tempi
passati, nebel aktuell
0.
was
möchten Sie wissen? nein, ich komme nicht aus graz, ich bin nach
graz gekommen.
seither
komme ich von graz immer mal wieder weg. und auch zurück komme
ich dann, statt hin und weg also weg und hin, weg, hin.
interessiert
Sie das?
ich
sehe, wir verstehen uns.
was
können Sie auch dafür, dass ich schreibe. seit meiner volksschulzeit
kann ich das, schreiben, und das obwohl ich auch noch meine mittelschulzeit
ausserhalb von graz verbracht habe. am lande.
am
land ist es schön. ich fahr gern hin. und gern weg.
so
schön ist es in der stadt. aber gar so schön nun auch wieder
nicht.
im
nebel sind beide gleich.
wie
Sie bestimmt wissen, hat es in graz ja sehr oft nebel. wie auch am land,
und das weiss ich, weil ich ja vom land hergekommen bin, (vielleicht
auch Sie?), da ist der nebel häufig und dicht. der nebel kommt
über nacht und tagelang geht er nicht weg. das haben die nebel
über dem land und über graz gemeinsam. beide nebel sind zäh.
ich
finde die nebel von graz umgebung und die nichtländlichen grazer
nebel ungefähr gleichwertig grau, grauslig, benebelnd eben.
die
nebel von st. josef kenne ich nicht.
Sie
wissen ja, ein vorgänger oder fussgänger hat die nebel vor
graz beschrieben. st. josef liegt offenbar in einem solchen nebelloch
vor graz, das ebenso benebelt ist wie graz selber.
wie
interessant! wie interessant!
graz
und umgebung sind nebliges land!
0.
unlängst,
auf einem vom kulturzentrum bei den minoriten veranstalteten lesefest
(eine parallelaktion zur eröffnung von Wetten dass ... 3x0
... Graz fliegt!) habe ich jenen st. josefer fuss- und parteigänger
seine nebelphilosophie verbreiten gehört. Jede andere Kulturhauptstadt
hätte sich damit gerühmt, wodurch sie es geworden ist,
und er meinte damit die heute noch lebenden herren aus den grazer 60er-jahren,
welche das glück hatten, aus dem internationalen entwicklungen
weit hinterher hinkenden graz den kulturellen fascho- und ständestaat-mief
wegfegen zu können, bevor s ein paar andere um ein paar jährchen
später getan hätten. die zeit war ohnedies für veränderung
reif, auch in graz und am land um graz.
40
jahre später bedauert jener st. josefer fussgänger Im
Nebel vor Graz nun angeblich vertane feierliche festschreibung
einstmaliger lokaler modernität: Graz hätte die Chance
gehabt, der ganzen Welt zu zeigen, was Graz-Kultur ist und er
meint damit, die taten jener herren aus den 60ern, die sie noch bis
in die 70er hinein einigermassen kraftvoll, die grazer szene integrierend,
zugleich mit übers lokale hinausgehender wirkkraft gesetzt hatten,
wären geeignet, im grazer kulturhauptstadtjahr den anschein einer
lebendigen kunstszene zu simulieren.
meine
einschätzung ist eine andere: seit den 80ern ist, unter der führung
eben jener herren, die sogenannte Graz-Kultur sanft entschlafen,
unterbrochen nur von einem heftigen scharmützel rund um die präsidentschaft
im forum stadtpark gegen ende der 90er. an diesem final showdown zeigte
sich: man hatte die eignen kulturellen machtpositionen befestigt und
gegen nachkommende, jüngere künstler+innen erfolgreich verteidigt.
seither
ist der stillstand der grazer kulturszene für jedermann+frau offen
sichtbar. die von jenem st. josefer beschworene Graz-Kultur
wird zu einem freilichtmuseum zwar anzuerkennender, aber längst
vergangener leistungen ausgebaut und per kulturhauptstadtjahr befestigt.
fast
mit zärtlichem sentiment möcht ich jenem nebelbewohner und
fürsprecher der vergangenheit zurufen: hätt er bloss nur über
kumpitz geschrieben, er wäre ein philosoph geblieben.
0.
aber
zurück zum obengenannten lesefest. sind Sie noch interessiert?
ich beeile mich!
etwa
200 publikums lauschten den im viertelstundentakt wechselnden 18 grazer
autor+innen (und ich war einer von ihnen). dieses setting im barockprunksaal
wollte, laut programm-vorspann, die frage ausloten Kann Graz für
sich den Titel Literaturhauptstadt beanspruchen? und ich wollte
mich eines kurzstatements (1minute30) nicht entschlagen
und
ich mein[t]e: nein.
graz
hat alte leute, die alte texte schreiben, und graz hat junge leute,
die auch alte texte schreiben.
ein
literarischer aufbruch transgarde, wie sie ende der
60er hier passierte ist nicht in sicht. dafür gibt es bald
ein literaturhaus zur be-sichtigung des musealisierten aufbruchs und
für den transport inter+nationaler quoten+neben\betriebs-literatur
zum zwischenstop graz, literarische provinz, entgrenzte aufgenadelte
provinzialitätensammlung, wo dichterinnen+dichter aller länder
hiesige und dasige einander gut nacht lesen.
die
honorarhöhen sind verschieden. ich nehme 200, euro, du nimmst
den betrag plus X oder mal 0003, er sie es nimmt den steirischen staatspreis
für literatur...
die
jungen sind zaungäste und schreiben sich alt, bis der betriebszaun
sie endlich umschliessen wird, gute grazer weltklasse, willkommen
am lesefest. (77sekunden) ich freu mich, dass sie mir zuhören werden,
und ich lese ihnen, ganz ohne betriebsauslotungs-ambition, eine männerverbrennung
und ein sinnstiftengehen, gesamtdauer: 15 minuten und ein
paar zerquetschte.
nun,
das war mein statement an jenem lesefest. die dort angekündigten
texte können, im rahmen meines graz-tagebuchs, nicht abgedruckt
werden, der raum ist begrenzt. jenes oder dieses honorar wird die roten
nebel meines kontostandes lichten helfen und ist zugleich nur scheinbar
privat. im literaturbetrieb ist alles so privat, dass nichts übrigbleibt.
aber falls es Sie interessiert: ja, ich werde mein geld u. a. auch zum
wegfahren aus graz verwenden, Sie erinnern sich: weg und hin.
[dieser
text sollte im rahmen der reihe tagebuch bei der steirischen
kronenzeitung erscheinen]