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Prosa
Im Wandel der Perspektiven - Giwi Margwelaschwili und seine vergnüglichen Textontologien
In „Bungeespringen vom Textweltrand“, der kürzesten Erzählung der Sammlung, wurde eine gute Idee nicht ganz so stimmig fortgesponnen wie in den anderen. Es geht um das Fortschnellen aus der Textwelt an den realen, zu einem Bungeeseil geflochtenen Fäden, aus denen der Text hergestellt wurde. Margwelaschwili denkt hier einen Anti-Suizid an: Während ein Selbstmordversuch die Aufgabe hat, auf die problematische Lage des Betroffenen aufmerksam zu machen, indem dieser so tut, als wollte er aus dem realen Leben scheiden, ist das freiwillige und sportliche Katapultieren vom Textweltrand über den Abgrund zur Wirklichkeit ein Liebäugeln mit dem Gedanken: Was würde sein, wenn das alles wirklich wäre? Doch schließlich ist der gesuchte Kick eben nur als Genuss des Nervenkitzels gedacht.
In einer weiteren Erzählung („Der ,Cogito-ergo-sum‘-Walzer“) werden Daseinszweifel von Buchpersonen in der Welt mittels eines uralten Mantras beseitigt, und in „Echte oder unechte Selbstlektüre“ erfährt ein Tyrann, der zu Lebzeiten Dutzende Bücher geschrieben hat, dass er das seinen Mitbürgern Verordnete selbst nicht aushält: eingeschlossen zu sein in sein – wenn auch riesenhaftes – Buch-Imperium.
Ob Margwelaschwili, den man als Oberschüler aus dem britischen Sektor Berlins ins sowjetische Georgien verschleppt hatte, wo er bis zur Wende inmitten eines anderen Sprachraums und seiner Philosophie deutsch schrieb – nun einen Tyrannen der Realpolitik vor Augen hatte oder einen Universalgelehrten, die Aussage der gleichnishaften Erzählung lautet: hinter allem Erfassten, Abgeschlossenen, hinter jeder ultima ratio gibt es immer noch die Fantasie, die Freiheit des Umgangs mit dem Eigenen.
Margwelaschwili widerspricht Borges’ – nicht weniger fantastischer – Annahme, dass in einer Multiplikation aller Buchstaben mit allen sämtliche Sprachen und alle in diesen möglichen Sätze respektive Bücher enthalten seien – sowohl die schon geschriebenen als auch die Gesamtheit aller noch schreibbaren. Die „Bibliothek von Babel“ war in diesem Punkt pessimistisch. Giwi Margwelaschwili dagegen glaubt an die Fantasie, die den Leser ermächtigt, in jeder noch so kanonisierten Geschichte andere Sichtweisen und mögliche Alternativen zu finden.
In einer weiteren Erzählung („Der ,Cogito-ergo-sum‘-Walzer“) werden Daseinszweifel von Buchpersonen in der Welt mittels eines uralten Mantras beseitigt, und in „Echte oder unechte Selbstlektüre“ erfährt ein Tyrann, der zu Lebzeiten Dutzende Bücher geschrieben hat, dass er das seinen Mitbürgern Verordnete selbst nicht aushält: eingeschlossen zu sein in sein – wenn auch riesenhaftes – Buch-Imperium.
Ob Margwelaschwili, den man als Oberschüler aus dem britischen Sektor Berlins ins sowjetische Georgien verschleppt hatte, wo er bis zur Wende inmitten eines anderen Sprachraums und seiner Philosophie deutsch schrieb – nun einen Tyrannen der Realpolitik vor Augen hatte oder einen Universalgelehrten, die Aussage der gleichnishaften Erzählung lautet: hinter allem Erfassten, Abgeschlossenen, hinter jeder ultima ratio gibt es immer noch die Fantasie, die Freiheit des Umgangs mit dem Eigenen.
Margwelaschwili widerspricht Borges’ – nicht weniger fantastischer – Annahme, dass in einer Multiplikation aller Buchstaben mit allen sämtliche Sprachen und alle in diesen möglichen Sätze respektive Bücher enthalten seien – sowohl die schon geschriebenen als auch die Gesamtheit aller noch schreibbaren. Die „Bibliothek von Babel“ war in diesem Punkt pessimistisch. Giwi Margwelaschwili dagegen glaubt an die Fantasie, die den Leser ermächtigt, in jeder noch so kanonisierten Geschichte andere Sichtweisen und mögliche Alternativen zu finden.
als Originalbeitrag erschienen bei literaturkritik.de
Giwi Margwelaschwili: Vom Tod eines alten Lesers. Erzählungen. Verbrecher Verlag, Berlin 2008.