weitere Infos zum Beitrag
Gedichte
Robin Robertson verwandelt Grün in Rot
14.06.2013 | Hamburg
In den letzten Jahren hat Jan Wagner durch seine übersetzerische Vermittlung einige britische Dichter in Deutschland bekannt gemacht, etwa Simon Armitage und Matthew Sweeney, und stets waren diese Entdeckungen eine lesenswerte Bereicherung. Nicht anders verhält es sich mit dem gebürtigen Schotten Robin Robertson, Jahrgang 1955, der in London als Lektor und Herausgeber lebt und bislang fünf Gedichtbände veröffentlicht hat, die u.a. mit dem E.M. Forster Award ausgezeichnet wurden. Gemeinsam ist den genannten Autoren — um sie auf einen sehr groben, schlichten Nenner zu bringen — eine gewisser Spleen, ein Gefühl für schräge Situationen und urplötzlich einbrechende Absurditäten. In solcher Wahl und Auswahl zeigen sich vielleicht gewisse Neigungen oder Vorlieben ihres Übersetzers, doch ist das nicht ihr Schade, ganz im Gegenteil.
Bei Robin Robertson werden die existentiellen Abgründe durch ein absurdes Element geradezu abgemildert und dem Intellekt erträglich gemacht. Zwar können seine Gedichte nicht verleugnen, daß ihnen die britische Tradition der Landschaftsbeschreibung nicht unbekannt ist, idyllisch verklärt oder besungen wird jedoch gar nichts. Naturschönheit ist Robertson vertraut, trotzdem ist alles von Vergänglichkeit, Verfall und Verwesung durchdrungen. „Der wilde Wein hat seine Kirche / im Apfelbaum errichtet“, beginnt eine recht ungewöhnliche Transsubstantiationslehre, doch: „Sein Rot / hat nun das Fenster im ersten Stock erreicht, / der Apfelbaum ist tot.“
Die Würde der Wesen bleibt bei Robertson selbst noch in der Allgegenwart des Todes gewahrt. „Das Pferd, dechiffriert auf Todes Grund: / Ein Rätsel aus Knochen und Fell, aufgelöst / durch einen bösen Sturz, / durch einen Bussard, einen / Schwarm von Raben.“ (Ein Zerfall) Das Gedicht ist es, das immer wieder hilft beim Aufschneiden oder Sezieren, als würde sich das Rätsel des Lebens im Moment seiner Auslöschung klären. Das Bild, das Robertson dafür findet, ist in Bussardweibchen, das einen Hasen auf dem Feld schlägt: „so bricht sie ein, / entriegelt die Schlösser / des Rückens, zieht die rote Schublade / aus seiner Brust und plündert das Herz“. Dieselbe Metapher vom Schlüssel findet sich, gewiß nicht zufällig, auch in einem Gedicht, das in Anspielung auf die Balladenform die Entstehung des Gedichts durch Klang und Rhythmus beschreibt (Vermählung der Schlosserstochter).
Immer wieder trifft der Autor unerwartet auf sich selbst, auf seine Verluste, seine Vergänglichkeit, teils unter grotesken Masken, und genau dies stiftet ihn zu einem Mitleid mit der elenden Kreatur an, sei es der Säufer im Park, der Entstellte, der Verzweifelte, die alle zerrissen sind, unheimisch in der Welt. In diesem Kontext wirken die Naturschilderungen umso fragiler, umso berührender, umso tröstlicher. Robertsons Melancholie hat viele Aufhellungen — sie zeigen sich besonders in seiner Faszination über die dauernden Verwandlungen der Dinge.
Exklusivbeitrag
Robin Robertson: Am Robbenkap. Gedichte. Aus dem Englischen von Jan Wagner. ISBN: 978-3-446-24179-4. 14.90 Euro. Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2013.
Jürgen Brocan hat zuletzt über »Strohhalm, Stützbalken« Von Walle Sayer auf Fixpoetry geschrieben.