Fakten
und Hintergründe
Das Kulturhauptstadt-Programm
Das
EG-Programm Kulturhauptstadt der Europäischen Union
wurde im Jahr 1985 aufgrund eines Vorschlags der damaligen griechischen
Kulturministerin und ehemaligen Sängerin, Melina Mercouri, ins
Leben gerufen. Ziel des Programms war es der europäischen
Öffentlichkeit besondere kulturelle Aspekte der Stadt, der Region
oder des betreffenden Landes zugänglich zu machen. Von 1985
bis 2002 durften insgesamt 28 Städte diesen Titel tragen. Von 1985
bis 1999 wurde pro Jahr eine Stadt gekürt, im Milleniumsjahr sollte
das Programm eigentlich mit dem pompösen Abschluss von neun zeitgleichen
Kulturhauptstädten beendet werden. Aufgrund seiner großen
Beliebtheit und zahlreicher Bewerbungen wurden jedoch für die Jahre
2001, 2002 und 2004 je zwei Städte zur Kulturhauptstadt ernannt.
Nur für das Jahr 2003 gelang es Graz aufgrund geschickten Verhandelns
und wegen formaler Einwände gegen die nicht-europäische Stadt
St. Petersburg als zweite Kulturhauptstadt den Status der einzigen europäischen
Kulturhauptstadt zu erringen.
Seit
2000 ist das Kulturhaupstadt-Programm Teil des größeren Schwerpunktes
Kultur 2000. Das Ziel von Kulturhauptstädten wird im
Programm von Kultur 2000 folgendermaßen definiert:
Der Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen
Erbes in Europa sollen herausgestellt und ein Beitrag zu einem besseren
Verständnis der Bürger Europas füreinander geleistet
werden.
Im
Jahr 1999 wurde das Kulturhauptstadt-Programm evaluiert. Zwar waren
die Ergebnisse dieser Auswertung insgesamt eher positiv, doch wurde
festgehalten dass diese positiven Auswirkungen (...) jedoch nicht
immer über die Dauer der Veranstaltung hinaus angehalten (haben).
Es wird zwar anerkannt, dass die öffentlichen Entscheidungsträger
in den Städten dafür zuständig sind, über den Inhalt
ihres Projekts zu entscheiden, doch sollten sie darauf aufmerksam gemacht
werden, dass das kulturelle Projekt in einen mittelfristigen dynamischen
Prozess zu integrieren ist. Daher soll es ab 2005 Evaluierungen
der Kulturhauptstädte geben.
Die
Geschichte von Graz 2003
Graz
ist mit etwa 240.000 EinwohnerInnen die zweitgrößte Stadt
Österreichs, wird jedoch jährlich von sehr viel weniger TouristInnen
besucht als vergleichbare österreichische Städte: Im Jahr
2001 wurden in Graz etwa 600.000 Nächtigungen verzeichnet, das
sind etwa so viele wie in Linz, aber deutlich weniger als in Innsbruck
(1,2 Millionen), Salzburg (1,6 Millionen) oder gar Wien (7,6 Millionen).
Die
Erhöhung der Attraktivität für den Städtetourismus
war denn auch das Hauptargument für den früh verstorbenen
Kulturökonomen Clemens Andreae, der Grazer Stadtregierung schon
im Jahr 1988 zu raten, sich um den Titel der Kulturhauptstadt zu bewerben.
Die Stadtväter (Mütter gab es wohl keine) nahmen sich diesen
Rat zu Herzen, doch hatten sie vorerst keine Chance, da sie als Stadt
in einem Nicht-EG-Land an dem Programm nicht teilnehmen konnten. Als
Trostpflaster durfte Graz im Jahr 1993 zumindest den Kulturmonat ausrichten.
Was eher schlecht denn recht gelang, glaubt mensch zeitgenössischen
Medien- und Kulturleuten. In den Salzburger Nachrichten etwa hieß
es: Die Chance, sich inhaltlich neben den Kulturzentren Wien,
Salzburg und (dem direkten Konkurrenten) Linz auf markante Weise zu
positionieren, wurde vertan. (...) Wenn Graz etwas dringend braucht,
dann Zugluft. Kein retrospektives Mammut-Programm, kein Schielen auf
das Buch der Rekorde, kein unentwegtes Lorbeerkranz-Flechten für
die alten Haudegen. (...) Was dem Kulturmonat insgesamt gefehlt hat,
war Dynamik, war Herzblut, war ein Aufzeigen von Visionen, von Richtungen.
(siehe: T. Trenkler, Graz. Wer hätte das gedacht? In: Der Standard,
4.1.2003) Die städtischen PolitikerInnen wiesen diese Kritik allerdings
zurück und kündigten an, künftig jährlich einen
Kulturmonat durchzuführen; dies wurde indes nicht realisiert. Hingegen
bemühte sich Graz auch in den Jahren danach um den Titel der Kulturhauptstadt.
Eine erste Chance dazu gab es im Jahr 2000 als zehnte Stadt
doch darauf verzichtete Kulturstadtrat Helmut Strobl, der letztendlich
auch die Ernennung für das Jahr 2003 durchsetzte.
Die
Organisation von Graz 2003
Das
Programm von Graz 2003 wird von der Graz 2003 Ges.m.b.H. entwickelt
und durchgeführt, einer Gesellschaft, die von der Stadt Graz gegründet
wurde. Die Ges.m.b.H. verfügt über ein Kapital von 51,37 Millionen
€, von denen je 18,17 Millionen von der Stadt Graz und dem Land Steiermark
kommen, 14,53 Millionen von der Republik Österreich und eine halbe
Million von der Europäischen Kommission. Die Zielsetzungen und
auch die Organisation von Graz 2003 sind im Gründungsvertrag der
Gesellschaft nur sehr allgemein beschrieben. Gegenstand des Unternehmens
ist die Vorbereitung und Durchführung aller Vorhaben, die die Umsetzung
der Ziele der Stadt Graz für das Projekt Kulturhauptstadt
Europas 2003 zum Ziel haben (Notariatsakt vom 3. März
2000, Dr. Werner Hubmer, öffentlicher Notar, Geschäftszahl
3256, S. 3), heißt es da, während etwa im Gesellschaftsvertrag
für ein anderes ausgegliedertes österreichisches Kulturunternehmen,
das Museumsquartier in Wien, der Unternehmensgegenstand in drei Hauptpunkten
und acht Unterpunkten über anderthalb Seiten festgelegt ist. Zwar
sind gegen die knappe Formulierung des Gründungsaktes keine rechtlichen
Bedenken zu erheben, doch scheint aus demokratietheoretischer Sicht
zweifelhaft, ob mit einer so unspezifischen Aufgabenbeschreibung für
eine öffentlich finanzierte Gesellschaft kulturpolitische Verantwortung
angemessen wahrgenommen wird.
Interpretation
Das
Kulturhauptstadt-Programm der EU ist außergewöhnlich ungenau,
sowohl in Hinblick auf seine allgemeinen Ziele, als auch in Bezug auf
die Durchführung in den einzelnen Städten. Dies lässt
sich wohl daraus erklären, dass es eines der ersten Kulturprogramme
der Europäischen Gemeinschaft war und die EG kulturelle Aktivitäten
stets mit großer Vorsicht entfaltete, da Kulturpolitik eindeutig
zu den Kompetenzen der Mitgliedsstaaten gehört. Diese Vorsicht
war im Sinne der harmonischen Entwicklung der europäischen Integration
sicherlich sinnvoll, denn Kulturpolitiken sind traditionell eng mit
Konzepten kultureller Identität verknüpft und die Autonomie
nationaler kultureller Identitäten war stets ein wesentliches Anliegen
der Mitgliedsstaaten. Erst 1999, in der Präambel zu Kultur
2000 wurde eine europäische kulturelle Identität behauptet,
doch auch dies sehr gewunden und unter expliziter Erwähnung der
kulturellen Identitäten der Mitgliedsstaaten. Es heißt dort
Gemäß dem Vertrag hat die Europäische Union zur
Aufgabe, eine immer engere Union der Völker Europas zu verwirklichen
sowie einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen
der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt
sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes
zu leisten; besonders wichtig ist hierbei die Wahrung des Status der
kleinen Kulturräume und der weniger verbreiteten Sprachen in Europa.
Andererseits
wurde während der letzten Jahrzehnte zunehmend deutlicher, dass
die EU mehr ist als eine Freihandelszone, dass die immer engere
Integration quasi automatisch zur Politisierung der Union führt,
die eine Form von Kollektividentität als Grundlage benötigt.
Denn nur wenn ich mich einer Gesellschaft in irgendeiner Form zugehörig
fühle, bin ich bereit, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren,
in denen meine Meinung unterlegen ist. Demokratisierung hat daher Loyalität
zu einer Gesellschaft als Voraussetzung.
Das
Dilemma nationalstaatlicher Kompetenz und supranationaler Notwendigkeiten
im Bereich Kulturpolitik führte zu den vorsichtigen und halbherzigen
Aktivitäten der EG in diesem Bereich, wie sie sich im Kulturhaupstadt-Programm
manifestieren. Die Rolle des Rates der EU und der europäischne
Kommission beschränkt sich darauf, die teilnehmenden Städte
auszuwählen und ihnen eine vergleichsweise geringe Geldsumme als
europäischen Beitrag zuzuteilen. Das Programm liegt ebenso wie
die Finanzierung fast vollständig in der Verantwortung der betreffenden
Stadt. Trotzdem führt der Titel Kulturhauptstadt der EU
vielleicht zu einer Art von Identifizierung zwischen der jeweiligen
Stadt und der EU. Jedenfalls zeigt die Zahl der Bewerbungen, dass der
Titel trotz der geringen finanziellen Beteiligung der EU erstrebenswert
erscheint.
Dies
mag indes weniger ideelle denn finanzielle Ursachen haben. Denn auch
wenn der Beitrag der EU selbst gering ist, bedeuten doch die Beiträge
anderer nationaler Gebietskörperschaften üblicherweise eine
erhebliche Aufbesserung der städtischen Kulturbudgets. In Graz
etwa kommen fast zwei Drittel des Budgets für die Kulturhauptstadt
von Land Steiermark und der Republik Österreich. Während im
Jahr 2002 etwas mehr als 10 Millionen € aus dem Budget der Stadt
Graz für Kultur und Wissenschaft zur Verfügung standen, verfügt
das Kulturhauptstadtjahr, wie schon erwähnt, über 52 Millionen
€.
Das
Programm Kulturhauptstadt der Europäischen Union macht
also erhebliche Geldsummen ohne inhaltliche Auflagen für Kulturpolitik
frei. Während in anderen Städten, wie Weimar 1999 und Porto
2001 trotz der zusätzlichen Mittel erhebliche finanzielle Probleme
aufgrund der grundsätzlich prekären Finanzlage der Städte
auftraten, konnte die wohlhabende Stadt Graz über diesen Mitteln
ziemlich frei verfügen. Und während viele Städte wie
Glasgow, Weimar und Porto einen großen Teil der Kulturhauptstadtmittel
für bauliche Rekonstruktionen aufwandte, war auch dieser Bedarf
in Graz nicht erheblich. Die Stadt hatte dadurch insgesamt einen größeren
Freiraum in der Gestaltung des Kulturjahres als andere Kulturhauptstädte.
Eine
solche Situation scheint gut geeignet, kulturpolitischen Zielsetzungen
zu verstehen. Welche Konzepte entwickeln PolitikerInnen, welche Schwerpunkte
setzen sie, wenn ein erhebliches Budget für Kunst und Kultur zur
Verfügung steht und sie mehr oder weniger frei in der Verteilung
dieser Mittel sind?
Im
Falle von Graz 2003 ist die Antwort auf diese Frage eher erstaunlich:
PolitikerInnen haben auf ihren kulturpolitischen Freiraum (und ihre
kulturpolitische Verantwortung) verzichtet und die Gestaltungsmöglichkeiten
für Graz 2003 ohne weitere Einschränkungen einer privaten
Gesellschaft übergeben. Für diese ungewöhnliche Entscheidung
könnten unterschiedliche Überlegungen ausschlaggebend gewesen
sein:
- Die österreichische
Kulturpolitik seit 1945 (und auch davor) ist geprägt vom direkten
Einfluss staatlicher Institutionen. Während der letzten Jahrzehnte
wurde Kritik an dieser Form von Politik zunehmend lauter. Die Organisation
von Graz 2003 könnte als ein Versuch verstanden werden, Kulturpolitik
dem direkten Einflussbereich von PolitikerInnen zu entziehen.
- Andererseits
wäre es möglich, dass Graz 2003 den Grazer PolitikerInnen
nicht besonders relevant erscheint. Vielleicht wollen sie ihre Zeit
und Energie nicht auf ein Großereignis konzentrieren, sondern
sich lieber langfristigen kulturpolitischen Strategien für die
Stadt widmen und haben dieses Projekt daher ausgelagert.
- Schließlich
wäre es auch möglich, dass PolitikerInnen trotz oder gerade
wegen ihres Interesses an Graz 2003 dieses Projekt einer privaten
Gesellschaft überantwortet haben, da sie der Meinung sind, dass
diese sich für die Durchführung besser eignet als die öffentliche
Verwaltung. Eine solche Umstrukturierung würde einer generellen
Tendenz in der EU und ihren Mitgliedstaaten entsprechen, Regulierungsagenturen
zu schaffen, die Aufgaben übernehmen, die bisher PolitikerInnen
und BeamtInnen übetragen waren.
- Schließlich
wäre es vorstellbar, dass die PolitikerInnen Schwierigkeiten
bei der Umsetzung von Graz 2003 befürchteten, von denen sie sich
lieber fernhalten wollen. Gerade die Geschichte der Grazer Kulturpolitik
zeigt eine Reihe von Skandalen und Problemen (etwa rund um das Forum
Stadtpark), die eine solche Überlegung plausibel erscheinen lassen.
Unabhängig
davon, welcher dieser Gründe am plausibelsten erscheint oder ob
eine Kombination mehrerer Überlegungen für die Entscheidung
über die Organisation von Graz 2003 ausschlaggebend war, stellt
sich die Frage, wie diese Form der Auslagerung von Kulturpolitik aus
normativer demokratietheoretischer Sicht einzuschätzen ist.
PolitikerInnen
werden gewählt, damit sie die Verantwortung für politische
Aktivitäten übernehmen, die aus Steuergeldern bezahlt werden.
Während es in vielen Fällen günstig sein mag, die Durchführung
kulturpolitischer Projekte at arms length von direkter
politischer Intervention zu platzieren, besteht ein grundlegendes Prinzip
der repräsentativen Demokratie darin, dass politische Zielsetzungen
von politischen RepräsentantInnen festgelegt werden, also von Leuten,
die ihre Position aufgrund von Wahlen erhalten und wieder verlieren.
Zwar ist es legitim, dass Institutionen, die nicht aufgrund von Wahlen
gebildet werden, Aufgaben im öffentlichen Interesse ausführen,
doch müssen sie sich gegenüber gewählten Institutionen
verantworten und diesen hierarchisch unterstellt sein.
Auf
die Graz 2003 Ges.m.b.H. treffen diese Bedingungen nicht zu, denn der
Gründungsvertrag legt keinerlei nachprüfbare Zielsetzungen
und Sanktionsmechanismen für Nicht-Erfüllung fest. Zugleich
sind die von der Graz 2003 Ges.m.b.H. vergebenen Gelder im Vergleich
zu den regulären Kulturbudgets so erheblich, dass die Entscheidungen
der Graz 2003 Ges.m.b.H. vermutlich über lange Zeit wesentlichen
Einfluss auf das Grazer Kulturleben haben. Die erhebliche Definitionsmacht
und fehlende kulturpolitische Kontrolle der Graz 2003 Ges.m.b.H. erscheinen
also demokratietheoretisch höchst problematisch.
Gegen
Argumente dieser Art wird häufig eingewandt, dass sie auf einem
stark formalistischen Verständnis von Demokratie beruhen. Lässt
sich denn aus der österreichischen Kulturpolitik seit dem Zweiten
Weltkrieg irgendeine kulturpolitische Überlegenheit öffentlicher
Institutionen ableiten? Was hat die Monopolisierung kulturpolitischer
Entscheidungen durch PolitikerInnen in den letzten Jahrzehnten gebracht?
Doch Demokratie kann nicht ausschließlich aufgrund ihrer
Effektivität und Effizienz beurteilt werden, da sie in erster Linie
eine Form der Entscheidungsfindung ist. Außerdem wird sich erst
weisen müssen, ob die Graz 2003 Ges.m.b.H. der Kunst und Kultur
in Graz besser dient als öffentliche Stellen. Die Nachwelt wird
darüber zu urteilen haben, ob die Aktivitäten der Graz 2003
Ges.m.b.H. wesentlich für die Positionierung von Graz als internationaler
Kunststadt sind.
Auf
einer grundlegenderen Ebene stellt sich allerdings auch die Frage, ob
es Kulturhauptstädten in erster Linie um diese Art künstlerischer
Exzellenz gehen sollte. Ein wichtiges Ziel des Programms ist jedenfalls,
wie bereits am Beginn dieses Artikels erwähnt, der europäischen
Öffentlichkeit besondere kulturelle Aspekte der Stadt, der Region
oder des betreffenden Landes zugänglich zu machen. Die Erfüllung
dieses Anspruchs lässt sich sehr viel leichter bewerten als die
künstlerische Exzellenz der Aktivitäten und ist im
Falle von Graz 2003 sehr skeptisch zu beurteilen. Hier einige Beispiele
zur Illustration:
- Viele der beauftragten
Projekte werden von Grazer oder steirischen KünstlerInnen durchgeführt.
Eines der prominentesten, sichtbarsten und auch teuersten Projekte,
die Murinsel, beruht allerdings auf einem Konzept des internationalen
New Yorker Künstlers Vito Acconci, und ist auch schlecht für
die natürlichen Gegebenheiten der Mur, insbesondere ihre starke
Strömung, geeignet. Die Insel ist daher nicht wirklich eine schwimmende
Insel, sondern musste befestigt werden, damit sie nicht weggeschwemmt
wird. Da es in Graz keinen Bedarf für eine künstliche Insel
gibt, ist auch völlig unklar, wie dieses Werk nach 2003 genützt
werden soll.
- Die Verträge
zwischen der Graz 2003 Ges.m.b.H. und den KünstlerInnen, die
für die Kulturhauptstadt Projekte durchführen, sind außerordentlich
problematisch und oftmals nachteilig für die KünstlerInnen.
Einnahmen aus Sponsoring sind großteils an die Ges.m.b.H. abzuführen;
Kritik an der Ges.m.b.H. oder Graz 2003 im allgemeinen wird mit Pönalen
belegt. (Kleine Zeitung, 22.2.2002)
- Von 2001 bis
2003 hat die Graz 2003 Ges.m.b.H. einen Prozess mit steirischen Kunstschaffenden
um die Graz2003-Internetdomains geführt. Diese Domains wurden
von den Kunstschaffenden bereits vor Gründung der Ges.m.b.H.
gesichert. Dieser Rechtsstreit verdeutlicht das problematische Verhältnis
zwischen der Durchführung kulturpolitischer Aufgaben im öffentlichen
Interesse und den kommerziellen Interessen einer privaten Gesellschaft.
Diese
Probleme machen deutlich, dass Zweifel an den positiven Effekten des
Agierens der Graz 2003 Ges.m.b.H. für die Grazer Kulturszene angebracht
sind. Wie insbesondere die beiden letzten Beispiele zeigen, ergeben
sich tiefgreifende Konflikte nicht aus dem guten oder schlechten Willen
der Verantwortlichen bei Graz 2003, sondern daraus, dass ein privates
Unternehmen einer anderen Logik folgt als öffentliche Kulturpolitik.
So wurden die kritisierten Klauseln in den Verträgen mit ProjektbetreiberInnen
vom Geschäftsführer der Ges.m.b.H., Eberhard Schrempf, damit
argumentiert, dass die Graz 2003 Ges.m.b.H. kein Fördergeber, sondern
Firma und Projektpartner sei. (Kleine Zeitung, 22.2.2002) Doch die Interessen
öffentlicher Kulturpolitik sind andere als die privater VeranstalterInnen
und während die Vermeidung von Kritik durchaus das Interesse einer
Firma sein kann, ist sie niemals mit den Zielsetzungen demokratischer
Kulturpolitik zu vereinen. Die Souveränität einer Stadt und
ihrer Kultur kann nicht den Geschäftserfordernissen einer privaten
Gesellschaft überlassen werden und ist nicht in derselben Art verhandelbar
wie Geschäftspolitiken. Der Erfolg demokratischer Kulturpolitik
wird nicht an BesucherInnenzahlen oder Verkäufen gemessen, sondern
an der Erreichung politischer Ziele. In Bezug auf Kulturpolitik bestehen
diese Zielsetzungen in erster Linie in der Gewährleistung kultureller
Vielfalt in mehrfacher Hinsicht:
- Kulturelle Vielfalt
der Regionen, Volksgruppen, Generationen;
- Ökonomische
Vielfalt von Institutionen und Unternehmen;
- Inhaltliche/formale
Vielfalt verschiedener Kunstformen;
- Politische Vielfalt
der Interessen und Meinungen.
Eine
solcher Art definierte Kulturpolitik ist nicht nur formal demokratisch,
sondern trägt auch zu einer substantiellen Form von Demokratie
bei, indem sie öffentlichen Raum schafft, in dem konfligierende
Standpunkte verhandelbar sind. Eine Kulturpolitik, die mit Steuergeldern
bezahlt wird, aber gemäß den kommerziellen Standards einer
privaten Firma durchgeführt wird, und zugleich dieser Firma ein
Monopol der Kulturfinanzierung in einer Stadt überträgt, kann
als Gegenteil des hier skizzierten Konzeptes demokratischer Kulturpolitik
verstanden werden.