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Gedichte
Language Unbound — »Vom Gehen und Stehen«, ein Handbuch von Martina Hefter
05.07.20123 | Hamburg
Sprache ist Nicht-Stillstand. Darum ist es die elementarste Geste des Schreibenden, die Sprache anzustoßen, in Schwingung zu versetzen, in Bewegung zu bringen; sie als Material zu verwenden, oder vielmehr als eigenständigen Körper, und sie zu vertwisten, zu Bocksprüngen und drolligen Saturnalien anzuheizen, anzureizen. Oder manches einfach auch ungesagt stehenzulassen, liegenzulassen. Damit es zur Ruhe ein- und zur Unruhe auspendelt (oder umgekehrt). Denn wenn Gedanken sich am besten beim Bewegen oder durch die Bewegung entwickeln, warum sollte die Sprache, die ein Abbild der Gedanken ist, diese Anstöße nicht nachvollziehen? Wer Martina Hefters ersten, 2010 erschienenen Gedichtband „Nach den Diskotheken“ kennt, dürfte von ihrem „Handbuch“ ziemlich überrascht sein. Dort waren zumeist Beobachtungen die Initialzündungen, hier nun entsteht Sinn vor allem aus den Wortkaskaden. Und man muß es anerkennen: Selten einmal hat man ein so freies Spiel der Worte erlebt, ja, es ist geradezu lustvoll zu sehen, in welchen Kombinationen und Variationen sie sich auf dem Papier tummeln.
In vier Abschnitte ist dieses Handbuch unterteilt, das den Körper als Sprach-Konzept verkörpert. Der erste, „Bewegungen“, liest sich wie ein Kompendium aller möglichen Aufenthalte dieses Körpers im Raum. Stehen, stampfen, humpeln, gehen, tanzen, liegen, hüpfen, stolpern sind nur einige davon, sozusagen die Urbewegungen, die Vektoren aus Gefühl und Affekt; dazu kommen zielgerichtete Handlungen wie „Schnürsenkel binden“, „Treppensteigen“, „den Zeigefinger auf die Lippen legen“, oft mit einer genaueren Orts- oder Zeitangabe verbunden. Ein Gedicht verweist dabei zumeist auf das nächste, wobei dessen Sprachmaterial aufgegriffen wird, so daß sich daraus immer neue Sinnzusammenhänge ergeben. Das Buch selbst ist die Projektionsfläche dieser Bewegungen, und ihre Positionen zueinander stellt der zweite Abschnitt, „Aufgaben“, grafisch dar, verbunden mit Handlungsanweisungen, die sich quasi als Einübung in Selbstbewußtsein und Wahrnehmung verstehen: „Gehe wie unter Finanzriesen“, „Definiere Lebenselixier“, „Pulse in allem, was wabert“. Ein kleines Beibüchlein, Movarium genannt, illustriert dies auf zum Teil ebenso drollige wie hintersinnige Weise.
Der dritte Abschnitt stellt eine poetologische Reflektion in Prosa dar, lyrisch, luzide, analytisch. Einige Stichworte des Handbuchs werden dabei aufgegriffen und in andere, neue Zusammenhänge gebracht. Hier wird deutlich, wie das Konzept des Kunstwerks in die Realität des Schreibenden eingreift: „Wenn aus dem Schreiben eine Haltung wird und man konserviert das, was man geschrieben hat, aber die Haltung nicht, was dann? Wie man sich in eine Haltung hineinschreibt, so kommt man aus ihr nicht heraus. [...] Aus der Haltung könnte eine Bewegung werden, deren passivster Teil ich bin.“ Aus dem Wechselspiel von Haltung und Bewegung (beide Begriffe offenbar sehr bewußt doppeldeutig gebraucht) entsteht wiederum eine Kaskade von Gedanken und Ideen: „Die Bedeutungen wechseln so schnell die Bewegung, dass es aussieht, als renne das Zimmer.“ Die Ansprache ist auch immer eine Anweisung, Selbstversicherung, so heißt es beispielsweise: „Du musst dich in deinem Körper verbarrikadieren, um an die Ränder des Denkens zu gelangen.“ Und von dort geht es abermals, ausigelnd, nach Draußen, in den „Reichtum“, die „Hüpfer“, in eine Ekstase der Gesten und Berührungen.
Zum reinen Spiel erhoben sind schließlich die Gedichte der „Stillen Post“, dem vierten Abschnitt, die sich unbekümmert als Verhörungen tarnen, klangliche Metamorphosen. Das „Haushalten mit Gefühlen“ wird zum „Sich raushalten, nicht wühlen“, das als „Nicht laut knallen. Das Licht: kühl“ endet. Dieses Spiel — es erinnert entfernt an den Cadavre Exquis der Surrealisten oder an Unica Zürns Anagramme — entlockt Sinn dem nur scheinbar Sinnlosen und hebt das Un-Sinnige in die Freiheit des selbstbewußten Auftretens, das sich als idée fixe durch den gesamten Gedichtband zieht.
Diese erstaunenswerte Virtuosität hat allerdings, man darf es nicht ganz verschweigen, auch ihre Grenzen. Ausgangspunkte sind zwar konkrete Situationen des (schreibenden) Subjekts, deren Empfindung in einer Geistesbewegung abgebildet wird, doch die Welt außerhalb des Subjekts erhellt es dagegen nur in geringerem Maße. Wer etwas ohne Prisma des lyrischen Ichs erfahren möchte, bei dem wird sich Enttäuschung einstellen, erscheint doch jene Mit- und Außenwelt nicht im Bemühen um objektive Darstellung, sondern überwiegend als Reflex der Sprache und des Wahrnehmungsprozesses. Doch wer eine erhitzte, übermütige, aufmüpfige Sprache zu schätzen weiß, der muß diesen Band unbedingt innig lieben und die konsequenten Kapriolen — mit: Chapeau! — bewundern.
Exklusivbeitrag
Martina Hefter: Vom Gehen und Stehen. Ein Handbuch. Gedichte. ISBN: 978-3-937445-55-7. 19.90 Euro. kookbooks, Berlin 2013.
Jürgen Brocan hat zuletzt über »Am Robbenkap« von Robin Robertson auf Fixpoetry geschrieben.