Mann,
ist das dunkel hier.
Ich
kann im Dunkeln nicht schlafen. Das ist, als würde man nackt durchs
Weltall treiben.
Ah,
da kommt ein bisschen Licht durch die Rolläden, und ich kann die
Blumen auf dem Fensterbrett sehen. Warum haben Oma und Opa Blumen in
ihrem Schlafzimmer? Vergessen sie wohl ab und zu, sie zu gießen?
Ich würde das bestimmt dauernd vergessen. Ich kann sie riechen,
die beiden, hinter den Blumen. Sie riechen alt und sie bewegen sich
nicht. Ob es wohl noch mehr Zwölfjährige gibt, die
heute bei ihren Großeltern übernachten und nicht einschlafen
können?
Dieser
Geruch
alt und sauber, frisch gewaschene und gemangelte Bettwäsche.
Ob ich auch mal so riechen werde? Vielleicht in 50 Jahren, wenn ich
so alt bin, wie Opa jetzt. Vielleicht hat es damit zu tun, dass
sie schon so lange gelebt haben und es bedeutet, dass nicht mehr
viel kommt. Wie lange werden sie wohl noch leben? 10 Jahre, 20? Eher
10 oder 15. Männer leben kürzer als Frauen, hat Papa gesagt,
im Durchschnitt. Alle sagen immer ich bin so intellligent, weil ich
verstehe was so was heißt wie im Durchschnitt und
weil ich so viele Wörter kenne und mich so gut ausdrücken
kann. Toll, das nützt mir auch nichts. Wenn ich nur schlau genug
wäre, mir was auszudenken, damit ich einschlafen kann.
Ob
Opa Angst hat, dass er bald sterben muss? Ist er wohl traurig deswegen?
Muss
man überhaupt traurig sein, zu sterben? Jeder stirbt und wenn man
tot ist, ist man weg. Nein, man ist nirgendwo. Aber wo ist das? Alles,
was ich mir vorstellen kann ist irgendwo. Aber ich glaube, nirgendwo
ist gerade nicht irgendwo. Manno, das kann ich mir gar nicht vorstellen.
Dabei werde ich auch sterben, ganz sicher. Hoffentlich dauert das noch
lange, aber irgendwann
Wie lange wohl noch? Wenn ich noch fünfmal
so lange lebe, wie ich jetzt schon gelebt habe, dann bin ich ,äh,
72. Mann, ist das alt. Aber dann bin ich tot, für immer! Eigentlich
könnte ich auch jetzt gleich sterben, das macht hinterher sowieso
keinen Unterschied. Ich hab Angst. Mama, hilf mir!
Ich
halt mich an den Blumen fest, sonst werde ich noch verrückt.
Wie die riechen.
Wenn
man tot ist, ist man nichts. Wie das Nichts wohl aussieht?
Blödmann,
schon wieder. Nichts sieht nicht aus, sonst wäre es ja etwas. Es
ist noch nicht mal schwarz und leise, weil es
das wäre ja
auch schon was. Ich werde auch eines Tages nur noch nichts
sein, nur kann ich mir das jetzt noch nicht vorstellen.
Augen
zu!
Ich
will nicht mehr daran denken; dieser ganze Scheiß ist wie eine
Blase in meinem Kopf, die immer größer wird, und ihn zum
explodieren bringen will. Ich drücke sie zusammen, damit es nicht
geschieht. Jetzt wird sie kleiner und immer kleiner. Mein armer Kopf,
wie heißt das noch, was Fernseher manchmal machen, ah ja, er implodiert
beinahe.
Augen
auf!
Puh,
das ist nochmal gutgegangen. Mein Schädel ist noch heile.
Bitte
Schlaf, komm jetzt. KOMM! K o o o m m !
Noch lange wälzte
er sich hin und her und versuchte, nicht ans Nichts und nicht an den
Tod zu denken, aber nach drei, nach sieben und auch nach zwölf
Minuten war er immer noch wach und erst viel später döste
er langsam ein.
Am nächsten
Morgen sitzen Mutter und Sohn als letzte an einer leergegessenen Tafel.
Was
ist bloß mit dem Jungen los? Sitzt hier am Frühstückstisch,
die Sonne scheint, er hat keine Schule und macht ein Gesicht, als sei
einer gestorben.
Hast
du schlechte Laune?
Ich
bin müde.
Das
sagt er immer, wenn er schlechte Laune hat. Naja, das geht vorbei. Wahrscheinlich
hat er heut nacht schlecht geschlafen.
Ich
kann nicht mit ihr darüber reden. Ich kann mit keinem darüber
reden. Die würden mich für verrückt halten; ich bin zwölf
und habe Angst vorm Sterben. Dabei macht das gar nichts, wie alt
man ist, denn wenn man für immer tot ist, machen 50, 60 Jahre keinen
Unterschied. Und solange ich nicht weiß, was ich über den
Tod denken soll, kann ich nicht über Wurstbrötchen und schönes
Wetter sprechen.
Gleich
muss ich weinen. Und dann sieht sie es.
Ich
muss raus!
Wo
gehst du hin?
Rums,
das war die Haustür. Was mach ich bloß mit ihm?
Was
war das für ein Geräusch?! Hhhhh!!! Ein Auto!
Oh
mein Gott!