In
Stainz 6.1.03:
Österreich
ist ein besetztes Land.
oder
Geben wir uns Gedankenfreiheit, Sire!
In
Stainz ruft der Hirschmann die Kreativen zusammen. Die SPÖ hat
die Kultur, der Hirschmann nimmt die Funktion des Schattenministers
wahr. Da sitzen sie nun alle, die Künstler in ihren bunten Trachten,
voller Hoffnung, zu etwas Staatsknete zu kommen. Ein exzentrisches Völkchen,
die übliche Mischung aus Besessenheit, Verschrobenheit, Weltfremdheit,
hermetischer Isoliertheit und Opportunismus.
Ich
komme zu spät. Am Wort ist gerade Andreas Braun, Kulturmanager
von Swarovski in Wattens, vorher der sehr erfolgreiche Chef der Tirol-Werbung.
Ein Tiroler, wie er im Buche steht, kernig, selbstbewußt, lakonisch,
direkt.
Er
erzählt die üblichen Geschichterln für Unbedarfte: Wie
erfolgreich er sei, wie er das alles gedeixelt habe mit den Kristallwelten,
was jetzt geschieht und wie es weitergehen soll. Nichts Wesentliches,
aber doch Nachrichten aus einer fernen, fremden Welt der Bodenhaftung
und der Selbständigkeit.
Und
dann das Lamento der heimischen Künstel, dass sie zu wenig
Geld kriegten, dass sie ein Recht auf mehr hätten, dass
der Staat seinen Pflichten nicht nachkäme, dass die allgemeine
Atmosphäre kulturfeindlich wäre und dass Kunst und Künstler
wichtig, ja lebensnotwendig für das Gemeinwesen wären. In
diesem Stil geht es weiter: Ein einziger Berichte vor der Beschwerdekommission,
das übliche Bla Bla aus Vorwurf, Forderung, Selbsterhöhung
und Selbstmitleid. Die Einzelnen referieren über ihre Arbeit, ihre
Kunst und die geringen Subventionen. Keine Reflexion allgemeiner Natur
über das Wesen, den Stand, die Umstände oder die Zukunft der
Kunst. Ein hoch subventionierter Konzertveranstalter wird vom Tiroler
Braun gefragt, wieviel seines Budgets er herein spiele. Das interessiere
ihn überhaupt nicht, das wäre völlig irrelevant, das
habe überhaupt nichts mit dem zu tun, was er anstrebe, gibt sich
dieser gekränkt.
Ein
paar Jahre vorher, vor der letzten Wahl, fast die selbe Besetzung, am
Podium allerdings der rote Kulturminister Scholten sekundiert vom späteren
Kulturreferenten Schachner. Der Himmel hing voller Geigen und Versprechungen.
Einige Ausfälle von links kaschierten, dass man ein Herz und
eine Seele war. Die Eiseskälte der nachfolgenden Realität
zerstörte allerdings diese Blütenträume, jetzt erwarteten
wir uns wieder vom schwarzen Gegenüber das Heil. Opportunistisch
tanzen wir auf jeder Hochzeit und reden dem augenblicklichen oder künftigen
Mächtigen nach dem Mund.
Mir
ging das unfrohe vorwurfsvolle Geseire schon lange auf den Keks, außerdem
mußte auch ich mich wichtig machen, positionieren, wie das neuerdings
heißt. Wozu saß ich schließlich da herum, doch nicht,
um etwas zu erfahren. Ich käme wir vor wie in der untergehenden
Sowjet Union, als alles nur mehr eine Frage der schwindenden Staatsmittel
gewesen wäre. Allgemeine Empörung. Dann meldet sich noch der
Kulturchef des lokalen Kleinformats zu Wort, warf sich ob seiner übergroßen
Verdienste um die Kulturzene in die Brust und wies auf den Anzeigenwert
(!) seiner Kulturberichterstattung hin. Ein kleines Schreiduell folgte
ob dieser Ungeheuerlichkeit. Die allgemeine Desorintiertheit hatte ihren
Höhepunkt erreicht. Die armen Journalisten! Nur weil ihnen jeder
hinten hinein kriecht, damit überhaupt berichtet wird, halten sie
sich für wichtig und bedeutend und wissen nicht mehr, wo Gott und
das journalistische Ethos wohnt. Ich war naturgemäß unzufrieden
mit ihren Leistungen und sagte es auch bei jeder Gelegenheit so nach
dem Motto, entweder kriechen oder kontern. Wer berichtet schließlich
schon gerne über ein Kreativmagazin wie den Sterz, die Texte sind
lang wann soll man die lesen? , die wie die Grafiken oft
von Unbekannten sind. Ob die wohl gut sind, ob die im Trend liegen?
Und wenn das Ganze schon weit über zwanzig Jahre erscheint und
täglich die Papierlawine über einen hereinbricht, geht leicht
die Übersicht verloren. Da muß man sich entscheiden, wen
man protegiert. Natürlich den, den man kennt, gut kennt,
einfach so oder von den hinteren Kontakten. Ja, wie kommt man dann zu
einer Besprechung? Persönliche Kontakte, sagt mein Gewährsmann
vom Wiener Niveaublatt, sind das wichtigste. Ja, ja, der Balkan ...
über den letzten Sterz Tausend Bilder berichtete die
FAZ. Der Autor gab bis vor Kurzem eine Zeitschrift für Fotogeschichte
heraus, als Österreicher in Deutschland, wo es dafür keine
staatlichen Zuschüsse gibt. In Österreich wäre die Finanzierung
vor allem von den persönlichen Beziehungen abhängig und weniger
von der Qualität, das hätte er sich doch nicht antun wollen.
Für besagte Tausend Bilder erhielt der Sterz wegen
des großen Aufwands auch vom Ministerium einen Zuschuß.
Später redet mich ein Kulturmensch an, mit dem ich sonst nichts
zu tun habe, ob ich zufrieden wäre. Wie, was, warum, wobei, womit?
Ihm hätte ich die Zuwendung zu verdanken. Ich bedankte mich überschwänglich.
Die Qualität des vorgelegten Heftes wäre anderswo Grund genug
gewesen. Ja, ja, der Balkan ...
Jetzt
hat sie sie wieder, die VP die Kultur nämlich bzw. das, was davon
über ist, seit der alte Koren in grauer Vorzeit das Zepter niedergelegt
hat. Jetzt ist jedenfalls noch weniger Geld da als je, das wird es den
kleinen abhängigen Kulturmachern Angst und Bang. Die Großen
sind meist öffentliche Institutionen, die berührt das weniger,
obwohl eine kleine Einsparung dort bei den kleinen viel ausmachen würde
... Aber was sind das für lächerliche Brosamen gegen das,
was die gefräßige Maschine in Wien verschlingt. Die haben
wir seit des Kaisers Zeiten, als noch ein Imperium zu repräsentieren
war, die brauchen wir einfach, um in der Welt wenigstens noch irgendwer
zu sein, bilden wir uns zumindest ein. Großmannssucht auf Kosten
der Kleinen, der eigenen Kleinen. Da sparen wir alle für ein Großmachtgehabe,
das schon in Paris lächerlich genug ist.
Um
den Rest wird gerauft, denn das schnellere Geld ist immer noch das vom
Staat, zumindest bei uns. Und so buhlen wir um die Gunst der Beamten,
der Sekretäre, der Kuratoren, der Politiker, gefangen in unserer
gegängelten Welt.
Die
Karawane der Moderne ist allerdings schon längst weitergezogen,
bis in das ferne Amerika. Andere Um- und Zustände erfordern andere
Vorgangsweisen, andere Methoden, ein anderes Bewußtsein. Die Menschen,
die Künstler, die Interessierten sind aus der höfischen Bevormundung
befreit in einen freien Markt der Meinungen und Methoden entlassen worden.
Dort wölbt sich ein anderer Himmel über den Kreativen, die
Gesellschaft ist dort keinem etwas schuldig, dort muß, da
kann jeder selber schauen, wo er bleibt, er ist ohne Vorwurf
an wen auch? und daher voller Unternehmungsgeist. Dort agiert
keiner in höfischer Abgeschiedenheit, dort hat keiner (Berührungs-)Angst
vor dem Volk, keiner verachtet es, keiner haßt es. Keine Subvention
verstellt die Sicht auf die Realität. Dafür, so sagen unsere
Kulturtheoretiker und -politiker läge dort auch alles darnieder,
die allgemeine Kulturlosigkeit wäre mit Händen zu greifen.
In
dem riesigen Land sind allerdings klassische Kultureinrichtungen wie
Burg und Oper äußerst spärlich, die müssen
selbst sehen, wie sie über die Runden kommen, dafür fressen
sie den kleinen Kulturproduzenten nicht alles weg, und die amerikanische
Variante der modernsten darstellenden Kunst, des Films, beherrscht die
Welt. Die Bedingungen für bildende Kreative scheinen dort für
unserer Begriffe ziemlich schlecht, und doch wird immer noch dort bestimmt,
wohin die (Kunst-)Reise geht. ein funktionierendes Atelier in NY ist
immer noch ein Erfolgsbeweis.
Wir
Ösis werden immer noch in Abhängigkeit gehalten, wir selbst
halten uns in Abhängigkeit, wir leiden unter den Folgen klerikaler
Despotie im Sinne der asiatischen Despotie, mit der
Marx das alte Rußland beschrieb. Um zu überleben, unterwarfen
wir uns der Gegenreformation, die kein Mensch wollte, die kein Mensch
brauchte. Wir paßten uns an, wir arrangierten uns, wir wurden
Teil des Systems der Vernichtung, Entrechtung und Erniedrigung und wir
halten die Deformationen aus unserer Knechtschaft für einen wesentlichen
Teile unserer, wie wir meinen, liebenswürdigen Identität.
Immer
noch werden wir bevormundet von nicht mehr kaiserlichen Beamten, die
nach Gutdünken bestimmen. Wer will deren Redlichkeit bezweifeln,
wenn sie entscheiden müssen, bedrängt von Antragstellern,
Bittstellern, Interventionen, Direktiven und den Wünschen der Politiker.
Der freie Markt, das freie Spiel der Kräfte, von dem jetzt immer
die Rede ist, kann da allerdings nicht stattfinden. Wie wird eine Arbeit
verglichen, beurteilt, evaluiert, nach Gutdünken, nach Bedürfnis,
nach Direktiven? Siehe oben.
Dieses
System hängt bleischwer in der Luft, und auch das Aufbegehren dagegen
gehört dazu wie die Dissidenten zum Zwangsstaat. Sie sind die Feigenblätter
einer angeblichen Liberalität. Ob sie Gerhard Roth, Thomas Bernhard
oder Elfriede Jelinek heißen, sie sind systemimanente Dissidenten.
Sie werden veröffentlicht und aufgeführt, herumgereicht, mit
Preisen bedacht. Ohne sie beginnt keine Vorstellung. Sie werden im Tross
mit geführt als institutionelle Gegner, so wie die (schwarzen)
Haarlem Globetrotter ihre (weißen) Jausen-Gegner immer mitbrachten
bei ihren Basketball-Tourneen. Im Kulturghetto geliebt, werden sie von
räudigen Hunden bekläfft, von Gaffern beschimpft, von der
plebs misera mit Dreck beworfen, der man die volle Verachtung des (Geistes-)Adels
entgegenbringt.
Als
Hofnarren gehören sie zu den Herrschenden, zur Karawane der Auserwählten,
da braucht man sich nicht abgeben mit fiesen Kötern und dem Lumpengesindel.
Sind diese die Gesellschaft, die uns immer was schuldig
ist, oder sind doch wir sie, die edlen Ritter des Geistes hoch über
den Niederungen kleinlicher Gefühle, Vorstellungen, Meinungen und
Ansichten?
Die
Gesellschaft ist uns was schuldig, so wie früher der Souverän
dem Volk was schuldig war, oder war es nicht umgekehrt, waren nicht
das Volk dem Souverän etwas schuldig, und der hat sich bedient,
hat sich das Beste genommen und den Rest verkommen lassen.
Jetzt
ist das Volk schon lange der Souverän, aber wir lassen es, frei
nach Kreisky, weder über die Todesstrafe abstimmen noch kulturelle
Belange entscheiden, das muß schon den jeweiligen Experten überlassen
werden. Die Kaiserin Maria Theresia hätte sich allerdings
schön bedankt, hätten ihr Experten vorgeschrieben, was sie
für gut und schön zu halten gehabt hätte, ob sie z. B.
den kleinen Mozart auf den Schoß hätte nehmen dürfen.
Wer aber erkennt unsere Einmaligkeit und Genialität, wer
nimmt uns auf den Schoß, jeden von uns in seiner Einmaligkeit
à la kleiner Mozart? Hat nicht jeder das Recht darauf, ohne dem
Gutdünken irgendeines Beamten ausgeliefert zu sein. Die Beamten
sind nur Beamte, gut oder schlecht, klug oder dumm, korrupt oder korrekt
siehe oben , wir setzten doch besser Kuratoren ein, Fachleute,
die bestimmen dann aus reiner Wissenschaft und Erkenntnis, wer kriegt
und wer nicht. Und wieder sind wir auf einer neuen Stufe des individuellen
Beliebens angelangt: Subjektivität und Freunderlwirtschaft entscheiden
über den Geldfluß, ohne Kontrolle, ohne Maßstab. Wie
denn auch? Der Souverän ist, wie weiland Kaiser Ferdinand, unter
Kuratel gestellt, entmündigt, und die Mäuse feiern Hochzeit.
Kunst
ist wie so vieles zur Angelegenheit von Experten geworden, ein geheimes
Fachwissen von Ausgebildeten ist notwendig, um sich auszukennen, wir
lassen schließlich bei der Molekularbiologie auch nicht jeden
mitreden.
Hermetisch
abgeschlossen findet die Kettenreaktion des Kunstvollzugs vor den immer
gleichen Leuten statt. Die haben sich angepaßt in ihren Erwartungen,
in der Art und Weise des Konsums. Man läßt auf sich wirken,
nachgefragt wird nicht, Position wird nicht bezogen. Kritik und Skepsis,
Grundvoraussetzungen intellektueller Redlichkeit, werden als Störenfriede,
als Konsensbrecher diskreditiert. Denn innerhalb der hermetischen Blase
herrscht Harmonie, der gemeinsame Feind ist außerhalb. Mit dem
gibt es keine Kommunikation. Man müßte erklären, und
das ist unzumutbar, zu Markte tragen, und der ist unabwägbar.
Im
geschützten Bereich der Kunstszene wird nicht diskutiert, es wird
vollzogen nach den Regeln des Kuckucksnests. Der Vitalste, Stärkste
setzt sich durch im Verdrängungswettbewerb, ähnlich wie in
den Apparaten der Kammern und der Gewerkschaft. Ein besonderer Typ Mensch
hat sich herausgebildet: Der homo sowjeticus, ein Wesen des Apparats,
ein Meister der Intrige, der Intervention, der Anpassung, der Unterwerfung,
der Gruppenzwänge. Wie in der DDR wird mit gespaltener Zunge gesprochen,
für sich das eine gemeint und laut das andere gesagt. Man ist gleichzeitig
Spitzel und Bespitzelter, Denunziant und Denunzierter. Und merkt es
nicht einmal oder findet nichts dabei, denn das sind halt die Regeln
des Lebens.
Österreich
ist ein besetztes Land, in dem sich die Unterworfenen aus Überlebensgründen
den Unterwerfern angepaßt haben. Wenn einer nicht entkommen kann,
dann muß er die Zwangsherrschaft und ihre Folgen lieben lernen.
Das Überlebensmuster wird zum Lebensmuster, zum Liebensmuster,
zum Selbstliebensmuster.
Österreich
ist ein besetztes Land, ein sich selbst besetzt haltendes Land, das
stolz ist auf seine Deformationen, auf seine Indirektheit, auf seine
Ironie, seine Unterwürfigkeit, seine Intrigenwirtschaft, auf seine
höfisch geschlossene Gesellschaft.
Geben
Sie Gedankenfreiheit, Sire. Mein Souverän, öffnen Sie den
Kerker, entfiehen Sie dem Kerker, verlassen Sie die Gefangenschaft,
die schon längst eine freiwillige ist, streifen Sie die Verstrickungen
ab, entfesseln Sie sich, Sire, der alte Despot ist lange schon weg,
wir sind unser eigener Despot, Sire, wir sind Sie.