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Roman
„Mann aus Pappe“ versus „Plastikfrau“ »Das Ende der Männer« von Hanna Rosin.
26.06.2013 | Hamburg
Warum nicht einfach „Der Aufstieg der Frauen“? Klar: Weil „Das Ende der Männer“ einfach provokanter klingt. Prädestiniert dazu, die Kontroversen auszulösen, die das Buch – zumindest in den USA – dann auch tatsächlich ausgelöst hat. Einerseits zu Recht, denn Hanna Rosins krude Theorien haben das Zeug dazu, den antifeministischen Backlash neu zu befeuern. Andererseits zu Unrecht, denn in „Das Ende der Männer“ wird kaum ein origineller Gedanke ausgebreitet. Debatten um machtgeile Karriereweiber und unterdrückte (Haus)männer, ein Schulsystem, das angeblich besser auf „weibliche Hirne“ zugeschnitten sei, die Benachteiligung von Jungen und spezielle Jungenförderprogramme sind auch in Deutschland an der Tagesordnung.
Rosin treibt diese und ähnliche Diskurse auf die Spitze: in den USA sei bereits ein veritables Matriarchat angebrochen, in dem Männer keinen Platz mehr finden, ja, das sie im Grunde genommen längst überflüssig gemacht hat.
Ihre These: Seit der Wirtschaftskrise der 1990er Jahre seien Männer „zur Bedeutungslosigkeit verdammt“. Die große Rezession ab 2007 – in den USA auch „He-cession“ genannt – betraf v.a. Berufe mit „ausgeprägtem Macho-Image“, sprich:Bau, Industrieproduktion und Finanzmanagement. Immer mehr Männer wurden arbeitslos, während immer mehr Frauen die Rolle des Familienernährers übernahmen. Hinzu kommt, dass Muskelkraft in der Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft kaum noch zählt, sondern zunehmend „weibliche Skills“ gefragt sind: soziale Intelligenz, Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Selbstdisziplin.
Bereits in den Schulen und Universitäten konstatiert Rosin eine „Umkehr der Kräfteverhältnisse“, die dazu führt, dass es inzwischen fast überall auf der Welt mehr Frauen mit Hochschulabschlüssen als Männer mit entsprechenden Qualifikationen gibt. Somit verliefen auch in modernen Partnerschaften die Hierarchien heute anders als früher. Im privilegierten Milieu kristallisiert sich etwas heraus, das Rosin als „Ehe mit wechselnden Rollen“ bezeichnet: Eine gleichberechtigte Partnerschaft, in der mal der eine, mal der andere mehr verdient, mal der eine, mal der andere sich auf die eigene Weiterbildung oder die Kindererziehung konzentriert.
Dass Geschlechterrollen heute weniger rigide gehandhabt werden als früher, macht Rosin an der „Hook-up-Kultur“ fest, die v.a. jungen Frauen im College-Alter ein ganz neues Selbstbewusstsein ermöglicht. Während sexuelle Freiheit noch vor wenigen Jahrzehnten für Frauen jeden Alters verpönt war, haben zumindest junge Frauen bis etwa Anfang dreißig heute die Möglichkeit, sexuelle Erfahrungen zu sammeln und Beziehungen auszuprobieren, ohne gleich als „Schlampen“ geächtet zu werden.
So weit, so gut: Die Überlegung, inwieweit eine veränderte wirtschaftliche Situation in Kombination mit der Auflösung starrer Geschlechterrollen ein Umdenken in allen Lebensbereichen mit sich bringt, ist in der Tat hochinteressant und brandaktuell.
Auch die Gender-Theoretikerin Judith „Jack“ Halberstam geht in ihrem jüngst in den USA erschienenen Buch „Gaga-Feminism“ von ganz ähnlichen Erkenntnissen über soziokulturelle Veränderungsprozesse aus. Nur denkt Halberstam diese Erkenntnisse in eine ganz andere, weniger reißerische, dafür weitaus radikalere Richtung weiter. Anstatt das „Ende der Männer“ zu postulieren, sieht Halberstam in den sich verschiebenden Konstellationen – viel umfassender – die Chance auf eine langsame Erosion von Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität. Zugleich lässt sich in diese Lücke, die der Zusammenbruch überkommener Strukturen hinterlässt, eine queere Bewegung für soziale Gerechtigkeit abseits neoliberaler Verhältnisse denken. Hanna Rosin hingegen geht zwar von denselben gesellschaftlichen Erosionsprozessen aus, bleibt jedoch strikt im Zweigeschlechtersystem und einer heteronormativen Denkweise verhaftet. Schlimmer noch: Ihre Thesen dienen nicht einmal dazu, den voreilig verkündeten „Aufstieg der Frauen“ zu feiern, sondern schüren im Gegenteil antifeministischen Hass und stützen letztendlich den Status Quo.
In plumper (Hetero-)Logik konstruiert sie das Gegensatzpaar „Plastikfrau“ versus „Mann aus Pappe“, das nun auf ihrem Papierschlachtfeld den Geschlechterkampf der Postmoderne austragen soll. Der „Plastikfrau“ schreibt Rosin Flexibilität, Organisationstalent und „erotische Plastizität“ zu, während sich der „Mann aus Pappe“ starr an seine alten Werte klammert und seine „Männlichkeit“ zum bloßen Accessoire verkommt (Jeans, Pick-up-Truck, Schnappmesser).
Diese Ansichten unterfüttert Rosin nicht nur mit fragwürdigen Statistiken, sondern insbesondere mit Anekdoten und persönlichen Beobachtungen, die überdeutlich machen, dass sie, wo auch immer sie hinschaut, genau das findet, was sie von Anfang an finden wollte. Dementsprechend sieht Rosin überall arbeitslose Weicheier, die in ihren Wohnwägen herumsitzen, das Geld, das ihre geschäftigen Partnerinnen mit Doppelt- und Dreifachjobs heranschaffen, für Benzin und Zigaretten verschleudern, ihren alten Idealen hinterhertrauern und zwischendurch mehr schlecht als recht das gemeinsame Kind betüdeln.
Auf den Gedanken, dass die „unbegrenzte Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit“ den sogenannten „Plastikfrauen“ nicht angeboren, sondern vielmehr den Erfordernissen eines neoliberalen Wirtschaftssystems sowie in vielen Fällen der Doppelbelastung als Arbeitnehmerin und Mutter geschuldet sind, kommt die Autorin anscheinend nicht. Weder die postfordistische Arbeitsethik noch das Glücksversprechen von Ehe und Mutterschaft werden wirklich hinterfragt – stattdessen geht es der „Plastikfrau“ einzig darum, ihre verschiedenen Rollen möglichst effektiv zu koordinieren. Entsprechend sieht Rosins Ideal eines„familienfreundlichen Arbeitsverhältnisses“ aus: Die Top-Kandidatin darf pünktlich Schluss machen, aber nur mit dem Versprechen, nach acht, wenn die Kinder (hoffentlich) schlafen, von zu Hause aus weiter E-Mails zu bearbeiten.
Anstatt über den bestehenden Sexismus zu jammern, so der Tenor des Buches, sollen sich Frauen, die nach ganz oben wollen, lieber auf ihre Arbeit konzentrieren. Ohnehin seien baggernde Macho-Chefs (deren Existenz Rosin immerhin anerkennt!) nur noch „ein Relikt aus der Mad Men-Ära“.
Eine erfrischend optimistische Einschätzung? Oder vielmehr: Gefährlich naiv?
Soziokulturelle Fakten, die belegen, dass die Welt noch nicht ganz so aussieht, wie Rosin sie darstellt, werden in wenigen Sätzen abgehandelt. Hier nur einige Beispiele: Care Work, einschließlich Hausarbeit und Kinderbetreuung, wird auch heute noch zum Großteil von Frauen ausgeübt. Trotz gewisser Verbesserungen besteht weiterhin eine deutliche Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern. Zwar haben tatsächlich heute mehr Frauen als Männer Hochschulabschlüsse – trotzdem landen sie in schlechter bezahlten Jobs! Nicht zu vergessen, dass Spitzenpositionen in Wirtschaft und Politik nach wie vor überwiegend von Männern besetzt sind.All diese Tatsachen leugnet Rosin zwar nicht, wischt sie jedoch beiseite als „Todesröcheln eines Zeitalters, das im Verschwinden begriffen ist“.
Lieber verbreitet sie sich seitenlang über den „dramatischen Rückgang sexueller Übergriff“, so als sei es etwas Beklagenswertes, dass – schenkt man den von ihr herangezogenen Statistiken Glauben – heute weniger Frauen vergewaltigt werden als früher. Im folgenden Kapitel über „Die neue Welle weiblicher Gewalt“ gibt Rosin sogar kurzfristig ihren neutralen Plauderton auf, um sensationslüstern die „Säuremörderin von Kalifornien“ in einen neuen Typus berechnender weiblicher Täterinnen einzureihen. Das Bild der geldgeilen Karrierefrau, die nichts anderes zu tun hat, als Wege zu ersinnen, ihren daheimhockenden Loser-Ehemann um die Ecke zu bringen, wird so penetrant heraufbeschworen, dass man am Ende kaum anders kann, als Rosin zuzustimmen: Ja, Männer sind die neuen Opfer! Erstaunlich, dass überhaupt noch ein paar dieser bemitleidenswerten Kreaturen lebendig herumlaufen!
An dieser Stelle könnte man das Buch kopfschüttelnd aus der Hand legen. Doch leider werden derart plakative Warnungen vor dem global „entfesselten Ehrgeiz“ der Frauen, die Männer aus ihren Jobs drängen, brutal von der Bettkante stoßen oder sogar ganz zu vernichten trachten, von vielen Leuten als willkommener Anlass genommen, die eigenen Machtpositionen zu stärken und im selben Zug feministische Positionen für überholt zu erklären.
So gern ich von der Lektüre abraten würde – „Das Ende der Männer“ ist ein Buch, das man lesen sollte, allein schon um sichmit dem Vokabular und der Argumentationsweise des aktuell kursierenden antifeministischen Backlashs vertraut zu machen und für den verbalen Gegenschlag gerüstet zu sein.
Exklusivbeitrag
Hanna Rosin: Das Ende der Männer und der Aufstieg der Frauen. Aus dem Englischen von Heike Schlatterer und Helmut Dierlamm. 400 Seiten, 19,99 Euro. ISBN 978-3827011329. Berlin Verlag, Berlin 2013.
Anja Kümmel hat zuletzt über »Oxford 7« von Pablo Tusset auf Fixpoetry geschrieben.