Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird

Sachbuch

Autor:
Harald Welzer
Besprechung:
Thomas Hummitzsch
 

Sachbuch

Kriegerisches Klima - die Überschwemmung der Welt durch den Menschen

Heißt das, dass der Menschheit der Untergang droht? Nun, dies vielleicht nicht, aber die Neigung, zur Gewaltanwendung zu greifen, um soziale Probleme zu bewältigen, wird steigen. Die in diesem Kontext von Welzer geführte Diskussion um die zukünftigen Gewaltformen gerät zumindest um die Phänomene des Selbstmordattentats bzw. der „menschlichen Bomben“ sowie des Terrorismus zu lang. Es gelingt Welzer auch nicht, einen schlüssigen Zusammenhang dieser Erscheinungen zum Klimawandel herzustellen. Grundsätzlich gilt aber, dass die Folgen des Klimawandels zukünftig willkommene Anlässe zu Gewaltausbrüchen darstellen werden. Der Westen wird sogar ganze Länder aufgeben, wo „Leute unter sich kämpfen“, so Welzer. Der renommierte Soziologe bringt hier etwas auf den Punkt, was man als kulturellen Verfall bezeichnen könnte. Mit der Zunahme von Armut, Krieg und Elend in den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten vollzieht sich auch ein Ansteigen der Gleichgültigkeit gegenüber diesen Zuständen. Die Anwendung massiver Gewalt wird zur ethnischen Eigenschaft umetikettiert. So verfuhren z.B. die Europäer bei den sich vor ihrer Haustür vollziehenden Grausamkeiten der Jugoslawienkriege, die schlicht auf die „Mentalität des Balkans“ zurückgeführt wurden. Nach den tatsächlichen Ursachen von Gewaltausbrüchen und -exzessen wird selten gesucht. Nur wenn man den bisherigen Fokus von den ethnischen und ideologischen Faktoren der Konflikte auf deren ökologische Aspekte verlegte, würde deutlich werden, dass viele der in solchen Regionen stattfindenden Konflikte um basale Ressourcen wie Wasser, Boden und Luft gefochten werden. „Konflikte, die ökologische Ursachen haben, werden als ethnische wahrgenommen“, konkretisiert Welzer in seinem Buch.

Man mag jedoch fragen, inwiefern denn das von Diamond aufgeführte Schicksal der Maya überhaupt mit den Perspektiven unserer fortschrittlichen und hoch technisierten Gesellschaft vergleichbar ist? In Harald Welzers „Klimakriege“ wird deutlich, dass sich die hier am Beispiel des Untergangs der Mayakultur aufgeführten Aspekte bereits jetzt im Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels beobachten lassen:
Das Phänomen der Ressourcenknappheit kann man heute in großen Teilen des subsaharischen Afrikas, aber auch in Teilen Asiens, Südamerikas und Osteuropas feststellen. Immer mehr Menschen konkurrieren hier um immer weniger Ressourcen – und immer häufiger kriegerisch. Waldzerstörung und Bodenerosion kann man vor allem im Umkreis afrikanischer Flüchtlingslager und Großstädte finden, wo oft Hunderttausende Menschen nach Feuer- und Bauholz suchen und zur Desertifikation des Umlandes beitragen. Aber auch in Malaysia und Borneo, auf den Salomonen und Sumatra, den Philippinen und Neuguinea, im Amazonasgebiet und im Kongobecken kann man diese Umweltschäden feststellen, wo die Brandrodungen der Urwälder großflächig alles Leben auf Jahrzehnte hin zerstören. Gewalttätige Auseinandersetzungen um immer weniger Ressourcen werden bereits jetzt im Sudan und Kongo, in Somalia, Äthiopien und Ruanda, in Haiti oder Kolumbien, auf den Philippinen und Indonesien, in China, Indien und Pakistan, um nur einige der Konflikte zu nennen, sowohl regional als auch grenzüberschreitend ausgefochten. Der Klimawandel ist eine unwiderlegbare Tatsache. Die Politik der Industriestaaten, fossile Brennstoffe zu vernutzen, und die daraus folgenden klimatischen Veränderungen verschärfen die Lebensbedingungen in den ärmsten Regionen dieser Welt bereits jetzt. Zur kontinuierlich anhaltenden Erderwärmung trägt nicht zuletzt auch das globale Elitenversagen bei. So hat nicht einmal der Bericht des britischen Ökonomen Nicholas Stern vom Oktober 2006 zu einem globalen Umdenken geführt, obwohl der Wirtschaftswissenschaftler darin zu dem Schluss, dass die Kosten zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels um ein vielfaches höher lägen, als die momentanen Ausgaben, die bei einem raschen Eingreifen zugunsten eines Stopps der globalen Erwärmung anfallen würden. Das fortgesetzte globale Verschmutzen der Süßwasservorräte, die Rodung weltweiter Baumbestände, die Verringerung landwirtschaftlicher Nutzflächen durch selbst verschuldete Bodenerosion, der Raubbau nicht nur fossiler Energien, sondern auch von Edelmetallen, -steinen und -hölzern, das Überfischen der Meere, die Ausrottung von Pflanzen und Tieren und die weiteren kumulierten Effekte des Klimawandels verschlimmern die Situation tagtäglich und machen eine klima- und umweltpolitische Umkehr immer unwahrscheinlicher.

Schuld daran sind nicht zuletzt auch psychologische Prozesse, so Welzer. Die Landschaftsvergesslichkeit des Menschen bewirkt, dass die schlechteren Lebensverhältnisse nicht als solche wahrgenommen werden, da die vor 50 oder 100 Jahren herrschenden Umstände nicht mehr Teil des kollektiven Gedächtnis’ sind. Schleichend tritt eine Akzeptanz der gegebenen Verhältnisse ein, die letztlich als „gar nicht so schlimm“ wahrgenommen werden. Dazu tritt eine besondere Form des Interessenkonflikts, die der amerikanische Ökologe Garrett Hardin 1968 als „Tragik der Allmende“ bezeichnet hat. Diese ergibt sich eben auch aus der Smith’schen Logik der permanenten Steigerung des persönlichen Eigennutzes, denn selbst wenn die Ressourcen nicht mehr zur individuellen Gewinnmaximierung aller ausreichen, wird es dennoch ein jeder versuchen. Die Kosten des dann entstehenden Raubbaus trägt jedoch die anonyme Allgemeinheit. Und diese „Allgemeinheit“ lebt zu großen Teilen auf der südlichen Erdhalbkugel. Ursache und Wirkung liegen bei dem Prozess des Klimawandels für Welzer daher nicht nur zeitlich und biografisch auseinander, sondern eben auch regional. Das macht eine kollektive Einsicht zum dringenden Handlungsbedarf umso unwahrscheinlicher.