dass Sexualität und Gehirn zusammenhängen, verdichtet Wolf zur These, dass die Vagina selbst weibliches Bewusstsein schlechthin ist.
Ausgehend von einer persönlichen Erfahrung, macht sich Wolf auf die Suche nach der wahren Bedeutung der Vagina. Vor vier Jahren wurden ihre Orgasmen schal und rein sexuell, sie sah die „Farben nicht mehr leuchten“, Sex war nur noch Sex, aber nicht länger eine „transzendente Erfahrung“. Auf der Suche nach der Ursache, entdeckte Wolf, dass die Nervenstränge im Becken einer Frau einzigartig verzweigt sind, dass es von diesen Nervensträngen und ihrer Unversehrtheit abhängt, welche Art Orgasmus eine Frau erlebt.
Im folgenden führt Wolf eine Fülle von Belegen für ihre These an, Interviews mit Reikimeistern, betroffenen Frauen, Nervenspezialisten und Vaginamasseuren, ergänzt durch das Anführen von Stichproben, historischen Analysen und immer wieder dem Rückgriff auf persönliche Erfahrungen. Der Trend zur biologischen Begründung ist unverkennbar. Cordelia Fine hat diese Art von Argumentation in ihrem Buch „Die Geschlechterlüge“ Neurosexismus genannt.
Schwer auszuhalten wird es, wenn Wolf angesichts der Vergewaltigungsopfer in Sierra Leone zu der ihrer Meinung nach bahnbrechenden Erkenntnis kommt, dass Vergewaltigung mehr als eine Verletzung des Körpers sein muss, sondern auch eine Verletzung des Gehirns bedeutet. Einer Frau, die für dieses Erkenntnis ein persönliches Erlebnis braucht, dass ihr wissenschaftlich bewiesen (wie sie immer wieder gerne betont) verdeutlicht, dass Gehirn und Sexualität zusammenhängen, möchte man eigentlich nicht länger zuhören.
Selbstverständliche Folgen, wie dass sich sexuelle Übergriffe nachhaltig auf die Sexualität einer Frau auswirken, verkauft Wolf als neue Erkenntnisse, die erst durch die Verbindung der Nerven zwischen Geschlechtsorgan und Gehirn verständlich werden. Und so geht es munter weiter. Bekannte Fakten, um nicht zu sagen Selbstverständlichkeiten, werden vor dem „neuen“ Hintergrund der Verbindung zwischen Vagina und Gehirn, Sexualität und Selbstbild, ausgebreitet. Das ist weder revolutionär noch neu, sondern ärgerlich und zum Teil absurd.
Auch die politischen Implikationen, die Wolf anhand der Behandlung der Vagina zieht, sind nicht überraschend. So kommt sie zu der Einsicht, dass Vergewaltigungen während eines Krieges nicht deshalb geschehen, weil die Soldaten Monster sind, sondern weil es eine kriegerische Strategie ist.
Die Unterdrückung der weiblichen Sexualität, beweist sie mit einem Gang durch die Geschichte und ihre Literatur von Sappho bis Jane Austen, verhindert, dass die Frauen ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und streitbar werden.
Und es gibt viele Wege, die weibliche Sexualität zu unterdrücken, Pornographie gehört dazu, auch dafür gibt es neurologische Beweise.
Ausgehend von Austins Sprechakttheorie erläutert Wolf, wie die Verunglimpfung und Schmähung der Vagina, wie speziell das Wort „Fotze“ langfristig Selbstbewusstsein und Kreativität der Frau untergräbt. Wolf sieht in diesen verbalen sexuellen Übergriffen gezielte Unterdrückungsmechanismen.
In anderen Kulturen galt eine erfüllte Sexualität der Frau als Voraussetzung für männliche Gesundheit. Wolf schreibt dazu: „Es ist durchaus lohnend, über diese Bedingungen, die unserer Kultur so fremd sind, nachzudenken. In einem solchen Rahmen in dem die Essenzen, die beim oralen Sex aus der Frau herausfließen, als der Gesundheit ihres Partners förderlich gelten, in dem es, wie ihn gelehrt wurde, oberste Pflicht des Mannes ist, beim Liebesspiel Körper und Geist der Frau in einen Zustand der Entspannung zu bringen ist die Frau frei von jenem Druck, den viele Frauen im Westen erleben, wenn ihnen sexuelle Aufmerksamkeit geschenkt wird, frei von der Sorge, wie lange es dauern wird, bis sie zum Orgasmus kommt, frei von der Angst vor sexuellem Egoismus.“
Das Buch schließt mit einem (neurologisch begründeten) Forderungskatalog für Männer, „Umarmen Sie sie, Schauen Sie ihr in die Augen, Schenken Sie ihr Blumen, Sprechen Sie mit ihr“, etc. pp.
Jede Frau ist einzigartig, was die Nervenverzweigungen im Beckenbereich betrifft, dieser Erkenntnis zum Trotz bedient Wolf in ihrem Buch altbekannte Klischees und argumentiert nach einem einheitlichen Muster, das darin mündet, dass sie den wahren Sündenfall aufdeckt: „Auf einmal wurde mir klar, dass der Sündenfall seinen Ursprung nicht in der menschlichen Sexualität hat, wie es die jüdisch-christliche Tradition will. Der Sündenfall unserer Spezies liegt in der Abkehr von der Tradition der Verehrung des Weiblichen und der weiblichen Sexualität und von allem, was Sexualität für uns bedeutet.“
„Unser Denken, unsere Gesellschaft und der Neurosexismus generieren Unterschiede“, schrieb Fine als Fazit ihres Buches „Die Geschlechterlüge“, „zusammengenommen entsteht aus ihnen das Konstrukt Gender. Doch ist dieses Konstrukt kein ehernes Gebilde; die Verdrahtung ist nicht unauflöslich. Sie ist flexibel, sie ist formbar, wir können sie verändern.“
Fine plädierte für einen Weg kritischen Hinterfragens dessen, was wirklich biologisch angelegt ist, und was bei näherem Hinsehen eben doch nur ein Konstrukt ist, Wolf hält es dagegen für ratsam, Frau und Mann auf Geschlechtsorgane und ihre Verbindung zum Gehirn zu reduzieren. Wenn wir nur guten Sex haben, wird die Welt von selbst ein besserer Ort. Vergnügt „Vagina, Vagina“ zu rufen, ist Naomi Wolfs erste Schritt dorthin.
Exklusivbeitrag
Naomi Wolf: Vagina. Eine Geschichte der Weiblichkeit. Aus dem Englischen von Barbara Imgrund, Gabriele Gockel und Karola Bartsch. ISBN 978 3 498 07375 6. 24,95 Euro. Rowohlt Verlag Hamburg 2013.
Elke Engelhardt hat zuletzt über »Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen « von Silke Scheuermann auf Fixpoetry geschrieben.