Der Ego-Tunnel. Eine neue Philosophie des Selbst

Sachbuch

Autor:
Thomas Metzinger
Besprechung:
Josef Bordat
 

Sachbuch

Tunnelblick –Thomas Metzingers „Ego-Tunnel“ erklärt ein Ich, das es nicht gibt

Metzingers Einschätzungen basieren dabei nach eigenem Bekunden auf der Sympathie für die naturwissenschaftliche Methode der empirischen Bewusstseinsforschung. So gut es ist, dies freimütig zu bekennen, so seltsam erscheint es doch, all die recht weitreichenden Folgerungen aus dieser Vorliebe ableiten zu wollen und dabei die eigene Position als weithin anerkannt und nahezu unumstößlich darzustellen. Dass viele Kollegen sie nicht teilen, bleibt unerwähnt. Bei Metzinger muss man die Zweifel der Zunft aus einigen nicht ganz so entschiedenen Formulierungen herausquetschen. Dass auch einige Hirnforscher vor der Überinterpretation ihrer Ergebnisse warnen, ebenso. Manches offene Problem – etwa die Frage der Existenz von Qualia – gilt Metzinger ganz plötzlich gar als gelöst, noch dazu auf „wunderbare Weise“. Wenig später spricht Wolf Singer im Zusammenhang mit der Qualia-Problematik von einer „großen Herausforderung für zukünftige Arbeiten“ und muss damit eingestehen, dass das Ganze wohl doch noch nicht vom Tisch ist.

Metzinger zeigt sich dagegen sehr optimistisch. Man kann sich ferner des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass die Begeisterung für die einfachen Erklärungen, die einige Hirnforscher anzubieten haben, beim Verfasser selbst zu einem Tunnelblick führten, der alles beiseite lässt, was diesen Blick trüben könnte: die erwähnte neurokritische Position innerhalb der Philosophie des Geistes ebenso wie theologische Deutungen des Seelenbegriffs. So behauptet Metzinger, dass „die Neurowissenschaften das jüdisch-christliche Bild vom Menschen als einem Wesen mit einem unsterblichen Funken des Göttlichen unwiderruflich aufgelöst haben“. Das überrascht, wenn man denn von „Seele“ als einem Organisationsprinzip ausgeht und nicht an einem naiven Seelenverständnis hängt, das ein „Seelenkörperchen“ irgendwo im Kopf vermutet und aufgrund dessen fehlender empirischer Nachweisbarkeit durch die Hirnforschung in der Tat ad acta gelegt werden muss – wenn dies bisher noch nicht geschehen ist. Noch überraschender ist dann aber die Einlassung, dass „es nach wie vor logisch möglich [ist], dass Seelen existieren“. Einerseits ist die Seele, jener „unsterbliche Funke des Göttlichen“, ein für alle mal passé, andererseits doch wieder denkbar. Das macht ratlos. Oder arbeitet der Verfasser mit unterschiedlichen Seelenkonzeptionen, worauf die Bemerkung hinweist, es sei möglich, „dass wir eines Tages einen neuen Sinn entdecken, in dem die Seele alles andere als ein leerer Begriff wäre“? So „Seele“ denn heute ein leerer Begriff ist. Für Metzinger muss das scheinbar der Fall sein, auch wenn nicht ganz klar wird, was er unter „Seele“ genau versteht. Für die Theologie ist sie kein leerer Begriff, weil ihre Vertreter längst Abstand davon genommen haben, über die Morphologie und Verortung der Seele zu spekulieren, sondern in ihr ein göttliches Prinzip entdecken, dass den Menschen zu dem macht, was er ist. Diese Position gegen die Metaphorik vergangener Jahrhunderte auszuspielen, die ohne Zweifel zu Missverständnissen einlud, ist philologisch unsauber. Unredlich wird sie dann, wenn man selbst tief in die Metaphernkiste greift und den „Flugsimulator“ herauszieht.

Eigentlich besteht die Aufgabe der Philosophie darin, die reduktionistische Engführung zu kritisieren und zugleich Tendenzen einer reflexartigen Selbstabgrenzung in der klassischen Perspektive des Geistes zu überwinden, um zu einer Deutung der naturwissenschaftlichen Hirnforschung zu gelangen, die ein angemessenes Bild des Menschen zeigt, dass mit Missverständnissen, die aus religiösen Metaphern erwachsen können, ebenso aufräumt wie es zugleich auf die Begrenztheit naturalistischer Deutungsmuster hinweist. Leider leistet Metzingers Ansatz dazu keinen Beitrag.

II.
Fragwürdig sind aber nicht nur diese epistemologischen Aspekte der Methodik, sondern vor allen die ethischen Folgerungen der neuen Bewusstseinsphilosophie. Hier wird der Optimismus moralisch und politisch ausgeformt. Damit wird das Thema allgemein relevant.
Eine Gesellschaft, die dem Menschen qua Moralinpille bestimmte Bewusstseinszustände aufnötigt (etwa die Freundlichkeit, damit am Arbeitsplatz die Chemie stimmt), die qua Detektoren, die den „Inbegriff von Privatheit“ – unsere Gedanken – nach außen kehrt und zu einer „öffentlichen Angelegenheit“ macht, eine solche Gesellschaft ist die Horrorvision einer totalitären Kontrolldystopie. Dass Metzinger genau damit kokettiert, indem er – mal zwischen den Zeilen, mal ganz offen – Empfehlungen darüber abgibt, welche Bewusstseinszustände wir fördern und welche wir tunlichst aus den Köpfen verbannen sollten, garniert mit Detailanweisungen für einen „weltanschaulich neutralen“ Einheitsmeditationsunterricht beim Sportlehrer („keine Kerzen, keine Glöckchen“), ist nicht gerade ungefährlich. Manch einer mag dies in den falschen Hals bekommen und aus dem, was der Philosoph bedenkt, einen politischen Anspruch erheben, der – im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts – umgesetzt werden muss.