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Roman
Todesfuge in Schlangensätzen. »Stille Leben« - ein Roman von Volker Demuth.
03.08.2013 | Hamburg
Rembrandts „Geschlachteter Ochse“ ist nicht gerade der Inbegriff eines romantischen Gemäldes. Doch ausgerechnet vor diesem Bild im Louvre lässt Volker Demuth die beiden unglücklich Liebenden seines Romans „Stille Leben“ aufeinandertreffen.
Arne und Caroline, der ehemalige Biotechniker und die erfolglose Künstlerin, sind beide gleichermaßen fasziniert vom Anblick der auf ihre rohe Fleischlichkeit reduzierten Kreatur. Diese Faszination mag biografisch begründet sein: Arne, der seit seiner Jugend an einer halbseitigen Gesichtslähmung leidet, hat Frau und Sohn durch einen Autounfall verloren, seinen Job aufgegeben und beschäftigt sich seither obsessiv mit morbiden Stillleben, jenen „unzähligen Erscheinungsformen des Verschwindens“. Caroline muss sich ihrerseits nicht nur mit den eigenen Problemen – Identitäts- und Sinnsuche als Künstlerin – herumschlagen, sondern überdies mit denen ihrer unselbstständigen Schwester. Die beiden Schicksalsgebeutelten beginnen eine Affäre, trennen sich jedoch bald wieder. Arne zieht nach Berlin, Caroline nach New York. Beide gehen mehr oder weniger intensive Beziehungen zu anderen Menschen ein; in unregelmäßigen Abständen schickt Caroline Tonaufnahmen an Arnes Berliner Adresse.
Gekonnt verwebt Demuth die Erzählperspektiven ineinander, mischt die Gegenwart, in der Arne nach Guatemala fliegt, mit achronologischen Erinnerungssequenzen. Als wäre das nicht genug, gibt es auch noch eine Meta-Ebene: Eine fiktive Herausgeberin hat den vorliegenden Text aus einem Konvolut an Disketten, Notizen, Gesprächen und Aufzeichnungen, die sie in einem verlassenen Haus fand, zusammengetragen. Diese Doppelt- und Dreifachverschachtelung wirkt etwas überambitioniert und verwirrt bisweilen. Doch immerhin bietet sie Anlass für diverse Reflektionen über die unzuverlässige Natur des Erinnerns. So bemerkt Arne über die traumatischen Bilder, die ihn verfolgen: „Für solche Erinnerungen sollte es öffentliche Einrichtungen geben, in die man sie hineinsteckt und mit Nahrung versorgt, bis sie sterben.“
Oft gelingen dem Lyriker und Essayisten Volker Demuth derart schaurig-schöne Sprachbilder, die sich einbrennen. Wie etwa auch dieses: „Schon in der Tür schnitt mich der scharfe Wind aus dem Haus heraus wie ein Geschwür“. In solchen Momenten wird die melancholische Grundstimmung des Romans, die innere Zerquältheit seiner Protagonisten deutlich spürbar.
Leider bedient sich der Autor über weite Strecken einer umständlichen, abstrakt-akademischen Sprache, die auf Dauer gewaltig nervt. Hier eine Kostprobe: „Jedenfalls füllt diesen Morgen ein ähnlich aschgrauer Mittelwert aus Helligkeit und Dunkel, wie es an jenem vor nun beinahe zwei Jahren der Fall gewesen war, als eine kaum näher gekennzeichnete Person den Wunsch nach einer Geliebten nach außen und in diese Stadt hinein trug, die ich jetzt gerade zu verlassen im Begriff bin.“
Besonders heikel wird es dort, wo Demuth – vielleicht bricht da der Essayist und Wissenschaftler in ihm durch – seitenlange Abhandlungen über Kunstwerke, Betrachtungen über Gentechnik oder sogar ganze Vorträge und Tischgespräche eines Kongresses über „Chancen der grünen Gentechnik im 21. Jahrhundert“ in den Roman einflicht.
Geradezu erfrischend im Gegenschnitt sind Carolines Aufzeichnungen aus ihrer Zeit in New York, wo sie sich zu Einfachheit und Direktheit in Wort und Tat mahnt: „Keine Blueberry Muffins, keine Bagels, überhaupt kein zuckriges Zeug. Nur leeres Brot essen.“ Und etwas weiter unten: „Mich spüren. Kurze Sätze.“ Etwas mehr von dieser Verknappung hätte dem gesamten Buch gut getan.
So jedoch reihen sich Abendessen an Stehempfänge mit gebildeten Menschen, deren Hauptfunktion darin besteht, druckreife Betrachtungen über Kunst und Welt von sich zu geben. Unvermittelt sagt zum Beispiel eine Frau, die für die Handlung eigentlich keine Rolle spielt, bei Sekt und Häppchen: „Unsere Gefühle kriechen unserm Fleisch hinterher wie Warane einer verwundeten Antilope“. Das ist hübsch, wirkt jedoch in der schieren Häufung origineller Bemerkungen reichlich unnatürlich. Dieses Bonmot-Gewitter, gewinnt man den Eindruck, dient dem Autor vor allen Dingen als Folie, um seine Sprachfertigkeit und Belesenheit zu demonstrieren.
Schade, denn ein Roman zum Thema Fleisch, Körperlichkeit, Krankheit, Vergänglichkeit und Verfall hätte weitaus mehr sein können als ein Geplauder auf hohem Niveau.
Vielleicht, könnte man mutmaßen, soll die Verlagerung des schmerzhaft Fleischlichen auf die Ebene von Kunst und Technik ein Mittel für Arne darstellen, seine traumatischen Erfahrungen der Gefühlsebene zu entheben. Trotzdem hätte man sich – gerade beim Thema „Fleisch“ – mehr Sinnlichkeit, mehr Direktheit gewünscht. Selbst der Sex in der angeblich so leidenschaftlichen Beziehung zwischen Arne und Caroline wird merkwürdig körperlos, beinahe verschämt beschrieben.
„Fleischlichkeit“ ist in „Stille Leben“ letztendlich ein abstraktes Oberthema, das den Autor mehr als Essayisten denn als Romancier zeigt. Was bleibt, sind ein paar schöne Stimmungsbilder. Wirklicher Ekel, wirkliche Lust entstehen beim Lesen nicht.
Volker Demuth: Stille Leben. 336 Seiten, 22,50 Euro, ISBN: 978-3863510589. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2013
Anja Kümmel hat zuletzt über »Das Ende der Männer« von Hanna Rosin auf Fixpoetry geschrieben.
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