Der Ego-Tunnel. Eine neue Philosophie des Selbst

Sachbuch

Autor:
Thomas Metzinger
Besprechung:
Josef Bordat
 

Sachbuch

Tunnelblick –Thomas Metzingers „Ego-Tunnel“ erklärt ein Ich, das es nicht gibt

Der Neuroethiker Thomas Metzinger von der Universität Mainz gehört zu den Vertretern der Philosophie des Geistes, die sich von der Hirnforschung grundlegend neue Erkenntnisse für ihre Disziplin versprechen. Der „Ego-Tunnel“ ist sein erstes Buch für ein breites Publikum, in dem er aufzuzeigen versucht, wie die Hirnforschung eine neue Bewusstseinsphilosophie und infolgedessen auch -ethik erforderlich macht. Das Buch erschien zunächst in englischer Sprache und wurde vom Verfasser und Thorsten Schmidt ins Deutsche rückübersetzt.

Metzinger vertritt die These, dass die Ergebnisse der Hirnforschung nahe legen, unser „Ich“ oder „Selbst“ sei als Konstrukt des Gehirns zu interpretieren, als ein fließender Strom aus gefilterten Eindrücken, die wir zu unserem Selbstbewusstsein integrieren und die uns als Personen ausmachen. Dass wir im Bewusstsein nur einen Teil der Welt wahrnehmen, die wir zu einem Ich als Konfiguration personaler Integrität formen, ist lange bekannt, Metzinger nennt es „Tunnel“ – eine passende, wenn auch nicht gerade originelle Metapher für die perspektivische Begrenztheit einer zwangsläufig subjektivistischen Weltsicht: „Bewusstes Erleben gleicht einem Tunnel. Unser bewusstes Wirklichkeitsmodell ist eine niedrigdimensionale Projektion der unvorstellbar reicheren und gehaltvolleren physikalischen Wirklichkeit, die uns umgibt und uns trägt. Aus diesem Grund ist der kontinuierlich ablaufende Vorgang des bewussten Erlebens weniger ein Abbild der Wirklichkeit als vielmehr ein Tunnel durch die Wirklichkeit. Durch die Einbettung unseres Selbstmodells in das Weltmodell wird ein Zentrum geschaffen. Dieses Zentrum ist das, was wir als unser Selbst erleben, das Ego. Wir leben unser bewusstes Leben im Ego-Tunnel.“

Zur Erläuterung dessen beschreibt Metzinger zunächst den Status quo der Bewusstseinsforschung in sehr anschaulicher Weise. Gestreift werden dabei Themen wie die Einheit des Bewusstseins, das Phänomen außerkörperlicher Erfahrungen, die Willensfreiheit, Träume, Spiegelneuronen und die Frage nach der Möglichkeit, künstliches Bewusstsein zu erschaffen. Die Anschaulichkeit ist dabei didaktisch gut gemeint, andererseits aber auch ein Problem, gerade dann, wenn technomorphe Metaphern gewählt werden: Das Bewusstsein als „Flugsimulator“ zu bezeichnen, ist sicher eingängig, lenkt aber den Blick auf ein geschlossenes System und auf die Frage der Beherrsch- und Beschreibbarkeit. Und einer beliebigen Form- und Gestaltbarkeit. So wie ein Flugsimulator programmierte Level hat, so kann auch, könnte man meinen, die Flussgeschwindigkeit des Bewusstseins programmiert werden. Dieser Bewusstseinsbegriff ist fragwürdig. Man kann nur davor warnen, die Metapher allzu ernst zu nehmen.

Metzinger ist sich der Tatsache wohl bewusst, dass es hier nicht um eine vollständige Analogie, sondern um eine gedankliche Krücke handelt, mit der man das Komplizierte einfacher darstellen kann. Das ist legitim, doch darüber hinaus entsteht der Eindruck, dass „Bewusstsein“ von Metzinger (und weiten Teilen der Hirnforschung) gerade so definiert wird, dass es eben mit naturwissenschaftlichen Mitteln hinreichend beschrieben werden kann; oft wird „Bewusstsein“ einfach als Synonym für „Gehirn“ gehandelt. Hängt man die Latte höher und berücksichtigt etwa die Einwände aus der Qualia-Debatte, muss die Hirnforschung diese (vorerst) reißen, denn ob Phänomene wie die Farbwahrnehmung bereits durch ihre neurobiologischen Korrelate vollständig beschrieben werden, ja, ob „Bewusstsein“ die korrelierende Gehirn(re)aktion ist, gehört ja dort gerade zu den umstrittenen Fragen. Analog funktioniert die Kritik mit Blick auf das „Ich“, wobei hier das Problem noch viel größer wird, da die nachzuweisende Reduktionsleistung ungleich komplexer sein muss. Wir haben es schließlich nicht mit einem isolierbaren Phänomen wie der Farbwahrnehmung zu tun, sondern mit der vielschichtigen und undurchdringlichen Tiefe unseres Selbst. Hier zu meinen, aus der Perspektive der Dritten Person des Forschers Aussagen über die Erste Person machen zu können, die einen höheren Anspruch auf Gültigkeit besitzen, da sie wissenschaftlich gewonnen und die korrelierenden Erste-Person-Perspektiven davon nur abgeleitet sind, scheint nicht nur methodologisch mehr als fragwürdig. All dies füllt halbe Bibliotheken – bei Metzinger ist davon nichts zu lesen. Er übergeht grundsätzlich alle Einwände aus der Philosophie des Geistes, die sich gegen den physikalistischen Reduktionismus und/oder einen evolutionären Ansatz in der Bewusstseinsphilosophie wenden. Und macht es sich derweil etwas bequemer: Wenn wir schon nicht ans Ich der Ersten Person und ihr spezifisches Empfinden herankommen, dann müssen wir eben „Dritte-Person-Kriterien für diese unaussprechlichen Zustände definieren [sic!]“. Und schon sind wir die Barriere los, die einige für prinzipiell unüberwindlich halten. Was nicht passt, wird passend gemacht.

Die unhinterfragte Übernahme der naturwissenschaftlichen Methode als neues Paradigma der Philosophie führt dazu, dass man sich nicht nur an eine Erfolgsgeschichte anhängt, sondern auch das große Problem der Naturwissenschaft erbt, deren Clou ja darin besteht, Fragen, die sie nicht beantworten kann, als „unzulässig“ aus dem Diskurs zu kicken. Das ist gut und richtig, soweit es naturwissenschaftliche Fragen betrifft. Für philosophische Fragen gilt dies (bisher) nicht. Die Begrenzung ist für die Physik wesentlich, für die Philosophie jedoch eine Bankrotterklärung, da diese ja gerade dort beginnt, wo jene endet. In welchen Bereich gehört die Frage nach dem Bewusstsein? Explizit behandelt wird diese entscheidende Metafrage nicht, gleichwohl klar beantwortet – durch die Methodenwahl. Bewusstseinsforschung ist Hirnforschung. Punkt. Die Hirnforschung verfährt mit „Bewusstsein“ naturwissenschaftlich: Was nicht beschreibbar ist, wird als bedeutungslos für das Verständnis von „Bewusstsein“ deklariert, ohne zu sagen, warum es bedeutungslos sein soll.

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