Das Museum der Unschuld

Roman

Autor:
Orhan Pamuk
Besprechung:
Jürgen Weber
 

Roman

Ein Roman wie Aspirin für Liebeskranke – Orhan Pamuks „Museum der Unschuld“

 "Im Magen hatte ich mein Mittagessen, im Nacken die Sonne, in der Seele ein Beben und im Herzen ein leises Stechen", wer sich noch nie so gefühlt hat, der wird weder Kemal noch Pamuk verstehen können, denn dieser Roman ist eindeutig für gebrochene Herzen geschrieben worden. Man könnte ihn durchaus mit einem "Heimatroman" wie "Vom Winde verweht" vergleichen, der – ebenso wie "Museum der Unschuld" – vor einem Bürgerkriegshintergrund spielt. Während das Volk leidet und zwei Militärputsche (1971 und 1980) wieder für Ruhe und Ordnung sorgen müssen, widmet sich der - wenn auch sympathische so dennoch völlig verwöhnt-verzogene - Sprössling einer reichen Istanbuler Oberschichtfamilie, seinen kleinen Wehwehchen und romantischen Pläsierchen. Statt sein Leben in die Hand zu nehmen und zu handeln, gibt sich Kemal ganz seinem vermeintlichen Leiden, das nur er selbst verursacht, hin. Wenn man diese Gedanken weiterspinnt, könnte Orhan Pamuk mit seinem an und für sich völlig unpolitischen Buch also dennoch ein zutiefst politisches Statement abgegeben haben. Besonders schön ist im Museum der Unschuld übrigens auch die Idee des aristotelischen Augenblicks, den Pamuk in seinen vermeintlich belletristischen Liebesroman einfließen lässt: genau genommen handle es sich beim "Leben leben" gar nicht ausschließlich um eine lineare Zeit, wie man gemeinhin annähme, vielmehr seien die einzelnen Augenblicke unteilbar wie Atome und nur die Zeit verleihe diesen Augenblicken Linearität. Wichtiger seien jedoch die einzelnen Momente des Glücks. "So wie die Augenblicke durch die Linie der Zeit, so mussten die Gegenstände durch die Linie einer Geschichte verbunden werden. Den Katalog meines Museums konnte also ein Autor niederschreiben wie einen Roman." Diesen Roman hat Orhan Pamuk in seinem Buch meisterhaft und voller Einfühlungsvermögen verfasst und die Geschichte von Kemal erzählt und damit ein Manifest für alle Liebeskranken verfasst. Wer würde nicht gerne seiner Geliebten einen Altar errichten? Schön, dass Kemal seiner Füsun sogar ein ganzes Museum errichten darf. Ob diese Idee auch so meisterhaft im Museum der Unschuld in Cukurcuma verwirklicht wird wie in der Buchvorlage, darauf darf man wohl mit Spannung warten. Das Buch ist jedenfalls voller Zärtlichkeit und Hingabe an sein Objekt der Begierde. Dass die Fiktion manchmal sogar von der Realität eingeholt wird, ist eine so schöne Begebenheit, dass man Kemal wohl zustimmen muss: "Das Leben ist wunderbar!" Man sieht sich in Istanbul, 2010!



Orhan Pamuk: Das Museum der Unschuld. Roman. Hanser, München 2008.

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